SAP kauft LeanIX, statt zu kooperieren
SAP, Signavio und LeanIX harmonisieren
Was technisch und organisatorisch gut zusammenpasst, muss nicht unbedingt strategischen und visionären Sinn ergeben. Die Kombination aus ERP von SAP, Process Mining von Signavio und Enterprise Architecture Management von LeanIX kann einen hohen Mehrwert für die Digitalisierung bei den SAP-Bestandskunden bringen. Beim Umstieg von SAP ECC 6.0 auf S/4 Hana gilt es viele alte Zöpfe abzuschneiden und die eigene Aufbau- und Ablauforganisation zu digitalisieren. Hierbei kann Signavio einige ERP-Prozesse kritisch hinterfragen und vielleicht einige Abap-Modifikationen eliminieren.
LeanIX hat als Architekt nicht nur ERP im Fokus, sondern alle IT-Applikationen eines Unternehmens. Das Start-up aus Bonn ist somit Enterprise-Architekt und eben nicht ERP-, CRM- oder SCM-Architekt. So gesehen ist LeanIX ein Universalist, während SAP ein Spezialist ist. Unabhängig von Umsatz und Mitarbeiteranzahl: LeanIX ist mehr als ERP und damit zu groß für SAP. Wenn der Baumeister (SAP) nun den Architekten (LeanIX) kauft, vergrößert der Baumeister seine Macht und seinen Einfluss. Daraus entsteht aber weder für den Architekten noch für die Kunden (SAP-Community) ein Mehrwert.
Panikkäufe bei SAP
Die SAP-Community kennt das reflexartige Verhalten von SAP: zuerst Desinteresse, eine Entwicklung wird verschlafen, dann Panik und wilder Aktionismus mit oft unüberlegten Handlungen. Natürlich hat SAP den CRM-Trend in Richtung Customer Experience verschlafen. In Panik kaufte man für acht Milliarden Euro das US-amerikanische Unternehmen Qualtrics. Naturgemäß konnte zuerst SAP-CEO Bill McDermott und später SAP-CEO Christian Klein damit keine Probleme lösen. Also wurde Qualtrics verkauft. Nur dem Geschick von Ex-SAP-CFO Luka Mucic ist zu verdanken, dass dieser Irrtum zumindest finanziell ein Gewinn war.
Zuerst stand das Münchner Start-up Celonis auf der SAP-Preisliste, dann wollte sich Celonis partout von SAP nicht kaufen lassen. Tief beleidigt eliminierte SAP den einstigen Partner von der Preisliste und kaufte in einer Trotzreaktion das Berliner Start-up Signavio. Die Integration von Signavio in das SAP-Universum ist bis heute nicht geglückt. SAP Cloud ALM ist noch immer eine Baustelle. Aber Celonis hat mittlerweile eine Bewertung von 13 Milliarden Euro, siehe auch die fantastische Celonis-Reportage von meiner Kollegin Christina Kyriasoglou im Manager Magazin: Wie Deutschlands wertvollstes Start-up erwachsen werden will.
Die Freiheit über den Wolken
Sollte es LeanIX-Co-Gründer André Christ gelingen, eigenständig und frei zu bleiben, dann wird meine Kollegin Christina Kyriasoglou vom Manager Magazin wahrscheinlich in wenigen Jahren eine ähnliche Erfolgsgeschichte über LeanIX schreiben, wie sie es vor wenigen Wochen über Celonis tat. Sollte aber nun LeanIX von SAP übernommen werden und damit in der Bedeutungslosigkeit versinken, ist die SAP-Community um einen wesentlichen Mehrwert ärmer.
Natürlich braucht SAP nach Signavio auch LeanIX, um eine glaubhafte Cloud-Computing-Story den Bestandskunden präsentieren zu können. SAP Cloud Application Lifecycle Management (ALM) ist eine unendliche Baustelle und ohne Enterprise Architecture Management (EAM) von LeanIX nur ein Versuch und keine Antwort. SAP braucht für ein konsistentes ALM nicht nur Signavio, sondern auch LeanIX und letztendlich auch Tricentis für das automatisierte Testen in der Public Cloud.
Der Bauch des Architekten
SAP-CEO Christian Klein sollte sich unbedingt den Film „Der Bauch des Architekten“ von Regisseur Peter Greenaway aus dem Jahr 1987 ansehen, um zu lernen, dass das wirkliche Leben komplex und gefährlich sein kann, aber auch voller Überraschungen. Naturgemäß will Klein die Kontrolle über eine ALM-Roadmap. Manchmal sind aber Kooperationen sinnvoller als rohe Gewalt, siehe den erwähnten Film von Greenaway. Der SAP-Community, die aktuell bereits LeanIX auch für viele Non-SAP-Applikationen einsetzt, wäre mit einer Übernahme durch SAP nicht geholfen. LeanIX wäre dann, wie Signavio, nur eine weitere Baustelle im SAP-Universum, aber ohne EAM-Mehrwert für die Bestandskunden.