Paradigmenwechsel
Auf der diesjährigen SAP TechEd in Barcelona war Chief Technology Officer Björn Goerke in seinem Element: Er präsentierte zahlreiche Entwicklungswerkzeuge, lobte die anwesenden Mentoren für ihr Engagement und gratulierte zum zehnjährigen Bestehen dieser Organisation. Es war wie in den guten alten R/3-Zeiten.
SAP liefert der Welt betriebswirtschaftliche Standardsoftware, damit ist indirekt auch vorgegeben, dass diese „halbfertigen Maßanzüge“ noch customized und um Add-ons ergänzt werden müssen.
Vor vielen Jahren war das bei R/3 (Enterprise) und ERP/ECC 6.0 kein Problem – ganz im Gegenteil: SAP ermunterte Anwender, Partner, Programmierer und Mentoren, die SAP’sche Programmiersprache Abap intensiv zu nutzen und damit das ERP zu einem perfekten betriebswirtschaftlichen Werkzeug zu machen.
Ich habe versucht, mit Mentoren eine Lizenz-Diskussion über SAP NetWeaver Foundation for Third Party und die Auswirkungen der „indirekten Nutzung“ zu führen – Fehlanzeige: Letztendlich war den genialen Systementwicklern und Programmierern dieses Thema vollkommen fremd und unverständlich!
Das Problem ist somit die aktuelle Sprunghaftigkeit der SAP – der fortlaufende Paradigmenwechsel: Anfangs wurde man von SAP ermuntert, Abap-Modifikationen und Add-ons im Z-Namensraum zu implementieren (ohne Anwendung und Erwähnung optionaler Lizenzierung wie der „indirekten Nutzung“).
Dann kam Hana als Datenbank und Plattform sowie wenig später S/4 – neue Situation: Viele Abap-Tabellen fielen einer „Simplification“ zum Opfer, was das ERP-System schlanker und leistungsfähiger machte.
Ergänzend begann SAP viele Standardfunktionen aus dem Abap-Tabellen-Bereich auf die Hana-Plattform, also näher zur Datenbank, zu transferieren. Das war ein guter Paradigmenwechsel: Hana als Plattform bietet damit mehr als die SQL-DB-Funktionen und das ganze System wird schneller (nicht nur durch die In-memory-Computing-Komponente). Und schon hallte es durch die SAP-Community: Abap ist tot!
Natürlich verlieren einige Z-Modifikationen ihre Aufgabe und ihren Sinn bei einem Releasewechsel auf S/4. Eine stattfindende „Abap-Bereinigung“ lässt sich nicht leugnen und ist in einigen Fällen auch nicht von Nachteil.
Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung vermittelte SAP das Bild, dass sämtliche Systemerweiterungen, Add-ons, Modifikationen und Frameworks unerwünscht und kontraproduktiv wären – zumindest mit dem Strafzoll „indirekte Nutzung“ belegt werden.
Lediglich Hana PAL (Predictive Analysis Library) schien eine Existenzberechtigung zu haben. Das Ende der individuellen Programmierung? Das Ende der Partner-Community? Das Ende der Mentoren? Ein nachhaltiger Paradigmenwechsel!
Vor wenigen Wochen stand SAP- CTO Björn Goerke in Barcelona auf der Sapphire-Bühne und zeigte eine „neue“ Entwicklerlandschaft: Abap ist offensichtlich auch auf der SAP Cloud Platform (SCP) willkommen – eine Wiedergeburt von Abap?
Und zahlreiche weitere Software Development Kits (SDK) konnte Goerke den anwesenden Programmierern, Entwicklern und Mentoren präsentieren: ein weiterer Paradigmenwechsel?
Sind nun Modifikationen in der SAP’schen ERP-Systemlandschaft wieder gesellschaftsfähig? Oder machen die SAP-Bestandskunden, Partner und Mentoren abermals die Rechnung ohne den Wirt? Siehe E-3 Lizenz-Kolumne “Ein erstes Entgegenkommen“.