Die Dekonstruktion des SAP-Ecosystems
Man erzählt sich in der SAP-Community die Anekdote, dass Hasso Plattner einst den einzigen Porsche Carrera mit Anhängerkupplung besaß, damit er sein damals noch wesentlich kleineres Segelboot immer dabeihaben konnte.
Woher wir das wissen? Zu dieser Zeit hatte einer der größten österreichischen SAP-Bestandskunden ein massives ERP-Problem. Kurz entschlossen fuhr Plattner auf seinem Weg nach Süden in Wien vorbei. Er parkte Porsche und Segelboot auf dem Kundenparkplatz, half, das Problem zu lösen, und reiste weiter Richtung Mittelmeer.
Von Beginn an war der SAP-Bestandskunde auch Entwicklungspartner, Ideengeber, Testzentrum und immer offen für betriebswirtschaftliche, organisatorische und technische Diskussionen.
Das „hässliche“ Wort IP – Intellectual Property – gab es damals im aktuellen Verständnis noch nicht. Ideen, Konzepte und Lösungen wurden mannschaftlich ausgetauscht und bewertet.
Es war die Zeit von Dietmar Hopp und Hasso Plattner. Hopp ist ein begeisterter Anhänger von Mannschaftssportarten. Er kennt weder Neid noch Berührungsängste.
Die Kantine in Walldorf stand lange Zeit für alle offen, was leider einige Mitmenschen schamlos ausnutzten. Plattner war von Beginn an das technische Genie. Er war der Visionär, ohne ihn wäre heute SAP „nur“ der ERP-Weltmarktführer.
Nun zerbricht dieses freundschaftliche Miteinander, weil SAP die „indirekte Nutzung“ exekutiert: Das interessantere Phänomen ist der beginnende Zerfall des SAP’schen Ecosystems.
Rechtlich gesehen ist „indirekte Nutzung“ bei Daten und Algorithmen eine fast unendliche Liste mit positiven und negativen Argumenten. In der Praxis aber zerstört das Vorgehen der SAP gewachsenes Vertrauen auf allen Seiten.
Bestandskunden sind verunsichert und stoppen Projekte oder adaptieren ihre Roadmaps. SAP-Partner verlieren ihre Geschäftsgrundlage, weil Ergänzungen und Add-ons nun für den Endanwender empfindlich teurer werden können.
Ein reales Beispiel, das betroffene Unternehmen und der Name des CIOs sind der E-3 Redaktion bekannt: Dormakaba bietet Zeiterfassungsterminals an, die direkt mit dem HR/HCM-System von SAP kommunizieren können.
Selbstverständlich hat unser SAP-Bestandskunde das Personalsystem ordnungsgemäß lizenziert inklusive ESS und MSS (Employee und Manager Self Services).
Nun verlangt aber SAP dieses Jahr für die Dormakaba-Terminals eine Indirekte-Nutzung-Gebühr in Form von User-Lizenzen für jeden Mitarbeiter, der die Zeiterfassungsterminals nutzt – im Extremfall von den Reinigungskräften bis zum Vorstand.
Und weil die Dormakaba-Terminals technisch von einem Windows-Server mit SQL-Server verwaltet werden, kommt nun Microsoft und will für jeden Mitarbeiter eine Client Access License, CAL – indirekte Nutzung bei Microsoft!
Damit wird das System unfinanzierbar – abseits jeder rechtlichen Prüfung. Unser Anwender hat nun folgende Lizenzkosten für Software zu entrichten: Dormakaba-Terminal-SW, Windows-Betriebssystem, SQL-Datenbankserver, SAP NetWeaver PI/XI, ERP/ECC 6.0 plus HR/HCM und ESS/MSS sowie entsprechende Betriebssystem-, Middleware- und Datenbanklizenzen für das ERP-System – und dann kommen SAP und Microsoft und verlangen ergänzende Lizenzgebühren für indirekte Nutzung?
Durch indirekte Nutzung erfolgt die Dekonstruktion des SAP’schen Ecosystems. Der Endanwender wird gezwungen, seine IT-Infrastruktur zu zerlegen und aufzulösen, weil die Kostenfalle und das Risiko, Millionen Euro Lizenzgebühren nachzahlen zu müssen, einfach zu hoch sind.
Getrennte Systeme und IT-Inseln kennen keine indirekte Nutzung. Sie entsprechen aber auch nicht unserem Bild einer SAP-Architektur.