Einfach, schnell und kostengünstig
Schon vor einigen Jahren hatte Gartner über den enormen Engpass an Applikationsentwicklern berichtet, und viele Firmen hatten im eigenen Unternehmen festgestellt, dass die notwendigen Entwickler fehlen beziehungsweise die Wartezeit für die Entwicklung einer neuen Applikation extrem lang ist.
Für mich wurde das in den vergangenen Monaten bei zwei Kunden greifbar: Zunächst ist hier exemplarisch die Mitarbeiterin aus dem Customer Office in einem internationalen Unternehmen zu nennen, die nach jedem Company-Meeting alle Fragen in einer Excel-Tabelle konsolidiert. Anschließend erzeugt sie daraus ein Word-Dokument mit den Frequently Asked Questions, macht daraus eine PDF-Datei und stellt diese Datei im Intranet bereit – und das nach jedem Company-Meeting.
Die Lösung: Die Mitarbeiterin nimmt Power Apps, baut damit ein Formular, in das die Fragen vor und während des Meetings direkt eingegeben werden können, beantwortet dort die Fragen und pflegt die Antworten ein, sodass sie für alle Kollegen immer sofort verfügbar sind. Kein Excel, Word, PDF. Einfach zu verwenden, passende Berechtigungen für Mitarbeiter und Editoren, immer aktuell und mit deutlich weniger Wartungsaufwand.
IT-Ressourcen und Workarounds
Beim zweiten Beispiel geht es um die Mitarbeiter aus dem Einkauf: Die Anforderungen für eine neue App, die den Wareneingang erfassen soll, sind da. Aber die IT hat mitgeteilt, dass die notwendigen Ressourcen zur Entwicklung frühestens in sechs Monaten verfügbar sein werden.
Man komme einfach nicht mehr hinterher. Also werden aus der Not heraus fehleranfällige Work-arounds gebaut und die Daten werden anschließend „von Hand“ ins SAP-System übertragen. Die vorhandenen Mittel gehen dann meist vorbei an Security, Qualitätsmanagement und an den eigentlichen Prozessen. Dies bringt teils große Risiken mit sich, bis hin zum Verlust von Daten. Keiner ist glücklich mit der Situation – „aber man kann halt nichts machen“.
Wahrscheinlich hat sich auch deshalb bei vielen Firmen ein „Business-kritisches Excel“ etabliert, mit dem Unternehmen parallel zu ihrer SAP-Umgebung arbeiten (müssen).
Dank OData lassen sich die Daten zwar inzwischen relativ einfach mit dem „Single Source of Truth“-SAP-System synchron halten und mit zahlreichen Excel-Makros zudem komplexere Abläufe abbilden – aber das war eigentlich nie Sinn und Zweck dieser Programme.
Dank SAP Ruum, SAP Intelligent RPA, SAP Conversational AI oder dem neuen AppGyver haben SAP-Anwender inzwischen verschiedene Tools an die Hand bekommen, die sie selbst ermächtigen sollen, neue Benutzerinterfaces zu entwickeln und Prozessabläufe zu automatisieren. Der SAP Store for iRPA bietet hier zum Beispiel einen hervorragenden Ansatzpunkt und zeigt, wie sich SAP-Prozesse nun leichter automatisieren lassen.
Neben diesen neuen Tools von der SAP gibt es zahlreiche andere Anbieter, die sich schon deutlich länger auf dem LCNC-Markt tummeln. So bietet Microsoft mit der Po-wer Platform eine umfassende Low-Code-/No-Code-Umgebung, die sogar kürzlich von Forrester mit einer Top-Bewertung im Leader-Quadranten für Low-Code-Plattformen ausgezeichnet wurde.
Anders als die oben genannten Tools spricht die Microsoft Power Platform dabei nicht den Hardcore-SAP-Anwender an, der sich, ans SAP GUI gewohnt, schnell mit Ruum, iRPA und CAI zurechtfinden kann, sondern adressiert eher den Benutzer, der aus der Office-Welt kommt und schnell -Daten aus dem SAP-System braucht und zurückschreiben möchte.
Ruum versus Power Automate
Das fängt beispielsweise mit den sogenannten Flows von Power Automate an. Diese können direkt aus Excel heraus erstellt und angestoßen werden. So kann beispielsweise ein Benutzer Änderungen in einer Excel-Datei entweder automatisch oder über einen manuellen Trigger in Excel direkt anstoßen und damit Informationen ins SAP-System schreiben beziehungsweise Daten lesen.
Andere populäre Beispiele kommen aus dem Outlook-Bereich: Hier können über Power Automate Desktop einfache Schritte mit wenigen Klicks oder sogar komplexere Prozesse automatisiert werden. Das können Prozesse sein, die angestoßen werden, wenn die E-Mail vom Chef kommt oder eine Nachricht von einem wichtigen Partner oder Lieferanten.
Dies kann sogar so weit gehen, dass von dort eine Bestellung aus der angehängten PDF-Datei automatisch mittels des verfügbaren AI Builders ausgewertet und ein Workflow im SAP-System gestartet wird.
Ist noch nicht klar, welche Prozesse optimiert werden können, so hilft der eingebaute Process Advisor, diejenigen Schritte zu identifizieren, die im Unternehmen viel Zeit benötigen und verschlankt und automatisiert werden können.
Mit Power Apps lassen sich wie im ersten Beispiel beschrieben recht einfach neue Applikationen bauen, ohne dass Programmierkenntnisse erforderlich sind. Fast schon wie unter Power Point – mit etwas Wissen wie aus der Excel-Makro-Welt – können Nutzer so beispielsweise mit wenig Aufwand Daten anzeigen und durchsuchbar machen oder Eingabemasken schreiben.
Selbst wenn wenig oder kein Wissen über Makros vorhanden ist, können Anweisungen auch als normaler Text beschrieben und über künstliche Intelligenz in die
entsprechenden Befehle „übersetzt“ werden. Aus einem „Zeig mir die Kunden aus Deutschland, deren Abo abgelaufen ist“ wird dann ein Filter(Customers, ‚Address 1: Country/Region‘ = „DE“ and ‚Subscription‘ = „Expired“). Business-Anwender können sich so wirklich auf die Applikation, nicht auf die Technologie konzentrieren.
Der Power Virtual Agent hilft bei der Erstellung von Bots. Ob die Bereitstellung von Chats im Support- und Servicebereich oder als Hilfewerkzeug für Mitarbeitende, um den letzten Gehaltszettel oder Urlaubsantrag abzurufen oder einfach um zu erfahren, was es heute in der Kantine zu essen gibt: Ein kurzer Chat kann hier schnell Antworten liefern, und das nicht nur in einem Browser oder über WhatsApp, sondern selbstverständlich auch in Microsoft Teams.
Apropos: Um eben nicht (nur) den Hardcore-SAP-Anwender anzusprechen, können alle Teams-Anwender die Power Platform direkt aus Teams heraus aufrufen. Damit können wir neue Technologie an eine bestehende Nutzergruppe heranbringen – ohne weitere Schulungen.
Automate, Apps und Agents
Das Überzeugende an Power Automate, Power Apps und Power Virtual Agent ist, dass alle drei Produkte auf dem gleichen Framework aufbauen. Die Konnektoren, die für Power Automate vorhanden sind, können genauso in Power Apps oder Vir-tual Agent verwendet werden.
Dadurch ergeben sich extrem schnell Synergieeffekte. Ist erst einmal die Verbindung zum SAP-System, zu SharePoint oder zur Datenbank hergestellt, können mit nur wenigen Klicks ganz neue Anwendungen erstellt werden.
Oft wird der LCNC-Ansatz von „echten“ Entwicklern belächelt. Die Power Platform vereint jedoch beide Welten, denn es werden die Stärken der jeweiligen Gruppen betont. Der Fachexperte kann seine einfachen, aber erforderlichen Anforderungen toolgestützt und mit allen Aspekten im Qualitätsmanagement umsetzen, während der Entwickler entlastet wird und sich um die komplexeren technischen Anforderungen kümmern kann.
Business-User können den erstellten Code exportieren und der „echte“ Entwickler kann das Projekt in VSCode weiterbearbeiten. Die Integration in GitHub ist ebenfalls möglich und erlaubt es, skalierbare Projekte zu fahren. So ist die „Fusion of Teams“, das Zusammenführen von unterschiedlichen Kompetenzen, ein zentrales Thema der Power Platform.
Die Angst vor Schatten-IT oder die Sorge um Datenverluste wird über ein Center of Excellence adressiert. Die Power Platform bringt entsprechende Mechanismen mit, sodass der Einsatz auch in hochkritischen Unternehmensbereichen möglich ist.
Wie anfangs erwähnt, erfolgt der Einstieg häufig über Office. Die Daten kommen allerdings nicht nur aus SharePoint, Office oder Azure. Hunderte von Konnektoren erlauben es, auf zahlreiche Systeme auch außerhalb der Microsoft-Plattform zuzugreifen.
Diese Konnektoren von Dritt-anbietern spielen die Stärken der Power Platform aus und erlauben es, Daten nicht nur aus einem System, sondern aus verschiedenen Welten zusammenzuführen, zu analysieren und zu verwenden.
SAP-Konnektoren
Einer der wichtigsten Konnektoren ist die Verbindung in die SAP-Welt. Da die Schnittstellen zu SAP trotz SAP Graph oder SAP API Business Hub noch immer recht komplex sind, sehen wir häufig bei Kunden, dass es einen SAP-Experten gibt, der entsprechende Konnektoren für einzelne SAP-Funktionen zur Verfügung stellt.
Ab diesem Zeitpunkt müssen sich die Anwender nicht mehr darum kümmern, wie der Zugriff auf Daten aus dem SAP-System funktioniert. Jetzt geht es einzig darum, die Informationen über Bestellungen, Rechnungen, Produkte oder HR-Informationen zu bekommen.
Wichtig dabei ist natürlich die Authentifizierung – nicht nur aus Berechtigungs- oder Auditierungsgründen, sondern auch unter lizenzrechtlichen Aspekten. Die Power Platform ermöglicht ein echtes Single Sign-on, was bedeutet, dass der (über Azure Active Directory) an der Power Platform angemeldete Benutzer auch 1:1 einem Benutzer im SAP-System entspricht.
Dadurch ist in vielen Fällen die Lizenzfrage geklärt, da der Unterschied, ob dieser Benutzer die SAP-Daten über ein SAP Fiori, SAP GUI oder SAP Portal anzeigt, häufig dem Zugriff über die Power Platform gleichzusetzen ist. Natürlich kann es hier noch kundenspezifische Unterschiede geben, aber SSO kann die lizenzrechtliche Situation deutlich vereinfachen.
Der Weg über den Desktop
Welche Verbindungen in die SAP-Welt gibt es? Der einfachste Weg, existierende SAP-Anwendungen zu automatisieren und in die Power Platform zu integrieren, ist Power Automate Desktop. Darüber lassen sich „normale“ Klicks und Eingaben auf der Tastatur simulieren. Ob dadurch ein Excel gestartet wird, ein anderes Programm unter Windows, ein Browser oder eben das SAP GUI, spielt keine Rolle.
Natürlich können darüber ebenfalls SAP-Skripte gestartet und Prozesse automatisiert werden. Komplexe SAP-Transaktionen lassen sich so automatisch ausfüllen und ausführen. Das Beste: Die Verwendung von Power Automate Desktop ist für Windows-10-Benutzer sogar kostenlos. Analog zu iRPA ist der Weg über BAPIs/RFCs noch immer eine der populärsten Optionen.
Schneller: BAPIs und RFCs
So schön und einfach der Weg über die Desktop-Automatisierung auch ist, richtig performant und skalierbar ist das nicht. Der Zugriff über APIs ist hier schon deutlich besser. Wie seit Jahrzehnten üblich, ist der Weg über BAPIs/RFCs den meisten SAP-Anwendern ein Begriff.
Mit dem zertifizierten SAP ERP Connector wird dem SAP-versierten Benutzer der Zugriff auf BAPIs und RFCs ermöglicht – direkt über die Power Platform. Dem Benutzer werden dabei verschiedene Hilfen angeboten (RFCs können gesucht werden, die Strukturen werden -automatisch geladen etc.), jedoch bedarf es trotzdem eines gewissen SAP-Verständnisses, um auf die RFCs zuzugreifen.
Der neue und präferierte Weg ist sicherlich der Weg über die OData-Schnittstelle. Dank SAP Fiori gibt es inzwischen Tausende von standardisierten OData Services. Viele davon sind im SAP API Business Hub dokumentiert – und sollten welche fehlen, können diese über das SAP Gateway oder über CDS Views erzeugt werden.
Besser: SAP und OData
Die Power Platform ist den Kinderschuhen längst entwachsen und wird bei zahlreichen Unternehmen produktiv – auch und vor allen – im SAP-Umfeld eingesetzt. Firmen wie zum Beispiel ZF Group, T-Mobile, SBB, PayPal, Ikea Schweden oder Coca-Cola verwenden alle Komponenten der Power Platform und profitieren dabei von immer neuem Mehrwert für ihre getätigten Investitionen. In diesem Zuge haben sich oft spezielle SAP- und Power-Platform-Abteilungen gebildet.
Diese Experten arbeiten an den notwendigen OData Services, BAPis, RFCs und so weiter und erstellen Konnektoren für die Power Platform. Ab diesem Zeitpunkt können die Anwender auf diese Verbindungen zugreifen. Von dort an geht es um Bestellungen, Produkte, Mitarbeiter – und nicht mehr um technische Integrationen in die SAP-Welt hinein.
Das Feedback ist ganz klar: Auf einmal wird die SAP-IT-Abteilung entlastet. Die Antworten sind nicht mehr: In sechs Monaten haben wir Entwickler frei, die an den neuen Applikationen arbeiten können, sondern die SAP-IT-Abteilung hat die Entwicklung dieser Applikationen an das Business „outgesourct“. Hier kommt es zu einem echten Win-win.
Die SAP-IT-Abteilung ist glücklich, da sie sich nicht mehr um die Entwicklung von Apps kümmern muss. Gleichzeitig hat sie die volle Kontrolle darüber, wer wann und wie oft auf das SAP-System zugreift. Die Mitarbeiter aus dem Business sind froh, da sie nun endlich sofort auf SAP-Daten zugreifen können und ihre eigene App bauen können: wann und wie sie wollen!
API-Management
Genau das habe ich glücklicherweise bei dem frustrierten Kunden aus meiner Einleitung gesehen: Nachdem wir dort mit der SAP-Abteilung ein SAP-API-Management eingeführt und den Zuständigen gezeigt hatten, wie sie nun den Zugriff auf ihr SAP-System freigeben und gleichzeitig schützen können, wurde dort ein Kollege für die Power Platform zugeordnet. Dieser Mitarbeiter kümmert sich jetzt um die Bereitstellung der OData Services.
Die Mitarbeiter aus dem Business können über das API Management die verfügbaren Services abrufen und durchforsten und dann völlig eigenständig damit anfangen, neue Applikationen zu schreiben. Sollte der Zugriff auf bestimmte SAP-Daten noch nicht verfügbar sein, kann über eine App ein entsprechender Antrag gestellt werden. Das Beste: Auch diese App wurde von den Business-Usern selbst in wenigen Tagen durch eine Power App erstellt.
Rise with Power Platform
Viele Partner haben die Möglichkeiten erkannt und Power Platform Practices aufgebaut. Einige Partner haben schon umfangreiche Projekte umgesetzt und zeigen, wie sich die Power Platform mit SAP-Systemen beim Kunden verbinden lässt.
Gerade im Kontext von Rise with SAP und S/4 geht es vermehrt darum, die Standardprozesse der SAP außerhalb des Kerns zu erweitern (keep the core lean) und schnell und einfach Mehrwert umzusetzen. Hier zeigen sich die Stärken einer Kombination von SAP und der Power Platform.
1 Kommentar
Mark Finnern
Sehr Microsoft lastig, was beim Arbeitgeber des Autors nicht verwunderlich ist. Die Leser sollten sich auch noch die Low-Code, No-Code, Pro-Code Kombination von Neptune Software ansehen.
https://blogs.sap.com/2021/09/06/the-dress-code-is-low-code/comment-page-1/
Robin war lange Zeit skeptisch, ist aber jetzt begeistert, weil die Platform die richtige Kombination bietet, die Business Experten und Entwickler zusammen bringt.
Full disclosure: Robin ist ein SAP Mentor, und ich habe früher die SAP Community geleitet, also ist auch unser Blickwinkel nicht frei von Einflüssen. Bildet Euch Eure eigene Meinung!