SAP hat den Golden Record gefunden


Zehn Jahre S/4 und noch immer bangt und zittert SAP, ob die finale S/4-Conversion gelingen kann. Kein ERP-Releasewechsel hat sich über einen ähnlich langen Zeitabschnitt gequält. Als schon alles verloren schien, zauberte SAP-Chef Christian Klein Rise aus dem Hut wie ein ungeübter Zauberer ein verschrecktes Kaninchen. „Denk an unsere SAP-Aktien“, sagt meine Frau zu mir. Sie hat sich nie für Aktien interessiert. Die Performance von SAP beeindruckt sie aber, weil sie Christian Klein und seinen Finanzvorstand Dominik Asam sehr sympathisch findet. Transparenzhinweis: Die beste Freundin meiner Frau hat einst bei Siemens für Dominik Asam gearbeitet.
Der SAP-Aktienkurs steht im Widerspruch zu den Misserfolgen bei uns Bestandskunden: Auch wir zögern in vielen Teilen unseres Konzerns. Ein Releasewechsel auf S/4 kostet viele Ressourcen und bringt teilweise keinen Mehrwert. Der SAP-Aktienkurs kennt momentan nur eine Richtung. Unsere ERP-Strategie ist in den vergangenen Jahren aufgrund der Wünsche unserer Endanwender sehr heterogen geworden.
Wir haben in Teilorganisationen sehr erfolgreiche S/4-Public-Cloud-Implementierungen. Aber ähnlich erfolgreich sind auch viele ECC-Installationen mit SAP BTP. Die SAP Business Suite 7 auf Hana ist noch immer ein starkes und gutmütiges ERP-Arbeitspferd. Die Ergänzung um SAP Business Technology Platform bringt neue Themen wie KI und Robotic Process Automation zu den Applikationen. Und fast flächendeckend verfolge ich als Group CIO einen stringenten Clean-Core-Ansatz.
Das Thema Datenmanagement scheint bei SAP jedoch von Misserfolgen geprägt zu sein. Aus den frühen Anfangsjahren ist mir immer noch eine lebhafte Diskussion um das Thema MDM in Erinnerung (Master Data Management – nicht zu verwechseln mit Mobile Device Management, MDM, auch das gab es einst bei SAP). Der Golden Record ist in der IT-Szene seit vielen Jahrzehnten ein definierter Begriff und SAP scheint diesem Phänomen ähnlich hinterherzujagen wie viele abergläubische Menschen dem Goldschatz am Ende des Regenbogens.
Bereits in dem vielfach zitierten Buch „Algorithmen und Datenstrukturen“ des vor etwa einem Jahr verstorbenen Informatikprofessors Niklaus Wirth wird auf die Dualität von Daten und Prozessen hingewiesen. Betrachte ich die SAP-Historie aus gebührendem Abstand, dann erkenne ich eine Schieflage zugunsten von Geschäftsprozessen. Die betriebswirtschaftlichen und organisatorischen End-to-End-Prozesse waren SAP immer ganz besonders wichtig. Daten waren sehr wohl immer der Treibstoff, aber eine ausgewiesene Datenpflege hat es bei SAP nur selten gegeben. Eine Diskussion um den Golden Record habe ich bei SAP nie vernommen.
Es ist aber falsch zu behaupten, dass sich SAP nie um das Wohl der ERP-Daten sorgen wollte. Uns sind noch die Versuche und Fehlschläge von SAP Data Hub in guter Erinnerung. Datasphere mag nun eine marginale Verbesserung darstellen, aber auch meine SAP-Stammtischschwestern und -brüder können keine fundamentale Verbesserung feststellen. Nun aber will SAP mithilfe von KI das Thema Datenmanagement wieder einmal ganz neu angehen.
Auf Business Technology Platform gibt es den Gen AI Hub. Es ist ein mächtiges Werkzeug, um eine Verbindung zu KI-Services und LLMs herzustellen. Viele unserer SAP-Basis-Mitarbeiter sind mit dem Umgang vertraut und haben in den vergangenen Monaten sehr interessante Pilotprojekte bezüglich Data-Clearing und -Management erstellt. BTP wird in der SAP-ERP-Welt immer mehr zum Standard und scheint nicht auf die Umgebung S/4 beschränkt zu sein. Im Gegenteil: BTP könnte das Fundament für das vergangene ERP (ECC 6.0), das aktuelle (S/4 Hana) und ein zukünftiges ERP sein. Damit wäre vielleicht auch der sehr solide Aktienkurs von SAP gerechtfertigt, wenn SAP eine Basis für KI und Datenmanagement schafft, denn wahrscheinlich sind Daten wichtiger als Prozesse, oder? Lesen Sie das Buch von Professor Niklaus Wirth.