Von Google lernen
Von Google lernen heißt: an den Endanwender denken, unabhängig ob dieser ein Endkonsument, Arbeitnehmer oder Topmanager ist.
Die klassischen Attribute gelten nicht mehr. Googles Verhalten lässt sich am besten durch Pragmatik und Hausverstand beschreiben.
Während SAP und viele europäische Unternehmen noch in Kategorien wie „schnell, groß, umfassend, ästhetisch, beherrschend, autonom, perfekt, elitär“ denken und handeln, findet man bei Google und anderen praktikable und einfache Lösungen, die bestens auf den Nutzer zugeschnitten sind.
Das selbstfahrende Auto
unterschiedlicher könnte die Lösung nicht sein: Das selbstfahrende Google-Auto, das seit Monaten auf Kaliforniens Straßen unterwegs ist, wird von Europäern mit Ästhetik und Geschmack kaum als solches wahrgenommen.
Beim schnellen Hinschauen ist nur schwer auszumachen, wo vorn und hinten ist. Die Antenne aus dem Heimwerkermarkt am Dach des „Autos“ lässt das Ganze als frühreife Bastelarbeit von Außerirdischen erscheinen.
Wie wohltuend erscheint hier doch das selbstfahrende Auto von Audi! Reichlich PS sind vorhanden und man sieht keine das optische Empfinden störenden Antennen.
Unterschiedlicher könnten die Konzepte zwischen Google und Audi nicht sein. In Kalifornien das hässliche Entlein, in Deutschland auf dem Hockenheimring der begehrenswerte Sportflitzer.
Google wagte das Experiment: Man lud Mütter mit Kindern und Pensionisten ein, das „Auto“ zu testen. In einer schmucklosen Fahrerkabine ohne Lenkrad und Armatur saßen die Testpersonen ein wenig verloren und harrten der Dinge.
Das Google-Auto fuhr los und absolvierte ohne Probleme die vorgegebene Route. Das Ergebnis: Die passiven Autofahrer waren begeistert! Man schwärmte von der stressfreien und sicheren Art des Vorwärtskommens.
Die Testpersonen fühlten sich gut aufgehoben und niemand diskutierte die äußere Form, das „unästhetische“ Erscheinungsbild, die Farbe des „Autos“ oder sonstige Nebensächlichkeiten, die für das sichere und effiziente Zurücklegen der Wegstrecke offensichtlich keine Rolle spielen.
Für Hockenheim engagierte Audi einen englischsprachigen Motorjournalisten, der die halsbrecherische Fahrt des fahrerlosen PS-Boliden kommentierte.
Das Auto fuhr mit maximaler Geschwindigkeit einen absolut perfekten Kurs. Die Kurven wurden optimal angefahren. Das Auto lag sicher auf der Straße. Ein menschlicher Rennfahrer hätte es nicht besser machen können als die eingebaute Elektronik – ein Triumph für deutsche Ingenieurskunst.
Außer dem Motorsportjournalisten und ein paar Audi-Mitarbeitern begeisterte sich niemand für diese Fahrt. Die wenigen, gelangweilten Zuseher auf der Bühne wären wahrscheinlich gerne selbst in dem PS-starken Auto gesessen.
Worin liegt der Mehrwert und Spaß, ein Rennauto völlig autonom über den Hockenheimring zu jagen? Braucht das irgendjemand? Was sagt die Audi-Technikstudie über zukünftige Mobilität aus? Wie traurig und irrwitzig ist diese Demonstration von Technik, Design, Kraft und Geschwindigkeit im Vergleich zu dem hässlichen, aber nutzbaren Google-Auto (vergleichen Sie selbst: Google und Audi).
Noch ein interessantes Beispiel über falsche Ziele und alte Ansichten: SAP bemüht sich um ein neues grafisches User Interface (UI).
Mit Fiori wurden Designrichtlinien und Werkzeuge geschaffen, um S/4 und Hana auf Tablets und Smartphones zu bringen, und auch der Desktop und der Browser sollen von Fiori profitieren.
Der Mehrwert? Alles wird bunter und lauter! Braucht man das als ERP- und CRM-Anwender? Eines der hässlichsten UIs wird von einem der erfolgreichsten Internet-Unternehmen betrieben: Amazon. Jedes Mal wieder wundert man sich beim Bücher-, DVD- und Kaffee-Bestellen, wann hier ein Design-Update erfolgt und wie lange man noch auf diese undefinierbaren Bildschirmfarben blicken soll – aber es funktioniert!
Bei SAP funktioniert momentan vieles nicht, dafür redet man liebend gern über Fiori, User Experience, Dashboards, Apple-Native-Apps etc. Themen wie S/4-Roadmap, Releasewechsel, indirekte Nutzung, Lizenzmodell, Open Source und vieles andere mehr werden ignoriert und totgeschwiegen.
Die Perspektive hat sich bei SAP in die falsche Richtung verschoben. Bestandskunden brauchen fundierte und stringente Geschäftsprozesse, dann darf es auch mit dem User Interface eigenwillig zugehen – siehe Google und Amazon.