On-prem-Cloud
Natürlich ist es journalistisch ein wenig überzogen, zu schreiben, dass SAP letztendlich Qualtrics verkauft. SAP will Qualtrics in den USA an die Börse bringen, um so Schadensminimierung zu betreiben. Der Nutzen soll ein doppelter sein: SAP bekommt ein wenig Geld zurück und Qualtrics kann eigenständig seinen Erfolgslauf fortsetzen.
Die Kehrseite der Medaille: Die Integration dieser Cloud-Lösung in das SAP-Universum und die Transformation auf die Hana-Plattform sind offensichtlich gescheitert. Es ist nicht gelungen, die Qualtrics-Algorithmen zu bändigen und auf der Hana-Plattform zu beheimaten. Es ist eine bittere Niederlage für SAP!
Aber Christian Klein hat das Desaster schon vergangenen Sommer gesehen, nur konnte er damals noch nicht reagieren. In der Zwischenzeit sind zahlreiche SAP-Bestandskunden den Qualtrics-Integrationsversprechungen auf den Leim gegangen. Nun gilt es die bittere Pille zu schlucken: Qualtrics bleibt eigenständig. Einen End-to-End-Prozess wird es nur in homöopathischen und kosmetischen Versuchen mittels Fiori geben.
Das Qualtrics-Desaster wir nicht das einzige bleiben. Es gibt Anwendungen, die sich für das Cloud Computing eignen, und solche, die das nicht tun. Die Schlussfolgerung von Larry Ellison ist somit konsequent und richtig: ERP-Anwender brauchen ein neues Cloud-Konzept, vielleicht auch ein neues Rechenzentrumskonzept, das über Hybrid Cloud hinausgeht. Oracle verteufelt nicht das Prinzip „Cloud“, bemängelt aber die Umsetzung.
ERP ist eine intime Herausforderung, die nur in einem geschützten Bereich zur Ausführung kommen sollte. Ein modernes Rechenzentrum ist die natürliche Heimat eines ERPs. SAP-Bestandskunden haben jahrzehntelang an der Konsolidierung, Harmonisierung und Virtualisierung geschraubt und gefeilt – es kann nicht alles falsch gewesen sein.
Wir haben immer schon stark auf eigene Rechenzentren oder das Anmieten von RZ-Ressourcen gesetzt. Mit entsprechender Planung und langfristigem Denken ergeben sich dadurch keine Nachteile gegenüber den Hyperscalern. Es ist eine Frage des Horizonts. Blickt der CIO nur bis zum nächsten Releasewechsel, erscheinen die Angebote der Hyperscaler als sehr verlockend. Betrachtet der CIO hingegen das vorhandene Intellectual Property seines IT-Reichs, dann ergeben sich Bewertungskriterien, die On-prem und Cloud als fast ebenbürtig erscheinen lassen.
Oracle versucht mit einem neuen Cloud-Ansatz das Wertvolle eines On-prem-Ansatzes zu erhalten, ohne auf Skalierungseffekte des Cloud Computings zu verzichten. Ellisons Idee ist jedoch kein hybrider Ansatz nach dem Motto, man nehme von beidem nur das Beste. Oracle versucht von Grund auf zwei Konzepte zu verheiraten – in der Hoffnung, dass eins plus eins dann drei ergibt. Es scheint, dass hier eine neue IT-Klasse, eine On-prem-Cloud entsteht. Hier ist nicht nur SAP, sondern es sind auch die Hyperscaler gefordert.
Für SAP erwächst aus dem Oracle-Konzept eine große Gefahr, weil letztendlich die Cloud-only- und Cloud-first-Philosophie damit infrage gestellt wird. Rein betriebswirtschaftlich vegetiert SAP ohnehin zwischen den Hyperscalern. SAP braucht Verbündete, kann aber keine eigene Kompetenz aufbauen. SAP braucht Partner, kann aber deren Preisen nichts entgegensetzen.
Es ist ein Dilemma für SAP, dessen aktueller Ausweg unter anderem die Börsennotierung von Qualtrics darstellt. Daneben gibt es naturgemäß Anwendungen, die nur in der Cloud leben und überleben können: Eine Handelsplattform wie Ariba ist ein positives Beispiel. Aber die Personaldaten hätten die allermeisten CIOs lieber im eigenen Safe.
SAP ist unser ERP-Marktführer. SAP ist App-Innovator und Leitkultur für die digitale Transformation. Aber SAP ist keine Cloud-Company – weder auf Basis einer spezifischen IT-Tradition noch auf Basis existierenden Wissens. Selten passte das Sprichwort „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ besser auf SAP als in der momentanen Cloud-Hysterie. Sollte Oracle mit seiner neuen On-prem-Cloud Erfolg haben gegenüber den Hyperscalern und anderen Hybrid-Cloud-Konzepten, wird SAP zum Strategiewechsel gezwungen – was nicht zum Nachteil für uns Bestandskunden sein muss.