Saueressigs Zuckerguss
In Walldorf nichts Neues! Bereits 2005 versuchte man den Schein zu wahren und mit Zuckerglasur das R/3-Konglomarat zu kaschieren. Eine Enterprise Service Architecture sollte Ordnung in die SAP-Landschaft bringen und die Bedienung der unterschiedlichen R/3-Module konsolidieren.
Der damalige SAP-Chef Professor Henning Kagermann wurde nicht müde, von den neuen zuckersüßen und blühenden Landschaften zu berichten, in denen sich zukünftig die SAP-Bestandskunden bewegen sollten – auf einheitlichen, standardisierten und sicheren Pfaden.
Naturgemäß kam es anders: Die erste Katastrophe war mySAP ERP 2004 mit ECC 5.0 und SAP Web AS (Application Server) 6.40 – Sehr geehrte Vorstände, Thomas Saueressig, Jürgen Müller und Christian Klein, erinnern Sie sich noch? Wenig später brachte ERP/ECC 6.0 als Kern der SAP Business Suite 7 den gestressten Bestandskunden eine Atempause, die nun bis 2030 verlängert wurde: Never change a running system!
Thomas Saueressig ringt in der Anwendungsentwicklung noch immer um Konsolidierung und Harmonisierung. Die zahlreichen Cloud-Zukäufe mit sehr unterschiedlichen Systemarchitekturen machen ihm das Leben nicht einfach. Der Zuckergusstrick lebt immer noch, wenn auch nicht mehr in Form von Excel-CSV-Dateien, oder? Vor wenigen Jahren war die Schnittstelle zwischen ERP/ECC 6.0 und der Ariba-Plattform ein CSV-Dateitransfer mittels PI/XI des NetWeaver-Stacks.
Vieles im SAP-Universum hat sich gebessert: Einige Cloud-Applikationen konnten auf die Datenbankplattform Hana umziehen. Somit wurde der oberflächliche Zuckerguss durch eine technische Datenbankintegration ersetzt. Ganz zu Recht bemerkte aber Thomas Saueressig, dass ein nachhaltiger Mehrwert erst aus einem konsolidierten End-to-End-Prozess erwachsen kann.
Da aber stammdatenbasierte End-to-End-Prozesse keine triviale Aufgabe sind – alle Geschäftspartner-Entitäten müssen harmonisiert werden –, griff SAP tief in die Trickkiste und verwendet Fiori als Konsolidierungswerkzeug. Nun betätigt sich Thomas Saueressig als Zuckerbäcker und schafft optische End-to-End-Prozesse von Cloud bis on-premises. Wohl bekomm’s!
Der Ausweg aus dem Dilemma: Die von SAP-Chef Christian Klein versprochene End-to-End-Integration erfolgt nicht auf syntaktischer Datenbank-Ebene – also basierend auf Datenmodellen und Algorithmen, wie es klassische SAP-Bestandskunden aus dem Bereich ERP/ECC 6.0 kennen –, sondern auf semantischer Ebene. Ein Fiori-Zuckerguss wird wie bei einer Torte über alle geleert. Damit schmeckt alles süß und einheitlich – eine inhaltliche Konsistenz ist aber nicht hergestellt!
Das aus R/3-Zeiten berühmte Drill-down bis zum echten Beleg wird mit dieser Fiori-Integration wohl nicht mehr möglich sein, damit ist auch der SAP’sche Mehrwert verloren gegangen. Der SAP-Bestandskunde wird sich im Fall von Qualtrics nun fragen, warum er nicht gleich eine ausgereifte Customer-Experience-Software etwa bei Adobe gekauft hat, auch diese Software lässt sich über eine hübsche und süße Oberfläche – Fiori – in die SAP Business Suite 7 integrieren.