Vorwärts, immer vorwärts
Wir haben im Juni die Feiertage zu Hause verbracht. Wir haben den Garten gepflegt und ich habe mich auf mein jährliches CIO-Grillfest vorbereitet. Auch mein Sohn kam zu Besuch und brachte ein Stück Holz, ein kleines Brett, sowie die Hälfte eines frischen Lachses mit.
Wie man den grillt, weiß ich schon, meinte ich in Richtung meiner Frau. „Lass dich doch auch einmal von neuen Ideen inspirieren“, antwortete sie. Mein Sohn erklärte, dass das Brett für eine Stunde gewässert werden soll, dann auf beiden Seiten im Holzkohlegrill angewärmt werden muss und schließlich könnte man den Lachs mit Zitronen und Rosmarin darauf dünsten und grillen.
Ja, immer etwas Neues, immer vorwärts, das Alte und Bewährte gilt nicht mehr – wie bei uns im IT-Bereich. Meine Frau versuchte sehr diplomatisch zwischen ihrem Sohn und mir zu vermitteln.
Nach einem ausgezeichneten, saftigen und aromatisch duftenden Lachsstück mit mehreren Gläsern Côtes de Provence entwickelte sich eine spannende Diskussion über schnelles Vorwärtsstreben und strategisches Zuwarten.
„Die Chinesen überholen uns“, sagte mein Sohn. Nicht weil sie intelligenter oder schneller sind, sondern weil sie eine andere Historie haben.
Die chinesische Internet-Generation hatte nie Workstations und PCs und nur sehr wenige Tablets besessen. Diese Anwender sind direkt ins Mobile-Computing-Zeitalter mit Millionen von Smartphones gelangt.
Viele App-Entwickler in China kennen nur Smartphones, während bei uns – siehe Facebook – schwerfällige PC-Programme erst für Smartphones fit gemacht werden müssen.
Und dann kam die zu erwartende „Killerfrage“: Und wie halten wir es im Konzern und bei der SAP mit Innovationen, Erneuerungen, Relaunches und Re-Engineering? Wer bremst? Und wer sagt vorwärts, immer vorwärts?
Naturgemäß muss man am Beginn jedes Projektes zwischen Greenfield und Brownfield unterscheiden. Gibt es Altlasten? Einen PC und seine DOS-Programme oder nur ein neues Smartphone?
Wir haben im Konzern Fabrikanlagen, wo Uralt-PCs noch immer ihre Dienste versehen, allzu oft existiert keine Dokumentation mehr und übers Netzwerk ist ein TCP/IP-Ping strengstens verboten, damit der schwache Prozessor nicht außer Tritt gerät.
Nebenbei: Solche „IT-Inseln“ sind ein eklatantes Sicherheitsrisiko in unserer IT-Landschaft. Gemeinsam mit Cisco versuchen wir ein Security-Konzept auszuarbeiten, das im Netzwerk verankert ist und so keinen Eingriff bei den Clients erfordert.
Wir fahren im Konzern somit eine gemischte Strategie, die versucht, der digitalen Transformation gerecht zu werden, und Bewährtes nicht vernichtet. Das klingt nach Evolution, aber in Anbetracht Hunderter Anwendungen und Tausender Anwender ist es ein pragmatischer Ansatz:
SAP-Technikvorstand Bernd Leukert kann mir sooft er will von schnellen Hana-Releasewechseln erzählen! Das Thema ist nicht vorwärts, immer vorwärts, sondern Investitionsschutz, Verlässlichkeit, Transparenz und die Schulung von Tausenden Mitarbeitern.
Wir verbinden nicht einen IoT-Sensor über die SAP-Cloud mit einer Smartphone-App, sondern wir haben Tausende CNC-Maschinen mit Hunderten Sensoren: Big Data!
Und SAP?
Dort gilt: Vorwärts, immer vorwärts! Ohne Rücksicht auf Bestandskunden und Partner scheint diese „innovative“ Strategie für uns ein großes Problem zu werden.
„Angst vor Veränderungen?“, fragt mich meine Frau, während wir auf der Terrasse gemeinsam mit unserem Sohn die dritte Flasche Côtes de Provence öffnen.
Nein, behaupte ich selbstbewusst. Wenn der Fortschritt auf einem stabilen Fundament steht, habe ich nichts gegen die digitale Transformation und Revolution. Aber SAP stürzt sich Hals über Kopf in das Thema Machine/Deep Learning – weil das jetzt jeder so macht.
Die Hana ist dafür offensichtlich nicht geeignet, also nutzt man Hardware von Nvidia und Software von Google. Wenn man mir vor drei Jahren prophezeit hätte, dass ich ein Forschungsprojekt und eine Bestellanforderung für Nvidia genehmigen soll, hätte ich geschmunzelt.
Hier gibt mir sogar mein Sohn recht, auch er hätte sich damals nicht gedacht, dass die Grafikkarten seines Game-PCs die Basis für Deep Learning und neuronale Netze werden könnten.
Ich kann mir die Anwendung von Machine Learning gut vorstellen, aber bei SAP bekomme ich damit kein gutes Gefühl. Hier laufen Bill McDermott und Bernd Leukert einem Trend hinterher. Strategische Partnerschaften und die Konzentration auf die Kernkompetenz wären wahrscheinlich bei KI-Aufgaben die bessere Lösung.
Ähnlich die Situation beim Cloud Computing: Vorwärts in die Cloud! Aber in welche Cloud? Amazon, Google, Microsoft oder SAP? Es gibt dazu keine Antworten, denn „Cloud First“ ist keine Antwort.
Hier ist jeder SAP-Bestandskunde wieder auf sich selbst gestellt. Damit ist der Titel des kommenden DSAG-Jahreskongresses sehr gut gewählt: Zwischen den Welten – SAP stürmt vorwärts, immer vorwärts und die Bestandskunden und Partner sitzen zwischen allen Stühlen.
Ich will nicht zwischen Hana und Nvidia/TensorFlow (Google) stehen, weil es McDermott und Leukert so gefällt. Ich will eine stabile Welt, in der ich etwas aufbauen kann. Zwischen den Welten ist keine Option!