Die Verlorene Kernkompetenz der SAP
The Innovator’s Dilemma
SAP-Chef Christian Klein führt mit sicherer und starker Hand den ERP-Weltmarktführer durch unruhige Zeiten. Die Anteilseigner danken es ihm und werden mit stetig höheren Börsenkursen belohnt. Früher hieß es, der Kurs einer Aktie spiegelt nicht den aktuellen Zustand wider, sondern nimmt eine zukünftige Entwicklung vorweg. Diese Börsenregel gilt es zu hinterfragen.
Das Innovator’s Dilemma ist die simple Frage: Wie innovativ kann ein etabliertes Unternehmen sein, um weder die Bestandskunden zu verschrecken noch den Anschluss an die Zukunft zu verlieren? SAP-Chef Christian Klein hat eine komplexe Aufgabe vor sich. Die Zukunft verlangt eine Cloud-Transformation und die Bestandskunden klammern sich an die Weisheit der Informatiker: Never change a running system.
SAP will Cloud only, die langjährigen R/2- und R/3-Bestandskunden brauchen Antworten für ihre On-prem-Erfolge. Finanzanalysten wollen von Christian Klein das Buzzword „Cloud only“ hören, während sich Partner und Bestandskunden sorgen um den Investitionsschutz in die On-prem-Abap-Modifikationen: Klein und sein Innovator’s Dilemma!
Kernkompetenz statt Innovation
Eine Rückbesinnung auf die eigenen Stärken wäre vielleicht eine bessere Antwort gewesen, als einem Cloud-Trend hinterherzulaufen, dem Microsoft, Google und AWS schon längst enteilt sind. SAP hat kreative und motivierte Entwickler. Eine Neuerfindung von ERP wäre möglich gewesen und auch unabhängig vom Betriebsmodell.
Kurze Zeit hat es danach ausgesehen, dass SAP mit innovativer Kernkompetenz die Konkurrenz im Regen stehen lässt. Ex-SAP-Chef Bill McDermott präsentierte auf einer SAP-Hausmesse das Projekt C/4 Hana. Dieses CRM-System sollte eine erfolgreiche Antwort auf Salesforce werden und zum CRM-Marktführer aufsteigen. Es kam anders.
Mit SuccessFactors wollte SAP die HCM-Kernkompetenz unter Beweis stellen. Aktuell nutzen immer mehr SAP-Bestandskunden das HCM-Konkurrenzprodukt von Workday. Selbst SAP-Bestandskunde Mercedes ist ins Workday-Lager übergelaufen. Und nun auch noch Red Bull.
Red Bull ist in 175 Ländern aktiv und verkauft jährlich mehr als 11,5 Milliarden Dosen des Energydrinks. „Für uns als Getränkehersteller sind Transparenz und Sicherheit entlang der gesamten Prozesskette entscheidend. Aras Innovator schafft eine einheitliche Umgebung, die es allen Nutzern von Produktinformationen ermöglicht, auf Basis eines einzigen Prozess- und Datensatzes zusammenzuarbeiten“, erläutert Red Bull seine Entscheidung für Aras.
„Wir sind weltweit aktiv und unser Portfolio wächst jedes Jahr. In diesem komplexen System stellt PLM den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Partnern sicher und garantiert die Einhaltung aller Compliance-Regeln“, so Red Bull weiter. Aras Innovator wird bei Red Bull als Software as a Service (SaaS) implementiert und in die bestehende SAP-S/4-Hana- und Anwendungsinfrastruktur integriert.
Behörden verlangen im Bereich Food und Beverage sehr genaue Angaben über Inhaltsstoffe und Lieferketten. Die Einhaltung von Compliance-Vorgaben ist schon in einem Land sehr komplex. Wenn aber weltweit produziert und verkauft wird, muss die digitale Lösung dahinter Skalierbarkeit und Flexibilität vereinen, damit der gesamte End-to-End-Prozess akkurat gemanagt und überwacht werden kann. Diesen ESG-Ansatz (Environment, Social, Governance) wollte eben auch SAP-Vorstand Thomas Saueressig mit einer eigenen Nachhaltigkeits- und Compliance-Lösung in Form eines Green Ledger in den Markt und zu den SAP-Bestandskunden wie Red Bull bringen.
Kann SAP auch Zukunft?
Die Frage muss aus aktueller Sicht mit Nein beantwortet werden. Das Beispiel KI zeigt nochmals das Innovator’s Dilemma und eben auch die verlorene Kernkompetenz in den Bereichen CRM, HCM und PLM. Während IT-Konzerne wie Microsoft früh in neue Bereiche wie Cloud Computing oder bei OpenAI in künstliche Intelligenz investierten, blieb SAP bei diesen Zukunftsthemen lange zurückhaltend und bis jetzt zögerlich.
Um den Cloud-Trend nicht zu verschlafen, entschied man sich für ein Lift und Shift für S/4 Hana. Nun hat der ERP-Weltmarktführer ein System in der Cloud, aber keine konkurrenzfähigen Produkte als Antwort auf die Cloud-native-Anbieter.
Im Bereich KI reicht es für ein zaghaftes Investment in den europäischen Shootingstar Aleph Alpha. Hier machen Bosch oder Trumpf als SAP-Bestandskunden wesentlich mehr. Selbst Aleph-Alpha-Chef Jonas Andrulis prophezeite SAP auf dem KI-Summit des Handelsblatts in München eine theoretisch erfolgreiche Zukunft mit Alleinstellungsmerkmal im Bereich Large Language Model für Geschäftsprozesse. Offensichtlich glaubt SAP nicht an die eigene Kernkompetenz, sondern an Cloud only.