Deadline 2025: Für wen und was?
SAP hat ihre Erfolge mit den Early Adopters gefeiert. Es gibt zahlreiche S/4-Hana-Referenzinstallationen. Spektakuläre Green-, Blue- und Brownfield-Projekte haben die Machbarkeit einer S/4-Transformation und den folgenden Mehrwert bewiesen.
SAP könnte zufrieden sein, wenn es nicht einen wesentlichen Schönheitsfehler in diesem Bild geben würde: Die errungenen Erfolge skalieren nicht! Den S/4-Innovatoren folgen keine frühen Übernehmer und auch keine frühe Mehrheit, siehe Diffusionstheorie und Distribution von Innovationen.
Der Skaleneffekt verblasst im S/4-Gesamtbild! Lediglich 173 S/4-Systeme gingen 2019 in Nordamerika live – laut einer SAP-Fkom-Präsentation von Mitte Januar in Las Vegas.
Momentan sind Hana und S/4 nicht massentauglich und damit wird das Enddatum zum Desaster. Zu Hana und S/4, BW/4 und C/4 gibt es unzählige Erfolgsgeschichten und positive Proof-of-Concepts – technisch, organisatorisch und teilweise auch lizenzrechtlich, aber nicht betriebswirtschaftlich! Warum?
Die Antwort ist sehr simpel: Hana und S/4 erfordern die Ressourcen einer ERP-Neueinführung. Trotz aller Hilfswerkzeuge, Partnerschaften und Programme ist die Transformation nach S/4 ein gewaltiger Schritt und eben kein simpler Releasewechsel.
Alles bleibt besser ist ein ambivalentes Versprechen: Das S/4-Finanzwesen glänzt mit Einfachheit und neuen Möglichkeiten. Bis jetzt war fast jeder CFO begeistert vom Resultat – der Weg dorthin ist aber für viele SAP-Bestandskunden noch zu beschwerlich, zu unsicher und zu teuer.
„Die Kräfte waren gering. Das Ziel lag in großer Ferne, es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich kaum zu erreichen“, schrieb Bertolt Brecht (1898 bis 1956) in seinem berühmten Gedicht „An die Nachgeborenen“.
Es gibt die Deadline 2025 – nur, für wen gilt diese? SAP hat die Datenbankverträge mit Microsoft, Oracle und IBM gekündigt. Der Status der Sybase-Datenbanken ASE, IQ und SQL Anywhere ist ungeklärt.
Hana scheint somit die einzige Chance für SAP-Bestandskunden zu sein, aber dagegen will sich der Anwenderverein DSAG wehren. Während eines DSAG-Treffens meinte Vorstand Andreas Oczko, dass nicht nur das Enddatum 2025 für ERP/ECC 6.0 und die SAP Business Suite 7 zur Diskussion steht, sondern auch das Alleinstellungsmerkmal von Hana.
So unrealistisch diese Gedanken in der SAP-Zentrale Walldorf erscheinen mögen, ebenso stringent bilden sie die Realität in der SAP-Community ab.
DSAG-Vorstand Andreas Oczko hat recht, im Namen seiner Mitglieder eine Alternative zur S/4-Hana-Deadline 2025 zu fordern. Die Forderung beruht nicht auf der Produktqualität oder Funktionalität von Hana und S/4; sie beruht auch nicht auf den noch unerfüllten Versprechungen von den SAP-Co-CEOs Jennifer Morgan und Christian Klein, die fehlende Integration der SAP’schen Cloud-Zukäufe zu Ende zu bringen, sondern die Forderung reflektiert ausschließlich den Zustand der SAP-Community. Der Anwenderverein DSAG ist eben ganz nahe an den SAP-Bestandskunden und weiß somit am besten um deren Empfindlichkeiten.
Nüchtern betrachtet müssen Jennifer Morgan und Christian Klein die Deadline 2025 korrigieren – zum Vorteil und Wohle der Bestandskunden und eventuell zum Nachteil gewisser SAP-Partner.
Rein rechnerisch würde ein Festhalten an der Deadline 2025 zum Massaker führen, weil es zu wenige Experten und Berater für einen geordneten S/4-Versionswechsel gibt, der letztendlich – ob Green, Blue oder Brown – eine ERP-Neueinführung ist und somit manchen SAP-Partnern viel Geld einspielen könnte.
In den noch verbleibenden Jahren würden die Tagessätze der externen Consultants unentwegt steigen. Speziell die Tausenden Mittelständler aus der SAP-Community wären mit diesem finanziellen Engagement überfordert.
Kaum jemand zweifelt den richtigen Weg, die richtige Richtung der SAP an. Auch der Verein DSAG sieht Hana und S/4 als eine richtige Antwort auf die anstehende digitale Transformation.
Weil aber SAP selbst in vielen Bereichen die eigenen Hausaufgaben noch nicht gemacht hat, ist die aktuelle Entwicklungsgeschwindigkeit viel zu hoch. Im Spiegel-Interview sagte SAP-Co-CEO Christian Klein:
„Ich sehe uns auf einem guten Weg und bin zuversichtlich. Wenn wir die an uns herangetragenen Hausaufgaben erledigen und unsere Kunden erfolgreich in die Digitalisierung begleiten, wird sich das auch positiv im Aktienkurs ausdrücken.“ (Quelle: Der Spiegel, Nr. 2 vom 4. Januar 2020, Seite 61)
Die SAP-Bestandskunden sollten sich auf die erfolgreiche Arbeit von DSAG-Vorstand Andreas Oczko verlassen können und in Ruhe ihre Planung für eine ERP-S/4-Neueinführung angehen. SAP kann ohne Probleme ERP/ECC 6.0 noch ein paar Jahre länger in der Wartung belassen.
Allein die Herausforderung mit den SQL-Datenbanken von Microsoft, Oracle und IBM harrt noch einer stabilen und bezahlbaren Lösung – aber Jennifer Morgan und Christian Klein haben für diese Lösung noch fünf Jahre Zeit, oder?