SCM, CRM und SAP-Kernkompetenz
Das SuccessFactor-Desaster konnte SAP noch in allerletzter Sekunde verhindern. Es war aber der Beweis, dass SAP eben Cloud Computing nicht beherrscht. Wann immer ein SAP-Bestandskunde in der SuccessFactor-Cloud einen umfassenden Job startete, sahen viele andere Cloud-Anwender nur die bekannte Sanduhr am Bildschirm.
SAP konzentrierte sich auf die HCM-Funktionen und vernachlässigte das Infrastrukturmanagement. Der Fokus lag auf dem Übergang von einer jahrzehntelang erprobten On-prem-HR-Lösung auf ein HCM-System in der Wolke. Ausgangspunkt für diese Transformation war das zugekaufte SuccessFactor. Die Roadmap schmeckte nicht allen SAP-Bestandskunden, aber funktional ergab es im Großen und Ganzen schon Sinn – nur das Betriebsmodell in der Cloud beherrschte SAP nicht.
SAP scheint aus den Fehlern nur wenig gelernt zu haben: Auf Basis der jahrelang erfolgreichen On-prem-APO-Lösung (Advanced Planner und Optimizer) entstand in der Cloud IBP, Integrated Business Planning. Supply-Chain-Experten sind überwiegend vom Funktionsumfang und dem End-to-End-Gedanken der Integrated Business Planning überzeugt. SAP wird für diese Softwareentwicklung nachdrücklich gelobt. Aber IBP gibt es nur als Cloud-Angebot – eine für uns untragbare Situation. Warum?
IBP kommt als Cloud-Lösung ins Haus und damit wäre die Supply-Chain-Planung von der Release-Planung und den Maintenance-Zeiten der SAP abhängig. Ein Industriekonzern, wie mein Arbeitgeber mit weltweiten Lieferketten, kann sich mit SCM aber nicht von Wartungsfenstern und Infrastrukturanbietern wie SAP abhängig machen.
Als Group-CIO habe ich schon genug Diskussionsbedarf bei Anwendungen der professionellen Hyperscaler, deren Geschäftsmodell die Wolke ist. Das Geschäftsmodell von SAP ist betriebswirtschaftliche Standardsoftware. Im Bereich Cloud Computing spricht alles gegen SAP – zu wenig Erfahrung, zu wenig Infrastruktur, zu wenig Skalierung. Selbst mit Schattenverträgen zum US-Anbieter Cloudflare kann es SAP nicht gelingen, eine befriedigende Cloud-Architektur für globales IBP aufzubauen.
Weil viele Supply-Chain- und APO-Experten hier im Haus von IBP wirklich überzeugt sind, will ich es nochmals deutlich argumentieren: Integrated Business Planning in der Cloud ist ein zu großes Klumpenrisiko! Natürlich betreibe ich mittlerweile meine eigenen Rechenzentren nach einem verifizierten Wolkenmuster, weil in vielen Bereichen Cloud-Funktionalität die logische Weiterentwicklung von Virtualisierung ist – aber in der Logistikkette müssen wir die Autonomie behalten und Wartungsfenster selbst bestimmen können.
Noch ein Beispiel aus dem Themenbereich Funktion versus Infrastruktur: Ein Teilbereich des Konzerns verlangte bei mir Anfang dieses Jahres ein neues CRM-System. Der verantwortliche Vertriebschef war bei mir im Büro und meinte, dass er gehört habe, Salesforce würde ganz gut mit unserem SAP-System harmonisieren. Ohne eine betriebswirtschaftliche, organisatorische, technische und lizenzrechtliche Vorlesung zu initiieren, versprach ich, die Sache wohlwollend zu prüfen – auch, weil ich selbst beim SAP’schen CRM nicht auf dem aktuellen Stand war.
Über den Sommer beauftragte ich drei Praktikanten mit einer Evaluierung und CRM-Produktauswahl, wobei der wesentliche Fokus auf SAP und Salesforce lag. Überraschung: In fast allen Disziplinen schnitt bei uns SAP wesentlich besser ab als Salesforce. Das SAP CRM macht einen wesentlich konsistenteren Eindruck. Es ist mehr eine in sich stimmige Applikation als ein Excel-anmutendes, gewachsenes CRM-System. Ich war sehr überrascht, was SAP in den vergangenen Jahren seit der vollmundigen Ankündigung von C/4 auf einer Sapphire in Orlando – damals durch Bill McDermott und Hasso Plattner – an Weiterentwicklung geschaffen hat. Der Vertriebskollege bekommt kommendes Jahr ein CRM aus dem Hause SAP!
Was ich mit meiner letzten Kolumne für dieses Jahr beweisen wollte: SAP beherrscht immer noch die wesentlichen betriebswirtschaftlichen Algorithmen. Die SAP’sche Kernkompetenz existiert und ist das Betriebswirtschaftliche und Organisatorische und eben nicht das Cloud Computing.
2 Kommentare
Christian Podiwinsky
Ich kann mich als langjähriger interner / externer SAP-Berater diesen Ausführungen nur anschließen. Für die meisten SAP-Kunden war die multifunktionale / multibranchen Integration der SAP-Anwendungen in einem logischen System ein wesentlicher Entscheidungsfaktor, der andere Nachteile – wie Preis/Kosten, Schulungsaufwand, wenig sexy-Oberfläche,.. aufhob. Es wäre logisch gewesen, hätte man die In-memory-Speichertechnologie und in späterer Folge die universellen Digitalisierungsanforderungen zum Anlass genommen, um den SAP-Kernel – sprich R/3-ECC,… entweder weiter oder -ähnlich wie beim Wechsel von R/2 auf R/3 – ein R4 zu entwickeln, das die technologischen Entwicklungen voll ausnutzt. Da hätte man voll integrierte Planungsmodelle – integriert mit KI-Funktionen neu entwickeln können, eine mehrstufige Verfügbarkeitsprüfung mit Handlungsalternativen, voll integrierte Personaleinsatzplanungen und Isterfassungen, Einkaufs- und Kundenplattformen, flexible, voll integrierte Prozessmodellierungen / – verfolgungen, Workflow-Applikationen mit variablen, benutzernahen Parameter und intergiert über alle Anwendungsmodule, eine mit ABAP und anderen SAP-Entwicklungswerkzeugen verknüpfte Low-Code / No-Code-Umgebung u.v.a.m. entwickeln können. Bei konsequenten Neuausbau und Modernisierung des R/4 wäre auch eine Neulizenzierung vertretbar ud vom markt auch akzeptierbar gewesen.
Statt dessen kaufte man – ziemlich wahllos – Softwarefirmen zu, deren Anwendungen in den wenigsten Fällen die Key-Bedürfnisse der bestehenden SAP-Kunden berührte, noch in gewohnter Weise mit dem SAP-Kernel integrierbar waren und vollkommen neue Skills zum Aufbau / Wartung der Systeme brauchte.
Es ist für sehr viele Kunden auch nicht nachvollziehbar, warum sie ihr bestehendes ERP-System in die Cloud transferieren sollen , warum SAP-Neuentwicklungen mit Priorität in der Cloud angeboten werden – es gibt sehr wenige – und wenn nur kurzfristig geltende – betriebswirtschaftliche Argumente das zu tun. Und wie mühsam ist es, Know-how für IBP, SAC, Instandhaltung neu.. zusätzlich zum bestehenden SAP-Know-how aufzubauen – wie viele Fallen, Zusatzaufwand, Zeitverzögerungen,… gibt es ,um die Daten von diesen isolierten Anwendungen mit dem Kern-ERP zu verknüpfen – da verliert SAP ihre Uniquness – da kann man sich genau so gut um andere Produkte, die oft sehr gut mit SAP verknüpfbar sind, umschauen – und die Betreuung ist da auch oft besser.
Peter M. Färbinger, E-3 Magazin
Hallo! Ja, ein R/4 wäre besser gewsen als ein S/4. Einige Experten sagen aber auch, dass in S/4 an vielen Stellen nur ein ERP/ECC 6.0 steckt. Also alter Wein in neuen Schläuchen?
Und die verordnete Cloud-Transformation wird noch ein Thema in der SAP-Community: Der APO erweckt immer wieder gemischte Gefühle. Nun muss es mit dem Nachfolger IBP in die Cloud gehen, darüber sind nicht alle SAP-Bestandskunden glücklich.
SAP öffnet mit der aktuellen Politik den Mitbewerbern Tür und Tor …