Defragmentierung und Atomisierung
Der Gedanke, der hinter dem SAP’schen Wunsch Cloud only steht, kann mit „Geldgier“ umschrieben werden. Es gibt nichts, was die Public Cloud besser kann als andere IT-Architekturen, außer mit einem gewaltigen Skalierungseffekt die Marge auf über 90 Prozent zu treiben. Nun muss Geldverdienen keine schlechte Eigenschaft sein. Wenn aber nur noch die Höhe des Bankkontos als Maßstab gilt, dann pervertiert sich zum 50-Jahr-Jubiläum der SAP der ERP-Gedanke eines R/3.
Für erfolgreiche SAP-Bestandskunden sind R/3 und ECC 6.0 die Basis und die Abap-Modifikationen die Kür. Weil sich die klassischen ERP-Systeme der SAP mit einer Client/Server-Architektur defragmentieren und atomisieren lassen, gewinnen sie an Individualität, Innovation, Agilität und Resilienz.
In der aktuellen Diskussion geht es nicht um On-prem oder Cloud, sondern Individualisierung versus Standard. Wer ist der erfolgreichste Cloud-Anbieter? AWS. Die hochbegabten AWS-Informatiker unterscheidet nicht viel von ihren Kollegen bei IBM, Microsoft, Alibaba, Google oder SAP. Das Geheimnis ist vielmehr ein einzigartiger Skalierungseffekt, basierend auf in Silicon gegossenen Standards.
Auf der Website von Chefredakteur Färbinger findet sich folgender Kommentar: „Der USP von SAP ist das voll integrierte ERP-System. Den Kunden ist es im Prinzip egal, ob das in der Public oder Private Cloud oder On-prem eingesetzt wird, solange sie ihre Individualität bewahren können. Wenn SAP diesen USP behalten will, muss sie ihre ERP-nahen Produkte technisch, funktional, umfassend und international einsetzbar machen und dort, wo notwendig, auch Branchenvarianten anbieten.“
Viele Mitglieder der SAP-Community teilen folgende Sicht: SAP wird weder im Datenbanksektor noch im Betrieb von Cloud-Anwendungen einen USP erlangen – auch ihre Beraterkompetenz ist austauschbar. SAP ist der Weltmarktführer für integrierte, funktionsreiche, international anwendbare ERP-Systeme. Da gibt es unendlich viele Erweiterungs- und Modernisierungsmöglichkeiten – darauf sollte sich SAP konzentrieren. Es ist also der Mehrwert, der durch Defragmentierung und Atomisierung entsteht.
In einer Welt, wo vieles stringenter, normierter und konformer wird, kann sich der SAP-Bestandskunde mit Individualität und Innovation einen Wettbewerbsvorsprung herausarbeiten. Das Bestreben von SAP geht aber in die gegenteilige Richtung: Mit einer Public Cloud und strengen Regeln auf der Business Technology Platform versucht der ERP-Konzern seine Bruttomarge weiter zu steigern.
No-Code/Low-Code-Konzepte sind nur das Feigenblatt vor einer uniformen ERP-Architektur. Ähnlich wie Hana nur vordergründig für mehr Geschwindigkeit sorgen soll, letztendlich aber eine Alleinherrschaft über den Datenbankmarkt in der SAP-Community bedeutet. Auch AnyDB gibt es mittlerweile mit In-memory-Computing-Add-ons, sodass die Performance in der Zwischenzeit kein Alleinstellungsmerkmal mehr für Hana darstellt.
Hinter all diesen Fragestellungen und Kritik steckt die Sorge um SAP: Werden wir auch in zehn Jahren noch einen ERP-Weltmarktführer aus Deutschland haben?, fragen sich viele meiner Stammtischschwestern und -brüder. Je homogener und konformer das SAP-Angebot wird und je mehr der Aktienkurs in den kommenden Jahren noch sinken wird, desto leichter und wahrscheinlicher wird eine feindliche Übernahme. Eine normierte SAP mit 90 Prozent ihrer Bestandskunden in der Public Cloud und einem Aktienkurs deutlich unter 100 Euro ist ein gefundenes Fressen für die Hyperscaler dieser Welt.
Nur eine heterogene, individuelle, atomisierte und defragmentierte SAP-Community kann einem hungrigen Hyperscaler den Appetit verderben. Gesucht wird demnach ein Z-Namensraum 4.0, der on-prem und in der hybriden Cloud funktioniert, der von Abap bis No-Code/Low-Code jede Programmierart zulässt, der eine wertsteigernde Defragmentierung und Atomisierung des ERPs ermöglicht. Der Erfolg von ECC 6.0 liegt in der Individualisierung und den Hunderten DSAG-Arbeitskreisen, einem erfolgreichen CCC-Konzept und einer sehr lebendigen SAP-Partnerlandschaft. Jeder Versuch, wie etwa Rise with SAP, zur Konformität der SAP-Community ist kontraproduktiv.
1 Kommentar
Werner Dähn
Ich bin nicht glücklich damit, axiomatisch Public Cloud mit hoher Marge gleichzusetzen, denn es gibt dafür eine wichtige Randbedingung: Die Kosten jedes zusätzlichen Kunden muss Null sein.
Ist das gegeben?
Wenn das e-3 Magazin einen zusätzlichen Leser gewinnt, werden die zusätzlichen Abfragen problemlos über die bestehenden Hardware und Betrieb abgehandelt. Es müsste sich schon die Anzahl der Leser verhundertfachen, um einen kleinen Betrag in einen stärkeren Server zu rechtfertigen.
Wenn SAP einen weiteren S/4Hana Kunden gewinnt, läuft der auf den bestehenden Servern einfach mit? Benötigt er keinerlei Betreuung? Der erzeugt ganz sicher zusätzliche Kosten, zu einem recht großen Anteil sogar. Erschwerend kommt hinzu, eine Public Cloud Software hat eine signifikant höhere Komplexität und damit Kosten. Weiters sind die Kunden nicht bereit das n-fache zu vorher zu bezahlen, nur um den Betrieb der Software abzugeben.
Reduziert auf diesem Aspekt hat SAP also keine Public Cloud, sondern ein Outsourcing Angebot.
Ich bezweifle also, dass SAP bei einer Verdopplung des Cloud Umsatzes eine deutliche Verbesserung der Marge sehen würde.
OnPrem ist da lustigerweise besser! Da wurde Software erstellt, pro Jahr 20% des Listenpreis als Maintenance Kosten einkassiert und die Betriebskosten wurden vom Kunden in Form von Hardware und Personal getragen. Verdoppelt sich in diesem Modell die Kundenanzahl, verdoppelt sich der Umsatz, die Kosten bleiben gleich, die Marge nähert sich den 100%.
Was passiert also mit der Marge wenn man das onPrem Geschäft aufgibt und alle in Richtung SAP Cloud zieht?