SAP ohne Alleinstellungsmerkmal
Die zwei Seiten von SAP R/3
Die SAP-ERP-Software R/3 hat im Wesentlichen zwei Charaktereigenschaften: Es war eine Black-Box, mit der SAP fast das Internet verschlief. Aber R/3 war auch der Inbegriff für ganzheitliche, orchestrierte ERP-Software. In keinem anderen Softwareprodukt steckte ähnlich viel betriebswirtschaftliches und organisatorisches Wissen. Es gab kaum eine Herausforderung aus der Buchhaltung, die mit R/3 nicht lösbar war – egal welche Währung, egal welches Land, egal welche Produktionsart und Industrie.
Fokussiert auf Organisation und Betriebswirtschaft
Die fünf SAP-Gründer und viele Weggefährten, wie etwa in Deutschland Professor Hans-Georg Plaut, formten ein einzigartiges Programm zur Steuerung einer betriebswirtschaftlichen Aufbau- und Ablauforganisation. Vor 50 Jahren konnte das kein anderer Software-Anbieter in dieser Klarheit und Gesamtheit. SAP-Software war komplex und manchmal kompliziert. Es dauerte einige Zeit, bis mit Hilfe der großen, globalen Beratungsunternehmen die Software ihren Weg zu den Anwendern fand.
Betriebswirtschaftliche Software-Lösungen waren die Domäne von SAP. Betriebssysteme, Datenbanken, Middleware, Clients wurden von anderen IT-Konzernen bereitgestellt. Es gab zwischen SAP, IBM, Oracle, Microsoft und vielen anderen Informatikkonzernen eine funktionierende Arbeitsteilung.
SAP-Sündenfall: Betriebswirtschaft versus Technik
SAP entwickelte in den vergangenen Jahren einen Allmachtsanspruch. Der ERP-Weltmarktführer setzte an, den gesamten IT-Stack zu besitzen: Datenbank, Middleware und GUI. Später kamen die IT-Felder Cloud und KI hinzu. Aufgrund dieser Entwicklung musste SAP seine Ressourcen aufteilen. Der Fokus auf die betriebswirtschaftliche Problemlösung ging verloren. Auf Gebieten wie Datenbanken, Cloud und KI traf SAP auf mächtige Mitbewerber. Noch immer ist SAP ein Meister des Finanzwesens, Controlling und ERP, aber viele Marktteilnehmer haben aufgeholt und SAP selbst baute den Vorsprung kaum mehr aus. Aktuell ist SAP ein erfolgreiches IT-Unternehmen unter vielen.
Verlust der SAP-Kernkompetenz
Zum SAP-Thema ERP gehören die Bereiche Supply Chain Planning und Logistik sowie die Automatisierung einer industriellen Produktion. Im Bereich der Fertigungsindustrie und teilweise im Handel war SAP ein Trendsetter. Vor wenigen Jahren wäre eine Konkurrenz zu Microsoft und Siemens im Bereich der industriellen Software nicht denkbar gewesen.
Im deutschsprachigen Handelsblatt stand vor wenigen Wochen, dass Microsoft-Chef Nadella in Berlin ankündigte, dass Thyssenkrupp Automation Engineering als erstes Unternehmen plant, den Siemens-Industrial-Copilot weltweit einzusetzen. Die Lösung von Siemens ist ein KI-gestützter Assistent, der entwickelt wurde, um die Automatisierung und Effizienz in industriellen Prozessen zu verbessern. Der Copilot basiert auf generativer künstlicher Intelligenz von Microsoft und OpenAI. (Quelle)
Siemens wird weiter in den Bereich Informatik und ERP-Software investieren: In diesen Wochen wurde bekannt, dass Siemens das US-amerikanische Unternehmen Altair übernehmen wird. Damit wird Siemens/Altair am globalen Markt für Industrieautomatisierung ein direkter Mitbewerber zu den Industrielösungen von SAP. In den Bereichen SCM, PLM und Logistik bekommt SAP immer stärkere Konkurrenz. Das einstige Alleinstellungsmerkmal schwindet. Bei CRM und HCM hat SAP schon gegen Salesforce und Workday verloren. Was wird nun aus Supply Chain Planning? Was sind die künftigen Alleinstellungsmerkmale von SAP?