Es ist nicht leicht, sich selbst und das Wirken eines globalen IT-Konzerns immer wieder neu zu erfinden. Der verstorbene Harvard-Professor Clayton M. Christensen beschrieb das Paradoxon in seinem revolutionären Buch „The Innovator’s Dilemma“. Was ist zu tun, wenn das Unternehmen globaler Marktführer ist, wie etwa IBM, SAP, Apple und Accenture? Wie gelingt die digitale Transformation, ohne die aktuelle Kundenbasis und Produkterfolge zu kannibalisieren? Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren? Professor Christensen: „Wenn ein Unternehmen versucht, eine disruptive Technologie so weit zu entwickeln, dass sie den Anforderungen der Kunden in etablierten Märkten entspricht ‒ was die meisten führenden Unternehmen tun ‒, ist ihr Scheitern so gut wie sicher.“
SAP-Chef Klein und seine Vorstandskollegen befinden sich auf heikler Mission: Sie müssen SAP gegen erfolgreiche Mitbewerber wie ServiceNow, Uipath, Workday, Oracle und Salesforce sowie zahlreiche Hyperscaler und Start-ups neu positionieren. Gleichzeitig gilt es Rücksicht zu nehmen auf 440.000 Bestandskunden. Es ist das klassische „Innovator’s Dilemma“, das aber Christian Klein sich nicht getraut anzusprechen – und das Professor Hasso Plattner 2014 auf der Sapphire-Bühne im Diskurs mit Professor Clayton M. Christensen zeigte, siehe Seite 20 dieser Ausgabe.
SAP hat sich einer Metamorphose verschrieben. Das wird nicht gelingen. Christian Klein fehlen der Mut und das SAP-Wissen aus 50 Jahren. Vor einem Monat wäre diese Aussage noch Blasphemie am ERP-Weltmarktführer gewesen. Aber die Naivität auf der Sapphire-Bühne 2022 zeigte das ganze Unvermögen: Alles schon einmal da gewesen! Das Partnerkonzept von Christian Klein und seiner Vorstandskollegin Julia White ist in der fünfzigjährigen Geschichte von SAP der gefühlt 99. Versuch, mit Partner auf gleicher Augenhöhe für die Bestandskunden da zu sein. Eine Partnerschaft mit Apple, wie Christian Klein stolz präsentierte, gab es schon 2016 mit Handschlag zwischen Apple-Chef Tim Cook und Ex-SAP-Chef Bill McDermott, siehe Seite 20 dieser Ausgabe. Nichts Neues unter den Scheinwerfern der Sapphire.
SAP hat eine erfolgreiche Vergangenheit und alle Chancen für die Zukunft. Es fehlt an Inspiration. Es fehlt das Wissen um die SAP’sche Historie, somit macht der junge Vorstand um Christian Klein alle Fehler wieder von Neuem. Ein Gerd Oswald oder Michael Kleinemeier könnte diesem unrühmlichen Treiben naturgemäß ein Ende setzen, weil sie schon durch alle dieser Täler der Tränen marschiert sind. Klein, Müller, Saueressig und White machen die alten Fehler zum ersten Mal selbst – die Erfahrung sei ihnen gegönnt, aber sie gefährden die Existenz von SAP.
Die wenigen Innovationen, wie etwa Leonardo, wurden leichtfertig und verantwortungslos in den Sand gesetzt. Dem Megatrend Cloud Computing läuft SAP hinterher. Christian Klein ist nicht dumm: Er hat erkannt, dass sich SAP verändern muss. SAP braucht eine Metamorphose – ähnlich wie sie Microsoft vor vielen Jahren eingeleitet hat. Aber Microsoft war furchtlos. Microsoft hatte keine Angst, das eigene Geschäftsmodell zu korrumpieren, damit aus dem Niedergang eine umso strahlendere Microsoft erwächst.
Die Zahlen der vergangenen Quartale machen dem SAP-Vorstand Hoffnung. Während der Gesamtumsatz 2021 kaum wuchs, verzeichnete das Cloud-Geschäft ein Plus von 17 Prozent. Und dennoch gilt der Satz von Christensen: „Wenn ein Unternehmen (SAP) versucht, eine disruptive Technologie (S/4 Hana Cloud) so weit zu entwickeln, dass sie den Anforderungen der Kunden (SAP-Bestandskunden) in etablierten Märkten (SAP-Community) entspricht ‒ was die meisten führenden Unternehmen tun ‒, ist ihr Scheitern so gut wie sicher.“