Erfolgsfaktor SCM
Erfolgreiche E2E-Konzepte einer industriellen Lieferkette beruhen auf mehreren Parametern, die meist gleichzeitig Gültigkeit haben, dennoch auch widersprüchlich sein können. Ist Harmonie oder Agilität der Vortritt zu überlassen?
„ERP Systeme für internationale Unternehmen mit nur einer Installation haben immense Vorteile hinsichtlich Harmonisierung von Prozessen, länderübergreifender Finanztransparenz und Prozessintegration“, erklärt zu Beginn des E-3 Gesprächs Jürgen Löhle, Unternehmensinhaber des SAP-Partners Consilio. Aber es gibt Grenzen, warnt er:
„Mit zunehmender Unternehmens- und somit Systemgröße geht die Agilität, d. h. die schnelle Anpassung auf Veränderungen jedoch etwas verloren. SAP hat dies erkannt und passt seine Architektur z. B. mit Cloud Lösungen an, um Veränderung einfacher einfließen zu lassen. So verfügt SAP mit dem Integrated Business Planning über ein Supply-Cain-Planungstool, das eng an das ERP gekoppelt ist jedoch auch schnell auf Grund veränderter Marktbedingungen und Erfahrungen angepasst werden kann, ohne den Kern des ERP Systems umbauen zu müssen.“
Voraussetzung für jegliche Supply Chain Excellence sind jedoch Industrie-Erfahrung, Prozess-Know-know und die Fähigkeit eines Beraters die individuellen Kundenbedürfnisse zu erkennen und seine Lösungskonzept an diese anpassen zu können. Zu den Anforderungen und Herausforderungen rund um SCM zählen Smart Factory, Automatisierung, künstliche Intelligenz oder Robotik.
Was die verwendeten Techniken angeht, kennt die IT-Entwicklung keine Grenzen. Es ist ein evolutionärer Weg und kein disruptives Customizing. Basierend auf dieser Erkenntnis entstand in den vergangenen Jahren SAP-basiertes Integrated Business Planning, das jahrzehntelanges Wissen aus den Bereichen Disposition, Logistik und Supply Chain in sich trägt und fortlaufend, dynamisch weiterwächst. Erfolg beruht im SCM-Bereich auf Optimierung.
„Die Corona-Krise hat die Schwachstellen in den weltweiten Lieferketten offengelegt. In der Folge wird nun das Supply Chain Management vielerorts überdacht. Es gibt einige Stellschrauben, an denen gedreht werden kann“, schreibt Annette Speck in der Buchrezension: Neustart für das Supply Chain Management? Verlag Springer Fachmedien, Wiesbaden: Kooperationsplattformen für das Supply Chain Management Gestaltungsempfehlungen für die kooperative Koordination der Supply Chain von Ronald Poppe (ISBN: 978-3-658-16368-6).
Mittlerweile sehen offenbar auch zahlreiche Industrie-Unternehmen Verbesserungsbedarf, meint Annette Speck und zitiert die Studie „Neustart nach dem Shutdown 2020“ der Unternehmensberatung Staufen. Ausgelöst durch die unterbrochenen Wertschöpfungsketten wollen die Befragten künftig vor allem zusätzliche Lieferanten suchen und ihre Lieferketten stärker steuern. Darüber hinaus planen 36 Prozent den Aufbau von Lagerbeständen, ein Viertel strebt eine größere Fertigungstiefe an.
„International vernetzte Lieferketten werden auch in Zukunft die Produktion bis hin zur Distribution bestimmen. Die verschiedenen Prozesse werden künftig aber noch stärker aufeinander abgestimmt“, glaubt Thomas Schlösser, Senior-Partner von Staufen.
Um die zunehmende Komplexität in den Griff zu bekommen, seien eine intelligente Steuerung aller teilnehmenden Partner in der Prozesskette nötig sowie eine kooperativere Netzwerkstruktur. Außerdem müsse die Wertschöpfungskette ganzheitlich betrachtet werden, was auch ein netzwerkorientiertes Risikomanagement beinhalte.
Innovation und Optimierung
„Eine SCM-Optimierung kann meist nicht mit einem einmaligen Projekt abgeschlossen werden“, weiß David Reibnegger, Partner und seit 2008 bei Consilio aus seiner beruflichen Praxis.
„Der Hauptaufwand der Prozessanalyse, Prozessgestaltung, Customizings etc. liegt sicher im initialen Projekt. Jedoch wird meist aufgrund des Risikos und der Komplexität der Planungsprobleme nicht jeder Aspekt einer SCM-Optimierung gleichzeitig angegangen.“
Zusätzlich ergeben sich immer für alle Beteiligte entsprechende Lernkurven oder Änderungen durch externe Einflüsse wie Marktveränderungen. Damit wird Continuous Improvement notwendiger.
Der Erfolg einer SCM-Optimierung kann sicher nicht an einzelnen Punkten festgemacht werden, sondern ist ein Zusammenspiel aus etlichen Faktoren wie Software, IT-Architektur und der Erfahrung der handelnden Personen auf Kunden- und Beratungsseite.
„Sollen signifikante Verbesserungen erzielt werden, wie z. B. Bestands- und Durchlaufzeitreduzierungen, erhöhte Lieferfähigkeit, so genügt es nicht, nur eine neue Softwarelösung zu implementieren z. B. alle Ressourcen als finite Engpässe zu betrachten“, warnt Jürgen Löhle im E-3 Gespräch und er verweist auf die vielen wichtigen Details:
„Es muss vielmehr der Materialfluss und Wertstrom exakt analysiert, Bevorratungsebene und -höhen überprüft sowie Losgrößenverfahren und deren Parameter verändert werden.“
Es stellt sich somit die Frage, wie weit ist eine SCM-Optimierung generisch und kann unter anderem als Template angeboten werden, oder ist eine Lieferkette im Vergleich zur Buchhaltung extrem individuell? Hier antwortet David Reibnegger:
„Im Rahmen der SCM-Optimierung gibt es viele Aspekte, die sich gut als Template oder Best Practices anbieten lassen, weil sie bei sehr vielen Kunden ähnlich zu handhaben sind, wie z. B. die Absatzplanung oder eine grobe periodenbasierte Supply Chain Planung für Produktion, Einkauf und Distribution.
Je feiner man aber z. B. in die einzelnen Produktionsplanungsprobleme hineingeht, umso größere Unterschiede gibt es von Branche zu Branche und auch zwischen Unternehmen der gleichen Branche, teilweise bis hin zu unterschiedlichen Maschinengegebenheiten – somit ist vielleicht nicht jede Lieferkette individuell, aber ein Template pro Branche oder Best Practices, die ggf. nochmal kundenspezifisch angepasst wird, wäre ein guter Kompromiss zwischen Standardisierung und Individualität.“
Viele Projekte beginnen nicht auf der sprichwörtlichen, grünen Wiese. In der ERP/ECC-Welt wurden bekannterweise einige Abap-Modifikationen und Z-Funktionen durchgeführt. Wie gehen die Kunden und Consilio mit diesem Thema um und wie lauten die technischen Lösungsmöglichkeiten zum Z-Namensraum und Abap-Modifikationen?
„Auf Managementebene besteht der Wunsch nach dem SAP-Standard, ohne Modifikationen und Erweiterungen“, weiß Jürgen Löhle aus zahlreichen Kundengesprächen.
„Wir als Consilio unterstützen diesen Ansatz, allerdings sind in Unternehmen auch Modifikationen und Erweiterungen entstanden, die ein sehr viel effizienteres Arbeiten der Fachabteilung ermöglichen als mit SAP-Standard. Oftmals bestehen diese Ineffizienzen auch unter S/4 weiter. Wir analysieren daher sehr genau im Rahmen von S/4-Transformationen möglichst wenige Modifikationen und Erweiterungen zu übernehmen, ohne aber Effizienz zu verlieren. Auf diese Weise halten wir den S/4-Code im Standard und ermöglichen somit, dass das ERP System leichter anpassbar und wartbar wird.“
Ja, mach nur einen Plan
Ohne gleich das Zitat von Bertold Brecht aus der Dreigroschenoper zu wörtlich zu nehmen:
„Ja mach nur einen Plan, sei nur ein großes Licht, und mach dann noch ´nen zweiten Plan, gehen, tun sie beide nicht“.
Die Erfahrung zeigt, dass SCM wesentlich individueller und agiler aufschlägt als ein Buchhaltungs- oder HCM-System, somit stellt sich natürlich immer wieder die Frage nach dem spezifischen Customizing. Consilio hat für den S/4-Hana-Conversion-Kunden Hymer ein eigenes Modul zur Absatzplanung geschrieben, warum? Consilio-Partner Reibnegger:
„Im Rahmen eines Proof of Concepts wurden die Anforderungen für eine S&OP Planung mit Integrated Business Planning abgeglichen. APO DP wurde aufgrund der Abkündigung durch SAP nicht mehr betrachtet. IBP hat die grundsätzliche Planungsanforderungen sehr gut abgedeckt, tatsächlich stand wesentlich mehr Funktionalität zur Verfügung als Hymer benötigt hat.
Lediglich in der Integration hin um SAP Vehicle Management System und die Integration ins PP/DS hätten Anpassungen vorgenommen werden müssen. Bei einer Kosten-Nutzenbetrachtung wurde jedoch klar, dass der Business Case sich nicht rechnet und eine eigenentwickelte SAP-Cloud-Lösung wirtschaftlicher war. Aktuell könnte die Entscheidung eventuell anders ausfallen, da SAP mit dem neuen Lizenzmodell für IBP besser abschneiden würde.“ Aber auch IT-Leben ist Veränderung.
Die Herausforderungen beginnen schon bei der Wahl des Migrationswegs, d.h. soll ein Brownfield, Greenfield oder X-Field Ansatz gewählt werden? Mittelständische Unternehmen mit kurzen Entscheidungswegen und pragmatischen Vorgehensweisen fällt die Entscheidung meist leichter als Großunternehmen mit mehreren Milliarden Umsatz, Werken und Buchungskreisen im hohen zweistelligen Bereich und umfassenden SAP-Systemlandschaften.
Letztendlich kann jedoch mit ein paar wenigen Fragestellungen und Zielvorgaben eine Roadmap ausgearbeitet werden. Kritisch ist oftmals die mangelnde Bereitschaft in der Fachabteilung und auch teilweise in der IT “etwas neu zu machen” oder umzudenken ist oftmals sehr schwierig und bedarf Fingerspitzengefühl. Und wie erlebte Hymer die Conversion?
„Bei Hymer war die Entscheidung für die S/4 Conversion relativ einfach“, berichtet David Reibnegger.
„Hymer nutzte ECC nur im Bereich FI/CO und für die Ersatzteilabwicklung mit SD und WM. Das Kerngeschäft von Hymer noch im ECC umzusetzen damit es dann nach S/4 konvertiert werden muss, wäre kein sinnvoller Weg gewesen. Die eigentliche Conversion war im Vergleich zur Umsetzung des Kerngeschäftes in S/4 ein Kinderspiel. Neue Funktionalitäten wurden in der Conversion nicht umgesetzt, es wurden nur die zwingend erforderlichen Anpassungen, Simplifications, gemacht.
Nach der Conversion wurde die S/4-Einführung des Kerngeschäfts der Entwicklung, Produktion und Beschaffung von Fahrzeugen und der notwendigen Teile mit Funktionalitäten im Sales, Produktion, Logistik und Planungsumfeld umgesetzt. Dabei wurden neue zur Verfügung stehende Funktionalitäten im SD, MM, PP und PP/DS Umfeld in einem Greenfield-Vorgehen eingeführt. Da es sich hierbei um eine Neueinführung handelte und die Conversion als vorgelagerter Schritt durchgeführt worden ist, kann dies mit einer klassischen SAP-Neuimplementierung verglichen werden.“
SAP-Bestandskunden die eine Tradition und Erfahrung mit R/3, APO und nun ERP/ECC 6.0 haben und zeitnah ein optimiertes SCM brauchen – sollen diese Anwender zuerst auf Hana und S/4 migrieren?
„Es gibt viele Migrationspfade und eine Migration des SAP ERP/ECC auf S/4 Hana ist keine Voraussetzung für eine Optimierung der Supply Chain Planung mit IBP“, erklärt Jürgen Löhle die unterschiedlichen Aufgabenstellungen.
Unter dem jungen SAP-Chef Christian Klein zusammen mit seinen motivierten Vorstandsmitgliedern hat der ERP-Weltmarktführer eine erstaunliche Entwicklung eingeschlagen. Das Produkt-Know-how und die Qualität stehen wieder im Vordergrund und Klein will diese Richtung weiter ausbauen und die besten Produkte für die SAP-Bestandskunden entwickeln. Mit IBP, Hana, S/4 und PP/DS stehen herausfordernde Werkzeuge und SW-Lösungen zur Verfügung. Wie reagiert die SAP-Community auf diese Angebote? Sind die Lösungen adäquat für die aktuellen Bedürfnisse der SAP-Bestandskunden?
„Der hohe Innovationszyklus der SAP mit den neuen Produkten und Lösungen ist nach Gesprächen und bisherigen Erfahrungen mit Kunden sehr positiv anzusehen“, berichtet David Reibnegger aus der SAP-Community. SAP hat wie viele andere APS-Anbieter diese Lösung in einem zusätzlichen System, dem APO, angeboten. Dies war jedoch von der IT-Architektur und Integration sehr aufwendig und hat viele Unternehmen abgeschreckt. „Wir sehen jetzt einen klaren Trend, dass Bestands- aber vor allem auch Neukunden die integrierte Produktionsplanungslösung, ePP/DS, nutzen“, erklärt David Reibnegger.
Gerade in der aktuellen Zeit mit stark schwankender Nachfrage zeigt sich, dass mit einer konventionellen Produktionsplanung eine schnelle Reaktionsfähigkeit nicht möglich ist. Auch mit der aATP bietet SAP jetzt eine im S/4 Hana integrierte Verfügbarkeitsprüfung an, die im Markt sehr gut ankommt und eine Vielzahl von neuen Funktionen anbietet.
Auch IBP ist eine Lösung, die am Markt sehr gut ankommt, um die Unternehmensplanung von einer Vertriebsplanung, Absatzplanung, Produktionsprogrammplanung, Finanzplanung, bis hin zu einer Liquiditätsplanung fit für die Zukunft und die geänderten Marktbedingungen zu machen.
ePP/DS versus APO
Bestimmte Lösungen, wie PP/DS oder globale ATP, sind aus einem zentralen APO in das neue S/4 Hana gewandert. Dazu meint Jürgen Löhle:
„Diesen Punkt muss man tatsächlich differenziert betrachten. In einem Konzern trifft man oftmals auf eine SAP-Architektur mit mehreren ERP-Systemen. Dies wird wohl auch mit S/4 noch der Fall sein wenn auch in reduziertem Umfang.
Konzerne mit 100 Milliarden Euro oder mehr Umsatz werden wohl kaum auf ein zentrales S/4-System setzen, sondern weiterhin mehrere nach Regionen oder Branchen organisierte Produktivsysteme einsetzen. In diesem Umfeld sind Side-by-Side-Systemarchitekturen für Advanced Planning Systeme wie APO passend. Von diesen Unternehmen wird auch der Ruf laut nach einer dezentralen – side-car – APS-Lösung im S/4.
SAP hat hier auch reagiert und wird – wie die Roadmap zeigt – ein S/4-PP/DS als side-car anbieten. Bei mittelständischen Unternehmen im niedrigen einstelligen Milliarden Umsatzbereich und darunter mit einem produktiven System ist die Freude über das embedded PP/DS zur Produktionsoptimierung und Feinplanung groß. Die Lösung kann sehr einfach über das Customizing aktiviert werden und die relevanten Objekte – Materialien, Arbeitsplätze, etc. – mit einem einfachen Schalter in die erweiterte Planung übernommen werden.“
MES, SCM, Logistik sind endlich ein zentrales Thema geworden. Jürgen Löhle zieht daraus den Schluss:
„SAP deckt die Anforderungen mit dem S/4 Hana ERP System und den enthaltenen neuen Funktionalitäten wie dem embedded PP/DS für die Produktionsfeinplanung und Optimierung, der advanced Verfügbarkeitsprüfung, aATP, oder auch dem Extended Warehouse Management und den bestehenden Lösungen im S/4 wie MM, PP, SD, etc. sowie dem IBP, für die Supply Chain Planung den Markt sehr umfassend ab.“
Somit haben Unternehmen einen immensen Werkzeugkasten, aus dem sie sich bedienen können und SAP dominiert hier den Markt. Der MES-Markt ist noch sehr viel heterogener als der ERP Markt bis hin zu kompletten Eigenentwicklungen von Anwendungsunternehmen. Oftmals haben Unternehmen auch noch kein MES an ihr ERP System angebunden, um den Shop Floor zu integrieren. Im Rahmen von Industrie 4.0 und der Digitalisierung erkennen viele Unternehmen, dass sie hier noch Lücken schließen müssen und den Shop Floor mit den ERP Systemen integrieren müssen.
Aber Jürgen Löhle weiß, dass SAP eine Reihe von Systemen und Services bietet, die eine Erfassung, Weiterverarbeitung und Auswertung der Maschinendaten schnell und einfach ermöglichen. Die Planung liefert Daten, die für eine optimale Koordination von Ressourcenplanung und Produktionsausführung erforderlich sind. Sie deckt alle Aspekte des Fertigungszyklus vom Produktionsauftrag bis zur Auftragserfüllung und darüber hinaus ab.
Die SAP Manufacturing Excecution Lösung besteht aus ME – Manufacturing Execution, MII – Manufacturing Intelligence und Integration und der Digital Manufacturing Cloud. “SAP Manufacturing ist eine leistungsstarke, skalierbare Fertigungslösung von der Maschinen- und Werksebene bis auf Unternehmensebene. Mit ihrer Hilfe können Hersteller ihre Fertigungs- und Produktionsvorgänge verwalten und steuern“, betont Löhle abschließend.