Gestalten, nicht verwalten, oder?


Ausgangspunkt der Diskussion meiner Stammtischschwestern und -brüder waren zwei Kommentare über das Gehalt von SAP-Chef Christian Klein auf dem Webportal handelsblatt.com. Zur Klarstellung: Für einen Dax-Konzern ist sein Gehalt astronomisch hoch. Im Vergleich zum Ausland und im Besonderen zu den USA ist es ein bescheidenes Auskommen. Ich denke, dass er auch noch mehr verdienen könnte, wenn sein SAP-Gehalt inklusive Bonus- und Aktienprogramm als „Schmerzensgeld“ verbucht wird – denn wer will in diesen Zeiten noch bei SAP arbeiten? Aber das ist eine andere Geschichte.
Ein Aspekt beim Diskurs auf handelsblatt.com war das Verhältnis zwischen Gehalt und sichtbarer Leistung: Gestaltet nun Christian Klein die SAP-Entwicklung oder verwaltet er lediglich die Assets? Diese Frage beschäftigt uns Bestandskunden natürlich ganz besonders, weil letztendlich davon auch die Zukunft unseres ERP abhängig ist. Sind wir Kunden eines Innovators oder befindet sich unser ERP-Lieferant im Innovator’s Dilemma, siehe Clayton M. Christensen (1952 bis 2020)?
Es gibt zum Gehalt von SAP-Chef Klein zwei Kommentare auf handelsblatt.com: einen Pro- und einen Contra-Kommentar. Wesentlich emotionaler wurde der Pro-Text am SAP-Stammtisch diskutiert, weil fast alle Stammtischschwestern und -brüder zwar frei von einer Neiddebatte sind, sich aber dennoch nicht der Argumentation des Handelsblatt-Autors anschließen wollen. Dieser rechtfertigt das Gehalt von Christian Klein mit seiner innovativen und perspektivischen Unternehmensführung. Im Detail wird im Pro-Kommentar das Cloud Computing hervorgehoben – was aus unserer Sicht genau die größte SAP-Baustelle ist und Ursache für das Rise- und Grow-Desaster.
Auf die Cloud-Roadmap wurde SAP von Ex-CEO Bill McDermott geführt. Sein Zugang zu dieser Technik war natürlich rein kaufmännisch: Er kaufte ein Cloud-Unternehmen nach dem anderen, bis die Kasse des damaligen SAP-CFO Luka Mucic leer war. Aufräumen, konsolidieren und orchestrieren musste dann sein Nachfolger Christian Klein. Aus dem Cloud-Konglomerat formte Klein eine hinreichend konsistente ERP-Landschaft. Freiwillig hat er diesen Job nicht gemacht. Aus dem Hintergrund musste er tatkräftig durch Hasso Plattner und Gerd Oswald motiviert werden. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, auch wenn es weniger innovativ und weitsichtig als technisch und pragmatisch ist.
Der Pro-Kommentar betont aber letztendlich die Klein-Vision des Cloud Computing und versucht, mit dieser SAP-Cloud-Roadmap das hohe Gehalt zu rechtfertigen. Dem ist aber in keiner Weise so, sagt übereinstimmend mein SAP-Stammtisch: Nachdem die Hyperscaler bereits die Marschrichtung und Preise vorgegeben haben, andere IT-Anbieter wie Oracle und IBM bereits in Richtung Cloud aufgebrochen sind, hatte SAP keine andere Chance, als diesem Pfad ebenfalls zu folgen. Der Aufbruch war holprig und inkonsistent. Mittlerweile hat SAP viel Cloud-Lehrgeld bezahlt und die Services ergeben Sinn, wenn auch noch immer zu einem weit überhöhten Preis – im Vergleich zu den erwähnten Hyperscalern.
Es gibt Stammtischschwestern und -brüder, die die selektiven Cloud-Services von SAP erfolgreich nutzen. Niemand von uns würde aber auf die Idee kommen, es als Geniestreich von Christian Klein zu definieren. Der SAP-Chef verwaltet das Erbe von Professor Hasso Plattner gewissenhaft und akkurat, aber letztendlich folgt er den IT-Megatrends wie Cloud und KI in sicherem Abstand. Eigene und innovative Wege beschreitet SAP schon lange nicht mehr. Informatikrevolutionen wie ein dreistufiges Client/Server-Modell oder In-memory Computing liegen weit über zehn Jahre zurück.
Was andere IT-Konzerne am Wegesrand liegen lassen, das greift SAP erfreut auf: Aus Graph- und Vektordatenbanken entsteht aktuell ein Semantic Layer für die SAP Business Data Cloud, aus der Nutzung unterschiedlicher LLMs werden an die 300 KI-Funktionen für ECC 6.0 und S/4 auf Basis der Business Technology Platform (SAP BTP) geformt. Unter Christian Klein bewegt sich SAP zügig vorwärts und dafür ist mein Stammtisch auch dankbar, aber noch mehr freuen würden wir uns, wenn mehr innovativ und vorausschauend gestaltet und weniger lizenzlastig verwaltet würde.