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SAP’sches Carve-out

Der S/4-Code soll gesplittet werden und Business ByDesign outgesourct. Ein Beweis der SAP’schen Fantasielosigkeit. Warum wird Business ByDesign nicht Open Source und S/4 nicht endlich hybrid?
Peter M. Färbinger, E3 Magazin
26. Januar 2023
Editorial
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Carve-out ohne Strategie

Das Reinemachen unter Ex-SAP-CEO Léo Apotheker haben ältere Mitglieder der SAP-Community erlebt: Alles, was keinen zweistelligen Deckungsbeitrag vorweisen konnte, flog aus dem SAP-Portfolio. Es war ein Carve-out ohne Strategie, Vision und Fantasie. Unter anderem fiel die SAP Business School in Klosterneuburg nahe Wien in Österreich dem Rotstift zum Opfer. Naturgemäß konnte eine Bildungseinrichtung keinen zweistelligen Deckungsbeitrag zum SAP-Profit beitragen, aber es war weltweit die einzige Institution, die von einem IT-Unternehmen geleitet wurde und einen anerkannten MBA-Titel vergab – ein Novum in der akademischen Welt. Die Strahlkraft und Bedeutung eines „SAP-MBA“ waren Léo Apotheker nicht bewusst oder nichts wert.

Nun ist SAP-CEO Christian Klein an der Reihe und sein Reinemachen und Carve-out im Konzern lassen keine Wünsche übrig – schade nur, dass er sehr fantasielos und kurzatmig vorgeht. SAP Business ByDesign mag nicht das beste Produkt im Angebot sein, aber noch lange vor dem hysterischen Cloud-Computing-Zeitalter hatten Professor Hasso Plattner und sein damaliger SAP-Technikvorstand Peter Zencke eine revolutionäre Idee: ein konsistentes ERP, gehostet im SAP-Rechenzentrum als Mietmodell für Anwender mit keinem Interesse an Abap und weiteren IT-Aufgaben.

Business ByDesign war seiner Zeit weit voraus und mit zahlreichen Kinderkrankheiten versehen. Wenn SAP noch ein wenig mehr Liebe, Engagement und Zeit investiert hätte, würde es aktuell kein Workday, Salesforce und SuccessFactors geben. SAP hat mit Business ByDesign den Markt wachgeküsst und aufbereitet – andere haben die Ernte eingefahren.

Nun beginnt SAP-Chef Christian Klein den zweiten kapitalen Fehler: Statt Business ByDesign im Zeitgeist weiterzuentwickeln – siehe Red Hat und IBM –, beendet SAP die Weiterentwicklung und übergibt die Wartung dem indischen Konzern HCLTech. Damit sind die Bestandskunden auf der sicheren Seite, weil HCLTech ein sehr seriöses, familiengeführtes Unternehmen ist (die Mehrheit der Aktien ist in Familienbesitz) und beste Beziehungen zu SAP pflegt, aber Christian Klein vergibt eine Jahrhundertchance: Business ByDesign müsste jetzt ein Open-Source-Produkt werden!

Damit würde Christian Klein nicht nur den Markt überraschen und den Aktienkurs beleben, sondern auch Tausende Open-Source-Entwickler für fantastische Innovationen gewinnen. Die eigenen SAP-Entwickler sollten ein Business-ByDesign-S/4-Conversion-Programm entwickeln für die Anwender, denen Business ByDesign zu „klein“ geworden ist. Und Hana sollte naturgemäß die neue Datenbank für Business ByDesign werden, womit sich der Kreis schließt, siehe Red Hat.

Und es ist nicht die einzige Chance, die SAP-Chef Klein aktuell vergibt: Nicht neu ist, dass IS-H eingestellt wird, die SAP’sche Industrielösung für den Gesundheitssektor. IS-H soll von einem SAP-Partner weiterhin gewartet und eventuell auch weiterentwickelt werden. Aktuell spielt IS-H im SAP-Orchester nur eine Nebenrolle, weil es vorwiegend in Deutschland, Österreich und der Schweiz eingesetzt wird. In der Alpenrepublik ist IS-H jedoch so erfolgreich, dass über 90 Prozent der Spitalsbetten mit der SAP-Software verwaltet werden.

Die Entscheidung von Christian Klein, nun IS-H abzukündigen, wiegt doppelt schwer: Viele Spitäler im DACH-Raum evaluieren neuerlich den S/4-Releasewechsel und statt mit dem IS-H-Know-how eine globale Ausrollung zu starten und damit Oracle/Cerner etwas entgegenzusetzen, verabschiedet sich SAP aus diesem lukrativen Markt.

Oracle hat vor einem Jahr für etwa 28 Milliarden Euro den Dienstleister Cerner übernommen, weil offensichtlich Oracle-Chef Larry Ellison an den Erfolg in der Gesundheitsbranche glaubt. Ex-SAP-Chef Bill McDermott hat nach seinem Unfall, bei dem er ein Auge verlor, ebenfalls eine Initiative für die Digitalisierung der Gesundheitsbranche angekündigt. Nun scheinen jedoch Hasso Plattner und Christian Klein anderer Meinung zu sein.

Die Liste der Abkündigungen und Verkäufe will momentan bei SAP nicht aufhören bis hin zu einem Code-Splitting bei S/4 und damit der Schaffung einer On-prem-Abap- und einer Cloud-BTP-Fraktion für Hana und S/4.

Es könnte aber auch sein, dass Hasso Plattner und Christian Klein Gefallen am Konzept des Carve-out gefunden haben. Es wäre die Abspaltung und Veräußerung von Unternehmensteilen als Bestandteil eines SAP’schen Restrukturierungsplans. Unternehmen veräußern einzelne Unternehmensteile häufig im Rahmen der Fokussierung auf das Kerngeschäft. Insofern umfasst der Begriff Carve-out sowohl die Veräußerung von rentablen als auch unrentablen Unternehmensteilen.

Der Zeitpunkt für das SAP’sche Carve-out ist gut gewählt: Wahrscheinlich liegt vor der SAP-Community das letzte Jahr, in dem Professor Plattner noch Aufsichtsratsvorsitzender ist, und Christian Klein muss sich in Stellung bringen gegenüber dem neuen und sehr versierten SAP-CFO Dominik Asam. Er stellt ein signifikantes Gegengewicht zu der Jugendbande aus Christian Klein, Thomas Saueressig und Jürgen Müller dar. Für den Routinier Asam sollte es ein leichtes Spiel werden und vielleicht sehen wir hier schon den neuen SAP-CEO.

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Peter M. Färbinger, E3 Magazin

Peter M. Färbinger, Herausgeber und Chefredakteur E3-Magazin DE, US und ES (e3mag.com), B4Bmedia.net AG, Freilassing (DE), E-Mail: pmf@b4bmedia.net und Tel. +49(0)8654/77130-21


2 Kommentare

  • Hallo Herr Färbiger,

    danke für ihren interessanten Beitrag. In der Tat hätte ich es auch für strategisch äußerst zielführend erachtet wenn SAP mehr Open Source anstatt weniger macht, den der Zug ist schon zu 7/8 abgefahren.

    Sie nennen in ihrem Artikel SalesForce, Workday und SuccessFactors (als Beispiele für erfolgreiche Wettbewerber, wobei SF ja ein SAP Unternehmen ist) was sicher nicht falsch ist, es gibt aber mit Odoo eine echtes hybrides Open Source ERP System, das seit vielen Jahren in Konkurrenz zu den Mittelstandsansätzen von SAP (u.a.) entwickelt wird.

    Es ist jahrelang unter dem Radar geflogen, hat aber seit geraumer Zeit ein exponentielles Wachstum zu verzeichnen. Mittlerweile hat das Unternehmen einen Buchwert von geschätzt 3 % der Marktkapitalisierung von SAP (ist jedoch nicht öffentlich gehandelt) und zieht neben 7 Mio. Nutzern weltweit mittlerweile selbst die Big-4 Unternehmensberatungen magisch an.

    Also interessierter Beobachter und Investor bei der SAP bin ich ähnlich gespannt wie Sie, was die Zukunft bringt, glaube aber auch das SAP viele historische Chancen der Transformation längst verpasst hat. Das früher so zielsichere Gespür für gute Geschäfte an vielen Stellen hat es dabei leider verloren hat. Die jüngste Abkündigung von IS-H verstehe wer will, ich nicht. Gerade der Health Markt ist so ziemlich das Krisensicherste was es gibt. Danke ihnen für den interessanten Beitrag

    Gruß F. Kramer

    • A
      Peter M. Färbinger, E-3 Magazin

      Hallo & vielen Dank für Ihre Stellungnahme. Ja, SAP hat einige Chancen ausgelassen und bekommt Konkurrenz, siehe Odoo. Interessant war in diesem Zusammenhang die Bilanzpressekonferenz von 26. Januar 2023, siehe Link: https://broadcast.sap.com/replay/230126_pc. Hier gab es kein Wort über IS-H, Business ByDesign und den ungelösten Konflikt zwischen On-premises und Cloud Computing, siehe S/4-Code-Splitting. Es bleibt spannend & liebe Grüße …

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Die Arbeit an der SAP-Basis ist entscheidend für die erfolgreiche S/4-Conversion. 

Damit bekommt das sogenannte Competence Center bei den SAP-Bestandskunden strategische Bedeutung. Unhabhängig vom Betriebsmodell eines S/4 Hana sind Themen wie Automatisierung, Monitoring, Security, Application Lifecycle Management und Datenmanagement die Basis für den operativen S/4-Betrieb.

Zum zweiten Mal bereits veranstaltet das E3-Magazin in Salzburg einen Summit für die SAP-Community, um sich über alle Aspekte der S/4-Hana-Basisarbeit umfassend zu informieren. Alle Informationen zum Event finden Sie hier:

SAP Competence Center Summit 2024

Veranstaltungsort

Eventraum, FourSide Hotel Salzburg,
Am Messezentrum 2,
A-5020 Salzburg

Veranstaltungsdatum

5. und 6. Juni 2024

Reguläres Ticket:

€ 590 exkl. USt.

Veranstaltungsort

Eventraum, Hotel Hilton Heidelberg,
Kurfürstenanlage 1,
69115 Heidelberg

Veranstaltungsdatum

28. und 29. Februar 2024

Tickets

Regular Ticket
EUR 590 exkl. USt
Veranstalter ist das E3-Magazin des Verlags B4Bmedia.net AG. Die Vorträge werden von einer Ausstellung ausgewählter SAP-Partner begleitet. Der Ticketpreis beinhaltet den Besuch aller Vorträge des Steampunk und BTP Summit 2024, den Besuch des Ausstellungsbereichs, die Teilnahme an der Abendveranstaltung sowie die Verpflegung während des offiziellen Programms. Das Vortragsprogramm und die Liste der Aussteller und Sponsoren (SAP-Partner) wird zeitnah auf dieser Website veröffentlicht.