SAP kann mehr


SAP ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen und ebenso nahmen die Herausforderungen, die an SAP gestellt wurden, zu. In dieser Melange aus Verteidigung der Marktanteile, Investitionsschutz für die Bestandskunden, Innovation und Wettbewerb mit den IT-Mitbewerbern, Kooperationen mit Freunden entstand ein großes ERP-Angebot sowohl in der Breite als auch Tiefe.
Zu Beginn war SAP ein ERP-Programmierer. Der Fokus lag auf einer betriebswirtschaftlichen Standardsoftware. Aufgaben wie die Datenspeicherung und -verwaltung überließ SAP den Daten- bankanbietern wie Oracle, IBM und Microsoft. Notwendige Middleware gab es unter anderem als WebSphere von IBM – bevor SAP NetWeaver aktiviert wurde. Die Software-Module eines SAP R/3 waren wohlgeordnet und überschaubar.
In den Folgejahren hat SAP bewiesen, dass das Unternehmen mehr kann, als ein ERP-Blackbox-System anzubieten. Sichtbar für alle waren die Middleware NetWeaver und die Datenbank Hana. Damit begannen aber auch die Probleme: NetWeaver war Abap-orientiert, dann kam Java hinzu und dann gab es den „berühmten“ Dualstack, der nachgelagert unter großer Kraftanstrengung wieder aufgelöst wurde. SAP kann fast alles, aber oft fehlt es an Orchestrierung und Werthaltigkeit.
Was in den Labors bei SAP oft ein kleiner Schritt ist, verursacht bei den Bestandskunden hohe Kosten: Selbst kleine Anpassungen der ERP-Strategie bedeuten mehrmaliges Testen, Anpassen externer Schnittstellen und Legacy-Programme sowie umfangreiche Schulungen der Anwender. SAP kann viel und mehr, aber nicht immer zum Vorteil der eigenen Bestandskunden.
Was für den Informatiker bei SAP vielleicht ein eleganter Algorithmus ist, kann eine gesamte Aufbau- und Ablauforganisation beim Anwender kollabieren lassen. SAP – getrieben durch Mitbewerber und Finanzanalysten – ist für Bestandskunden oft unberechenbar, sodass sich das wohlwollende und positive „SAP kann mehr“ ins Gegenteil verkehren kann. Und: SAP leidet zunehmend unter einer Sprachlosigkeit! Seit vielen Jahren sind die Kommunikation und das Vertrauen zwischen SAP und den Kunden beschädigt.
Dieses Jahr haben der Anwenderverein DSAG und SAP gemeinsam die Bestandskunden zur Teilnahme an der jährlichen Investitionsumfrage aufgerufen: Aus dem gesamten deutschsprachigen Raum gab es nur etwas mehr als 200 Antworten. Was denkt sich die schweigende Mehrheit der SAP-Bestandskunden? Haben die Kommunikationsverweigerer bereits bei Oracle, Workday, Salesforce und ServiceNow unterschrieben?
Der SAP-Aktienkurs gibt Anlass zur Freude und Hoffnung, aber bei genauerer Betrachtung kann SAP mehr und ist innovativ wie zu Beginn der Unternehmensgeschichte. Was nun? Das ERP-Angebot hat sich in den vergangenen Jahren vervielfacht. Die Vermittlung und Übertragung der frohen Botschaft tendieren gegen null, was letztendlich Marktanteile und Geschäftserfolg kostet, wie das englischsprachige Wirtschaftsmagazin The Economist festgestellt hat: „AI agents are turning Salesforce and SAP into rivals. Artificial intelligence is blurring the distinction between front office and back office.“
Das Marktforschungsunternehmen Gartner geht davon aus, dass zwischen 2020 und 2024 Konkurrenten wie Workday den Anteil von SAP am ERP-Geschäft von 21 auf 14 Prozent gesenkt haben. Trotz der Bemühungen wie SAP C/4 Hana (das „C“ steht hier für CRM) im Front-Office-Bereich ging der CRM-Umsatz in dieser Zeit zurück, während Salesforce seinen Anteil von 20 Prozent an einem wachsenden Markt halten konnte. Was passiert hier?
Mehr als ein Viertel der Unternehmen in Deutschland geht davon aus, dass KI in den kommenden fünf Jahren zum Abbau von Stellen führen wird. Unternehmen erwarten einen durch KI beschleunigten Strukturwandel.
SAP hat mit Nvidia eine vielversprechende KI-Kooperation beschlossen. Mit BTP (Business Technology Platform) und BDC (Business Data Cloud) engagiert sich der ERP-Anbieter als Plattformlieferant. Im Informatikbereich findet der Anwender neben der Hana-Datenbankplattform bei SAP Engines für Graph- und Vektor-Computing. SAP kann mehr!
Aktuell bringt SAP aber wenig von den Innovationen zu den Bestandskunden, weil diese mit einer S/4-Conversion und Lizenzverträgen beschäftigt sind. Vor lauter Bäumen sieht niemand mehr den Wald und eine SAP-Roadmap durch das Unterholz fehlt. Die Herausforderung besteht darin, die entstehenden Produktivitätsgewinne des SAP-Angebots in breiten Wohlstand zu übersetzen – ohne größere Verwerfungen in der betriebswirtschaftlichen Aufbau- und Ablauforganisation der SAP-Bestandskunden zu erzeugen.