Supply Chain – die neue Unübersichtlichkeit
Agilität und intensive Marktbeobachtung sind hilfreich. IT-Tools zur Veredelung des ERP-Systems können ebenfalls die Negativeffekte eindämmen. Das Aufgabenfeld und die Rahmenbedingungen des Supply Chain Management haben sich in den vergangenen zwei Jahren grundlegend gewandelt. Bildlich gesprochen: Aus einem Straßenrennen ist ein Hindernislauf in unwegsamem Gelände geworden. Unruhige Zeiten sind angebrochen. Damit verändern sich auch die Anforderungen an das SAP-gestützte Supply Chain Management grundlegend. Es geht – um im Bild zu bleiben – nicht vordringlich darum, bei guter Sicht noch etwas sauberer und schneller um die Kurve zu fahren. Stattdessen gilt es sicherzustellen, dass man auf unbekanntem Gelände und bei schlechtem Wetter überhaupt ins Ziel kommt.
Knappheit als Dauerzustand
Die Ausgangsbedingungen sind bekannt, jedes Unternehmen ist in der einen oder anderen Weise davon betroffen. Es begann mit strikten Pandemiebestimmungen in den Häfen und Produktionsbetrieben Chinas, setzte sich fort mit Staus der Containerschiffe und drastisch steigenden Frachtkosten. Parallel dazu entstand der Mangel an Halbleitern, der neben der Automobilindustrie den gesamten Maschinenbau beeinträchtigt. Verpackungsmaterialien aus Papier und Kunststoffen sind durchgängig knapp, was zum Teil mit einem weiteren Eskalationsfaktor – den explodierenden Energiepreisen – zu tun hat. Vermeintliche Bagatellereignisse wie ein festgefahrenes Containerschiff im Suezkanal heizten die Krise weiter an. Der Krieg auf europäischem Boden hatte weitere Engpässe zur Folge bei so verschiedenen Produkten wie Kfz-Kabelbäumen und Nägeln für Holzpaletten.
In einer Ifo-Umfrage vom März 2022 sind rund 80 Prozent der befragten Unternehmen von Engpässen betroffen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) schätzt, dass die deutsche Industrieproduktion im Jahr 2021 um zwölf Prozent unter dem Niveau lag, das sie ohne Lieferengpässe und Materialmangel gehabt hätte. Das entspricht einem Wert von 70 Milliarden Euro und zwei Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Es ist leider nicht davon auszugehen, dass in dieser Situation der Hebel umgelegt wird und wir zu den (aus heutiger Sicht fast paradiesischen) Zuständen der Vor-Pandemie-Zeit zurückkehren. Die Energiepreise werden aller Voraussicht nach hoch bleiben und die Halbleiterkrise wird uns bis mindestens 2024 beschäftigen.
Beschaffung wird zur Chefsache
Viele produzierende Unternehmen haben in dieser Situation in den Krisenmodus umgeschaltet. In der Konstruktion und Entwicklung werden Maschinen so umkons-truiert, dass verfügbare Mikrochips eingesetzt werden können. Die Beschaffung, zum Beispiel von Halbleitern, ist zur Chef- oder Vorstandssache erklärt worden und bei vielen Zulieferteilen und Rohstoffen suchen die Einkäufer nach Zweitlieferanten, die gern vor Ort ansässig sein dürfen statt auf anderen Kontinenten.
Unter diesen Vorzeichen kommt auch der Software für das Supply Chain Management eine neue Rolle zu – beziehungsweise gleich mehrere neue Rollen. Eines bleibt: Der Anspruch der Geschäftsleitung an die Supply-Chain-Experten, eine reibungslose und kostenoptimierte Lieferkette zu gewährleisten. Aber diese Aufgabe zu erfüllen ist sehr viel schwieriger geworden. Denn sie bedeutet quasi die Quadratur des Kreises: Man muss das Unvorhersehbare prognostizieren und das Unmögliche zuverlässig beplanen und abarbeiten.
Was so abstrakt noch handhabbar scheint, wird schnell fast unmöglich, wenn man konkret wird und das Unvorhergesehene beschreibt: Wenn sich erst bei Schichtbeginn zeigt, dass benötigte Materialien nicht just in time geliefert wurden und der Plan aus der Disposition vom Vortag damit nicht funktioniert. Wenn sich erst morgens herausstellt, wie viele Mitarbeiter in Quarantäne sind. Wenn im Tagesverlauf die Kundenabrufe x-mal angepasst werden.
Flexibilität kostet
Dann ist Flexibilität gefragt, aber Flexibilität kostet. Sie kostet Zeit in Form von Rüst- und Planungsaufwand, sie bedeutet höhere Logistikkosten bei kleineren Produktionsmengen und mehr Maschinenausfälle durch kurzzeitige Volllast statt geglätteter Fertigung. Also doch besser den Sicherheitsbestand erhöhen? Mehr Zwischen- und Fertigprodukte auf Lager legen? Auch das kostet, nicht nur aufgrund von Kapitalbindung und Lagerhaltung. Preisänderungen – ohnehin ein großes Thema im Moment – sind ebenfalls einzurechnen oder der Verlust durch Verderblichkeit von Materialien.
Zunächst muss die gesamte Lieferkette noch genauer in den Blick genommen werden. Durchgängige ERP-Systeme auf SAP-Basis sind dafür eine gute Voraussetzung. Sie sollten aber durch SCM-spezifische Tools wie die GIB-Suite on ERP/ECC 6.0 oder GIB-SCX on S/4 Hana ergänzt und veredelt werden. Diese Tools erhöhen die Transparenz über die gesamte Supply Chain hinweg und schaffen die Voraussetzung dafür, dass Unregelmäßigkeiten schnell erkannt werden. Dem Anwender steht dann eine Art „Engpassradar“ zur Verfügung, auf dessen Basis er frühzeitig reagieren und gezielt gegensteuern kann.
Mehr Agilität
Die GIB-Software sorgt ganz konkret für Transparenz und Schnelligkeit. Mit anderen Worten: Sie fördert die Agilität. Sie warnt sofort bei der Änderung von Kundenbedarfen und simuliert die Intralogistikprozesse, um die beste Produktionsreihenfolge unter den gegebenen Kapazitäten und Materialverfügbarkeiten zu ermitteln. Außerdem ermöglicht sie den direkten Absprung aus dem Auftrag in die Primär- und Sekundärbedarfe, um Engpässe direkt zu erkennen und zu beheben. Und sie sorgt für Transparenz an der Maschine, um auch in der letzten Meile noch handlungsfähig zu bleiben.
Transparenz ist gewünscht sowie eine Datengrundlage für alle Entscheider. Neben der Transparenz stellen die GIB-Tools auch einige sehr aussagekräftige Kennzahlen bereit, die den Qualitätsstand der Supply Chain anzeigen und genau definieren, an welcher Stelle im Lieferkettenmanagement Handlungsbedarf besteht. Dabei wird sichergestellt, dass alle Beteiligten dieselbe Datenbasis im SAP-System betrachten und über dieselben Dinge sprechen. Auch die Lieferanten – selbst die ohne eigenes SAP-System – können in diese Informationskette einbezogen werden.
Abschied von der Globalisierung?
Abgesehen von diesen aktuell wichtigen Optimierungen stellen sich auch grundsätzliche Fragen: Bietet sich jetzt eine Justierung der Supply-Chain-Strategie an? Jahrelang ging der Trend in Richtung Internationalisierung, und das brachte auch Vorteile. Jetzt zeigen sich die Nachteile und mancher Einkaufsverantwortliche oder Supply Chain Manager wird sich die vermeintlich gute alte Zeit vor der Globalisierung zurückwünschen, die er oder sie nur vom Hörensagen kennt. Da schickte man einfach einen Lkw zum Lieferanten, wenn Teile fehlten, und war nicht vom Geschehen in chinesischen Häfen oder Schiffsunfällen im Suezkanal abhängig.
Insourcing und Nearshoring
Der Wunsch nach der Wiedereingliederung von zuvor ausgelagerten Prozessen ist verständlich. Vermutlich war die Supply Chain noch nie bei so vielen Unternehmen so instabil und kritisch wie jetzt. Aber sind Strategien wie Insourcing oder Near-shoring realistisch? Können sie aus wirtschaftlicher Perspektive eine echte Alternative sein? Die Antwort ist komplex. Kurze Ketten sind stabiler, das stimmt. Aber zunächst muss man wohl fair sein. Wer weltweit verkaufen will, sollte sich beim Einkaufen nicht auf die nächste Umgebung beschränken. Was ist, wenn das Beispiel bei den Kunden in China und den USA Schule macht? Dann brechen ganze Märkte weg.
Außerdem sind zum Beispiel Lohnunterschiede nicht wegzudiskutieren. Und es dürfte schwerfallen, Mikrochips oder Spezialsensoren in der Nachbarschaft einzukaufen. Manche Lieferketten sind einfach global und wenn man die Rohstoffe hinzunimmt, trifft das sogar auf die meisten Supply Chains zu. Auch Skaleneffekte und Kernkompetenzen spielen eine Rolle. Wenn ein Dienstleister Bauteile für 50 oder 200 Kunden produziert, lackiert oder veredelt, kann er das höchstwahrscheinlich sowohl besser als auch günstiger als jeder Kunde für sich. Mit der Komplexität wird man also leben müssen. Eine Rückkehr zum vorglobalisierten Wirtschaften gibt es nicht. Aber jedes Unternehmen ist aufgefordert, mit der Tatsache der globalisierten Lieferketten klug umzugehen und zu schauen, wo sich Risiken verringern lassen.
Eine Maßnahme könnte und sollte sein: prüfen, wo man lokal statt global einkauft. Dabei sollte man nicht nur auf den Preis schauen, der dann oft höher sein dürfte. Es lohnt sich, auch die Art und Weise der Zusammenarbeit auf den Prüfstand zu stellen. Mit einem Zulieferer vor Ort lässt sich die Zusammenarbeit anders gestalten als mit Zulieferern am anderen Ende des Erdballs. Vielleicht hat der lokale Lieferant eine Idee zur Optimierung der Konstruktion? Oder er liefert ein komplettes Modul statt diverser Komponenten? Räumliche Nähe schafft auch andere Möglichkeiten der Kooperation.
Die Lieferkette stabilisieren
Das heißt: Bei der oft von der Notwendigkeit getriebenen Optimierung der Supply Chain sollte es nicht nur um die Entfernung zum Zulieferer gehen, sondern auch um die Art der Beziehung, die man pflegt. Und ganz unabhängig davon, wo der Zulieferer angesiedelt ist – ob in Stuttgart oder Shenzhen –, sollte man Transparenz in die Supply Chain bringen. Dann kann man, im besten Fall, bedarfsgerecht planen, zeitnah beobachten und, was das Lieferantenmanagement angeht, am Steuerrad sitzen statt auf dem Beifahrersitz. So wird die Lieferkette stabilisiert.
Was auch helfen kann: qualifizierte Dienstleistung in Form von Beratung in Anspruch zu nehmen. Bei der ifm (zuvor GIB) gehört Beratung mit dem Ziel des „Continuous Improvement“ zur kontinuierlichen Kundenbetreuung einfach dazu. Dabei lernen beide Seiten: die Kunden durch umfassende Marktkenntnis der Berater, die regelmäßig in zahlreiche und ganz unterschiedliche Unternehmen „hineinhorchen“, und die Berater durch das Kennenlernen neuer und praxisgerechter „Use Cases“, für die es Lösungen zu finden gilt.
Gute Gründe für Optimierung der Supply Chain: Abgesehen von den Störungen der immer komplexeren Lieferketten gibt es noch weitere Gründe für die zielgerichtete und IT-gestützte Optimierung der Supply Chain. Sowohl das Lieferkettengesetz als auch die zunehmende Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsfaktoren verlangen ein höheres Maß an Transparenz über den gesamten Logistik- und Beschaffungsprozess.
Stabile Supply Chain sichert Erfolg
Die ifm-Unternehmensgruppe, zu der auch die GIB zählt, ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein genauer Blick auf die Supply Chain gerade in unruhigen Zeiten nachhaltig zum Unternehmenserfolg beiträgt. Im abgelaufenen Geschäftsjahr konnte der Spezialist für innovative Automatisierungstechnik den Vorjahresumsatz um 21 Prozent steigern und mit rund 1,16 Mrd. Euro einen neuen Umsatzrekord erzielen. „Dass wir so gestärkt durch die Krise gekommen sind, zeigt, dass unsere Wachstumsstrategie mit einer diversifizierten Markt- und Branchenstruktur langfristig erfolgreich ist“, sagt Christoph von Rosenberg, Finanzvorstand der ifm-Gruppe, anlässlich der Veröffentlichung der Geschäftszahlen: „Auch eine stabile Supply Chain trotz weltweit gestörter Lieferketten hat einen wesentlichen Anteil an unserem Erfolg. In 96,4 Prozent der Fälle konnten wir so auch im Jahr 2021 eine Lieferung zum Wunschtermin des Kunden realisieren.“
Das Ergebnis (EBIT) in Höhe von 10,6 Prozent (Vorjahr 7,6 Prozent) konnte im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls deutlich gesteigert werden und hat ein Rekordniveau erreicht. Diese erfreulichen Daten und Zahlen sind sicherlich nicht ausschließlich auf die Nutzung der inhouse entwickelten GIB-Software-Tools zurückzuführen. Aber einen Beitrag dazu werden sie schon geleistet haben.