Historisches Wissen
Teil 1:
Stefan Autengruber
Es begann diesmal im Café Sperl in Wien.
„Es gibt immer mehr SAP-Lizenzexperten“
stellt Chefredakteur Färbinger fest:
„Wie kann man erkennen, wer gut ist und wer nicht?“
Das ist ganz einfach. Ein wahrer Lizenzexperte hat 18 Jahre SAP-Preislisten und AGB im Kopf. SAP hatte bis etwa 2008 die Preislisten unter Verschluss gehalten. Diese waren geheim und nur einer bestimmten „Elite“ zugänglich. Wer in dieser Zeit nicht schon SAP-Lizenzexperte war, kann es heute nicht sein, da ihm das Wissen und die Historie fehlen.
Im Jahr 2000 verkaufte sich R/3 durch Weiterempfehlung und Auftritte mit Einklatsch-Szenarien. Wer bei SAP anruft und zu erkennen gibt, dass er weniger als 1000 Lizenzen braucht, der bekommt nicht einmal eine Absage. Das Telefon wird einfach aufgelegt.
Und obwohl das Geschäft gut läuft, hat Hasso Plattner Sorgen: Da gibt es neue Systeme, die SAP einen Markt wegschnappen. Das sind die neuen CRM-, BW- und andere Fremdsysteme.
Hasso Plattner hatte schon den Auftrag gegeben, diese nachprogrammieren zu lassen. Doch die Kunden wollen dies nicht akzeptieren. Zu kompliziert ist das Pricing.
Da hatte jemand die Idee einer „Business Suite“ mit nur vier Nutzertypen. Es wird suggeriert: Wer das kauft, hat die gesamte SAP-Software. Und muss nur mehr „Named User“ nach den Kategorien eins bis vier lizenzieren.
Das verständlichste und einfachste Preismodell, das ein Konzern je hatte: Typ 1, Manager; Typ 2, operativer Nutzer; Typ 3, eingeschränkte Nutzer; und Typ 4, Self-Service-Nutzer. Einen Developer-Nutzer gab es nicht.
Doch die Praxis zeigte, dass diese Nutzerklassifizierung, die auf Basis der Wertschöpfungskette aufgebaut war, vom Markt nicht angenommen wurde. Warum sollte man für Manager, die die Software nicht operativ, sondern nur für Analysen nutzen, den höchstpreisigen Nutzertyp lizenzieren?
Da damals die Kunden etwas zu sagen hatten – und SAP auch auf sie hörte –, verschwand unterjährig der Kategorie-1-Typ und wurde in der Kategorie zwei integriert. Da drei Nutzertypen von der Anzahl nicht sehr harmonisch waren und man ja auch von vier ausgegangen war, wurde SAP kreativ und es passierte, was im Laufe der Zeit zum System wurde: der „Carve-out“.
Man nimmt in der Preisliste einem bestehenden Nutzertyp Rechte weg und bepreist diese neu! Welches Unheil SAP damit in Gang setzte, das bis heute in die Hana-Lizenzierung hineinreicht, lesen Sie in meiner Kolumne im Mai 2018.
Teil 2:
Peter Färbinger
Bei aller Faszination für Technik, Organisation, Standard-Software und Betriebswirtschaft – ein wesentlicher Erfolg von SAP und ihrer DACH-Community sind das Beziehungsmanagement und das Vertrauensverhältnis.
R/1, R/2 und R/3 entstanden in enger Partnerschaft mit den frühen Anwendern der heute weltweit führenden ERP-Software. Die Version R/3 Enterprise entstand auf massiven „Wunsch“ des DSAG-Gründers und damaligen Vereinsobmanns Alfons Wahlers.
Ohne das geteilte Intellectual Property der Bestandskunden hätte sich SAP niemals so schnell entwickeln können. Die Mischung aus den SAP-Visionen und den Bedürfnissen der Anwender ist perfekt und früher hörte SAP wirklich auf ihre Bestandskunden.
Somit war der Vertriebsbeauftragte von SAP auch immer ein gern gesehener Gast bei den Bestandskunden: Man diskutierte, löste Probleme und bestellte und verkaufte Lizenzen.
Heute kennen die jungen, neuen Vertriebler keine SAP-Historie, haben keine Ahnung von der komplexen ERP-Technik und von Abap-Add-ons im Z-Namensraum, sondern winken lediglich mit der jüngsten Lizenzvermessung und legen eine Forderung über Nachlizenzierung auf den Tisch.
Das Verhältnis zwischen SAP-Bestandskunden und SAP-Vertrieb ist zerrüttet und desolat! Als SAP versuchte, die jährliche Pflegegebühr von 18 auf 22 Prozent anzuheben, brach im DACH-Raum ein Sturm der Entrüstung los.
Der damalige SAP-Chef, Léo Apotheker, wunderte sich über diesen „Sturm im Wasserglas“. Was SAP vergessen hatte: dass die deutschsprachige Community ein ganz besonderes, historisches Verhältnis zum ERP-Weltmarktführer hat.
Global und DACH sind technologisch und historisch zwei sehr verschiedene Welten. Auch vertragstechnisch ist im DACH-Raum vieles anders. Ex-SAP-CFO Werner Brandt beklagte einst, dass es keine zwei identischen Lizenzverträge gebe.
Hier braucht es viel historisches Wissen, um Klarheit und Fairness bei Nachlizenzierungen und indirekter Nutzung walten zu lassen. Mit kurz und schnell eingeschulten Vertriebsmitarbeitern verspielt SAP leichtfertig das aufgebaute Vertrauensverhältnis und die gute Zusammenarbeit mit den Bestandskunden.
Das schnelle Geld bringen Nachlizenzierungen, Metrik-Adaptierungen, unüberschaubare Preislisten und die indirekte Nutzung – nur: Das ist kein nachhaltiges Konzept für zukünftiges Beziehungsmanagement.