SAP kann mehr, oder?
Immer mehr Mitglieder der SAP-Community fragen sich, ob SAP wieder einen Megatrend verschläft. Altgediente Bestandskunden aus der SAP-R/3-Ära erinnern sich an die Jahrtausendwende, als diskutiert wurde, ob SAP das Internet verschläft. Während zum Höhepunkt der Dotcom-Ära SAP nichts anderes als bunte Visitenkarten mit dem neuen Logo „mySAP.com“ vorweisen konnte, transferierten andere IT-Unternehmen schon ganze Applikationen ins Internet – als Vorstufe zum Cloud Computing – und stürzten ab.
Damals entstand auch der Spruch: Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen überholen die Langsamen. SAP war um die Jahrtausendwende sehr langsam und blieb es: Noch 2015 präsentierten Professor Hasso Plattner und der damalige SAP-CEO Bill McDermott den ECC-Nachfolger S/4 als reines On-prem-System. Bei der Veranstaltung in New York, USA, sprach niemand über Cloud Computing. Erst die vielen Aufkäufe von Cloud-Unternehmen durch Bill McDermott erweckten das Bewusstsein für diese Technik beim ERP-Weltmarktführer.
KI und SAP
SAP-Chef Christian Klein hat schnell gelernt und begonnen, das Unternehmen auf eine Cloud-Roadmap zu führen. Offensichtlich ist dieser Weg anspruchsvoll und beschwerlich, sodass der zweite, aktuelle Megatrend übersehen wurde: künstliche Intelligenz. Christian Klein hat wohl das Defizit erkannt und redet seit einigen Monaten über KI ebenso oft wie über Cloud. Die Worte hörte die SAP-Community wohl, allein es fehlt den Bestandskunden am Glauben daran. SAP will, kann aber nicht KI, oder?
Durch die schnelle und einfache Verfügbarkeit von ChatGPT nahm das Thema KI seit 2022 sehr viel Fahrt auf. Offen bleibt aber vielfach aus DSAG-Sicht, was KI in Form von konkreten Anwendungen bedeutet. Dabei wurde KI bereits weit vor dem Hype um generative KI und Large Language Models (LLMs) bei SAP eingesetzt, um etwa Prozesse zu automatisieren oder um Cyberbedrohungen mittels Machine- und Deep-Learning-Modellen besser zu erkennen.
Aleph Alpha
Jürgen Müller hätte es in der Hand gehabt, die 3000 DSAG-Mitglieder der Technologietage in Hamburg zu überraschen und ein Zeichen zu setzen, wenn er gemeinsam mit Aleph-Alpha-Chef Jonas Andrulis und Signavio-Mitgründer Gero Decker auf die Bühne gekommen wäre. Bei einer Handelsblatt-Veranstaltung Ende vergangenen Jahres schwärmte Jonas Andrulis von dem Potenzial seines Large Language Model in Kombination mit dem Process Mining von Signavio. Diese Kooperation wäre ein Gamechanger und würde in der B2B- und ERP-Welt weit über ChatGPT hinausreichen.
Christian Klein und Jürgen Müller könnten einen überzeugenden KI-Auftritt hinlegen, wenn finanzielle und organisatorische Mittel bereitstehen. Während andere IT-Unternehmen und SAP-Bestandskunden Hunderte Millionen bis zu mehreren Milliarden Euro investieren, begnügt sich SAP mit sehr bescheidenen einstelligen Millionenbeträgen. Bereits ein kooperativer Umgang zwischen den drei Akteuren Gero Decker (Signavio), André Christ (Lean-IX) und Jonas Andrulis (Aleph Alpha) könnte SAP-Technikvorstand Jürgen Müller eine Sternstunde bescheren. Er hat es in der Hand: SAP kann mehr.