S/4-Potenzial für Enttäuschungen


SAP ist in den vergangenen Jahren mit einer Me-too-Strategie erfolgreich unterwegs gewesen. Früh hat der Ex-SAP-CEO Bill McDermott auf Cloud Computing gesetzt und zugekauft, bis die SAP-Kassen leer waren, aber der damalige SAP-CFO Luka Mucic administrierte die Finanzen weitsichtig: Die finanztechnische Katastrophe blieb aus.
McDermott-Nachfolger Christian Klein hatte aber alle Hände voll zu tun, um die zahlreichen Cloud-Zukäufe technisch zu konsolidieren und zu orchestrieren. Zwischenzeitlich hatte CEO Klein schlechte Nachrichten und der SAP-Aktienkurs sank auf 80 Euro. Nach einigen Wochen der Turbulenzen und Zolldiskussion hat die SAP-Aktie wieder das Potenzial, die Marke von 300 Euro zu erreichen. Das deutschsprachige Handelsblatt (handelsblatt.com) berichtete dazu: „,Die Bewertung von SAP ist im Vergleich zur Konkurrenz und der eigenen Historie sehr hoch – der Markt preist das langfristige Wachstumspoten-zial ein‘, sagt Markus Golinski, Fondsmanager bei Union Investment. Um den Kurs zu rechtfertigen, müsse der Softwarehersteller in den nächsten Jahren die Profitabilität deutlich steigern und höhere Gewinne liefern.“
Wo ist Potenzial für Enttäuschungen vorhanden? Noch immer ist unklar, mit welchen Produkten und Services das kommende Jahrzehnt gestaltet werden soll und welche Strategie in den Bereichen Cloud und KI zum Tragen kommt.
SAP-Chef Christian Klein hat ein Bekenntnis zu S/4 Hana abgegeben und den Bestandskunden versprochen, dass S/4 bis 2040 in der regulären Wartung sein wird. Der dürftige und mangelnde Erfolg von S/4 macht diese Aussage aber wertlos. Ein Produkt, das niemand will, muss nicht bis 2040 künstlich am Leben gehalten werden. Nach zehn Jahren S/4-Releasewechsel hat SAP dieses Dilemma erkannt und nach „Cloud First“ die Parole „Suite First“ ausgegeben – die neue SAP Business Suite!
In seiner bemerkenswerten Einführungsrede auf der SAP-Hauptversammlung 2025 hat CEO Christian Klein mit keiner Silbe „Hana“ oder „S/4“ erwähnt. Er sprach fortlaufend von Cloud First, Suite First und AI First sowie den beiden Plattformen BTP und BDC. Damit scheint die ERP-Produkt-Roadmap gesetzt zu sein, was einer indirekten Abkündigung von S/4 gleichkommt. Sollte die neue SAP Business Suite (naturgemäß mit dem S/4-Code als Kern, siehe „Clean Core“-Konzept) ein Erfolg werden, dann wird 2040 niemand mehr nach S/4 Hana fragen.
Das Potenzial für Enttäuschung ist naturgemäß bei Me-too (Cloud Computing) und Relaunch (Business Suite) hoch, weil Innovationen, die ein Alleinstellungsmerkmal darstellen, weitestgehend fehlen. SAP ist mit Cloud Computing erfolgreich. Der ERP-Weltmarktführer ist in diesem Bereich aber nur eine kleinere Kopie der Hyperscaler oder ein Nachahmer vieler Cloud-only-Unternehmen. Auch die IT-Strategie von SAP hat aktuell ein hohes Potenzial für Enttäuschung, weil im wichtigen Sektor KI lediglich auf Partnerschaften gesetzt und Eigenentwicklung nur bedingt vorangetrieben wird. Im deutschsprachigen Handelsblatt war somit auch zu lesen, wie ein Mitbewerber an das Thema künstliche Intelligenz herangeht: „Der Technologiekonzern Siemens will eine führende Rolle bei KI in der Industrie übernehmen. ,Siemens will das große Sprachmodell für die Industrie stellen‘, sagte Technologie- und Strategievorstand Peter Körte in seinem ersten großen Interview dem Handelsblatt. Der Konzern wolle pro Jahr dreistellige Millionenbeträge in KI inves-tieren, den Großteil davon in das Sprachmodell. ,Es wird auch Halluzinationen minimieren, das brauchen wir in den Fabriken nicht.‘“
Noch weigert sich SAP, entsprechende Ressourcen in die KI-Entwicklung zu investieren. Aber ein Sprachmodell auf Basis jahrzehntelanger ERP-Erfahrung könnte ein Alleinstellungsmerkmal werden. Ob SAP schon bereit ist, dieses KI-ERP-Potenzial nach dem S/4-Hana-Desaster zu heben, ist noch unbeantwortet.