Wandel und Zukunft 2023
Erst die Covid-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg – beides sind Ereignisse, die nicht nur mit unfassbarem menschlichen Leid und tragischen Schicksalen verbunden sind, sie haben auch die Art wirtschaftlichen (Zusammen-)Arbeitens grundlegend geändert. Homeoffice, Energieknappheit, Rohstoffengpässe, gestiegene Kosten, unterbrochene Lieferketten, Leitzinserhöhungen, Inflation und verschärfter Fachkräftemangel sind Folgen, welche alte Gewissheiten vom Tisch gewischt haben und Unternehmen zu weitaus agileren, aber auch vorsichtigeren Vorgehensweisen zwingen.
Als IT-Dienstleister für die Automatisierung von kaufmännischen Dokumentenprozessen sind wir von diesen veränderten Bedingungen betroffen wie jedes andere Industrieunternehmen auch. Im Vergleich zu anderen stehen wir als IT-Unternehmen sicherlich immer noch gut da: Da Digitalisierungs- und Transformationsprojekte auch in Krisenzeiten Konjunktur haben, zeigen sich Pandemie- oder Kriegsfolgen kaum in unseren Umsatz- und Auftragseingangszahlen. Das ist nicht nur ein wichtiges Signal an unsere Mitarbeitenden und Kunden, sondern auch an unsere zweite „Kunden“-Gruppe, Analysten und Investoren, denn wir sind ein börsennotiertes Unternehmen.
Wir sehen das geänderte Verhalten, was Kaufentscheidungen, Anbieter- und Lösungsauswahl angeht, natürlich nicht nur bei uns, sondern auch auf Kundenseite. Die Frage nach einer zeitlich befristeten Verlängerung des Zahlungsziels zum Beispiel ist dabei nur eine Facette einer sich flexibilisierenden Kunden-Lieferanten-Beziehung. Gerade die Art, wie Anbieter und Lösungen ausgewählt werden – etwa durch eine Ausschreibung oder eine weniger förmliche Präsentation und Angebotsabgaben verschiedener Anbieter –, scheint sich durch Covid und Distanzmeetings grundsätzlich geändert zu haben.
Zuvor standen der persönliche Austausch und das Kennenlernen eines Anbieters vor Vertragsabschluss hoch im Kurs. Schließlich wollte man den „Nasenfaktor“ prüfen, herausfinden, ob die Chemie stimmt und wie sich der Anbieter im persönlichen Miteinander gibt. Das sind sicherlich, für beide Seiten, keine unwesentlichen Faktoren, bevor man sich im Software-Lösungsbereich für mehrere Jahre bindet und Investitionen in nicht unbeträchtlicher Höhe tätigt. Die Wichtigkeit des persönlichen Kennenlernens scheint abgenommen zu haben: Etliche der Vertragsabschlüsse der vergangenen zwei Jahre sind ohne Vororttermin zustande gekommen.
Mehr und mehr Interessenten bestehen auf einem POC, einem Proof of Concept, bei welchem man eine Lösung mit definiertem Funktionsumfang in einem umgrenzten Zeitraum quasi unter Livebedingungen testet. Man möchte bei dem vielfältigen Marktangebot sichergehen, dass man die passendste Lösung für seinen Geschäftsprozess auswählt. POCs hat es auch in der Vergangenheit schon gegeben, die Häufung gerade in der letzten Zeit ist durchaus auffällig für uns. Zumal wir POCs zwiegespalten gegenüberstehen: Sind sie einerseits eine gute Möglichkeit, eine Anwendung unter Einbeziehung von Anwendern auf Tauglichkeit hinsichtlich ERP-Integration und Real-Life-Szenarien zu testen, sind eben diese Anwender mitunter nicht immer glücklich mit einem eingeschränkten Funktionsumfang und nur simulierten Livebedingungen.
Was uns ebenfalls auffällt, ist ein Trend, vermehrt in Lösungen zu investieren, die auf die aktuelle wirtschaftliche Situation antworten. In unserem Fall heißt das, dass wir vermehrt Nachfragen nach unseren Collections- und Credit-Management-Lösungen verzeichnen. Das sind Anwendungen, die auf der Debitoren-, also Kundenseite, die Bonität existierender oder zukünftiger Kunden, Kredit- und Bestelllimite oder Zahlungsziele bewerten. Sie strukturieren und steuern das Forderungsmanagement insgesamt. Das ist nachvollziehbar, denn niemand möchte in Zeiten, in denen die Cashflow-Optimierung höchste Priorität hat und sich Gewinnmargen aufgrund von Wechselkursen und gestiegenen Kosten verringern, auf Zahlungsausfällen sitzen bleiben.
Auch Vertragsverhandlungen gestalten sich anders – nicht grundsätzlich, jedoch auf Punkte bezogen, die gerade im aktuellen Geschehen relevanter werden. So werden beispielsweise Preisanpassungsklauseln, gerade wenn sie auf einen Index bezogen sind, von beiden Seiten auf den Prüfstand gestellt oder Konzepte für Disaster-Recovery-Szenarien im Fall von Cyberangriffen oder Einbeziehung in ein Kriegsgeschehen zu einem essenziellen Vertragspunkt.
Das alles sind zunächst einmal individuelle Wahrnehmungen aus unserer Sicht als Dienstleister. Unterhalten wir uns mit Vertretern unserer „Peer Group“, werden uns ähnliche Erfahrungen geschildert. Ob wir hier also von generellen Trends sprechen, sei einmal dahingestellt. Sicher ist, dass wir alle – als Unternehmen oder Individuen – auf das veränderte Wirtschaftsgeschehen mit geänderten Verhaltens- und Vorgehensweisen reagieren. Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit – dieser ebenso platte wie zutreffende Sinnspruch entfaltet seine schlichte Wahrheit selten passender als in Zeiten ungewisser Wirtschaftsaussichten und auf den Kopf gestellter Marktregeln.