Cloud-Exit und Data Retention
Beim Durchblättern einer Fachzeitschrift, die einer unserer begabten Werkstudenten nach einer Besprechung bei mir im Büro vergessen hat, entdeckte ich die Werbung eines deutschen IT-Anbieters. Hier wurde explizit auf die Dienstleistung eines Cloud-Exits hingewiesen. In dieser deutlichen Form sah ich das vielleicht Unvermeidliche zuvor noch nie.
Die Diskussion um die Cloud in der SAP-Community, bei unserer DSAG und an meinem SAP-Stammtisch wird politischer und technischer. Unser SAP-Chef Christian Klein hat in den vergangenen 18 Monaten eine radikale Kehrtwende vollzogen: Über Cloud first zu Hybrid Cloud landete er vergangenen Sommer bei Cloud only. Es scheint ein politisches Spiel zu sein, das ihm viel Anerkennung bei den Finanzanalysten und Investoren beschert, aber das große Unruhe in der SAP-Community auslöst.
Im Manager Magazin online war in einem Bericht mit der Überschrift „Mercedes und das unsanfte Ende der Luxusträume“ zu lesen, dass Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius den Autokonzern zur Luxusmarke aufwerten will. Aber die Elektromodelle verkaufen sich nur mit Rabatt, die Verbrenner müssen teuer aufgepäppelt werden, die Renditeziele sind in Gefahr. Es bleibt: Ratlosigkeit. Etwas weiter im Text kommt eine Stelle, die eventuell auch für SAP-Chef Christian Klein bald zur Glaubensfrage werden könnte: „Ola Källenius hat zunächst einmal seine Ziele angepasst. Aus Electric only ist Electric first geworden. Der geplante Wechsel von Verbrenner auf Elek-tro hat sich – teils auch politisch gebremst – verlangsamt.“
Im Vergleich zu Mercedes-Benz gibt der aktuelle Börsenkurs von SAP dem Vorstandsvorsitzenden Klein recht, aber politisch ist sein Handeln in der SAP-Community höchst umstritten. Keiner meiner Stammtischschwestern und -brüder spricht sich gegen die Cloud aus. Wir alle betreiben höchst erfolgreich Cloud-Systeme. Bei Mercedes-Benz befindet sich das HR/HCM-System bei Workday in der Cloud, nachdem mit SuccessFactors kein Weiterkommen möglich war.
Ich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren ein Cloud first und die logische ERP-Architektur Hybrid Cloud erleben werden. ERP ist eine komplexe Herausforderung mit unzähligen Funktionen von der Fabrik bis ins Internet der KI-Modelle. Jede individuelle und singuläre Funktion erfordert spezifische Lösungen. An meinem SAP-Stammtisch wurde ein Archivierungsprojekt mit SAP und OpenText präsentiert, das letztendlich als On-prem-Lösung realisiert wurde, weil Speicherhardware im eigenen Rechenzentrum unauffällig und wesentlich preiswerter ist im Vergleich zu einer Cloud-Lösung.
Für Cloud-Exit-Szenarien wird sich die SAP-Community ohnehin eine On-prem-Infrastruktur bewahren müssen. Mittlerweile bieten einige SAP-Partner sogenannte Data Retention Warehouses und Datenbanken an, die am besten und kostengünstigsten mit einer lokalen IT-Architektur zu betreiben sind. Letztendlich geht es bei einem Cloud-Exit auch um die Minimierung der Betriebskosten. Einmalzahlungen für Hardware und Lizenzen einer Data-Retention-DB und ab dann nur noch die Stromkosten erscheinen als überschaubarer Kostenfaktor. Besonders im Fall einer Betriebsstilllegung könnte dieses Modell für zehn Jahre halten, um noch mögliche Finanzamts- und andere Behördenanfragen zu bedienen.