SAP-Aktie auf Talfahrt


ERP-Weltmarktführer SAP ohne Kernkompetenz
Der jahrzehntelange Erfolg von SAP beruhte auf den betriebswirtschaftlichen und organisatorischen Algorithmen. Kein anderer Software-Anbieter konnte ähnlich viele länderspezifische Lösungen anbieten wie SAP: Von Ungarn bis Brasilien bis Südkorea – das SAP-Rechnungswesen ist fast überall zu Hause. Mit betriebswirtschaftlicher Standardsoftware hat SAP die Welt erobert.
Die einzigartige betriebswirtschaftliche Kernkompetenz wurde in den vergangenen Jahren vernachlässigt. SAP setzte vermehrt auf die IT-Megatrends, die von anderen Konzernen vorgegeben wurden. Damit stand und steht SAP immer in der zweiten Reihe: Es gibt für SAP bei den Themen Cloud, Datenmanagement und KI kein Alleinstellungsmerkmal. SAP-Chef Christian Klein versucht, aus dem Defizit eine Tugend zu machen, und er schließt Partnerschaften rund um die Uhr ab. Damit hält er SAP am Leben, aber bringt den ERP-Konzern in keine führende Position.
SAP Hana und SAP BTP
Viele Jahre kooperierte SAP mit den führenden Datenbankherstellern. Das SAP-ERP nutzte diese relationalen Datenbanksysteme aber großteils nur als einfache File- und Datenverwaltungssysteme. Komplexe Aufgaben wurden den fremden Datenbanksystemen nicht überantwortet. Die Business-Logik verblieb in den ERP-Algorithmen. Darunter litt die Performance, weil die Datenbanken von IBM, Oracle und Microsoft im SAP-Umfeld die eigene Kompetenz nicht ausspielen konnten.
Mit der von SAP entwickelten Datenbank Hana wurde alles anders: Viele Prozesse wurden nun auf die Datenbankplattform Hana verlagert, die durch ihre In-Memory-Computing-Struktur dann eine gewaltige Leistungssteigerung zeigte. Hätte SAP die Datenbanken von IBM, Oracle und Microsoft ähnlich benutzt und genutzt, dann wäre ein ähnlicher Performanceschub auch mit den ehemaligen Partnern gelungen.
Cloud Computing folgt anderen Gesetzen als eine ERP-On-prem-Installation. Damit entstand die Notwendigkeit eines Side-by-Side-Ansatzes: Auf der einen Seite das standardisierte Cloud-ERP, auf der anderen Seite eine Entwicklungsumgebung für Modifikationen und Add-ons. Die Antwort von SAP ist BTP, Business Technology Platform. Innerhalb weniger Jahre konzentrierte SAP seine Ressourcen auf die Entwicklung technischer Lösungen und Werkzeuge. Das betriebswirtschaftliche Erbe wurde demnach weitgehend vernachlässigt.
Was Finanzanalysten hören wollen: Cloud und KI
Inhaltliche Schwächen und mangelnde Qualität der ERP-Software wurden in den vergangenen Jahren durch Cloud Computing, IT-Plattformen und KI ersetzt. Es entstand ein spektakuläres „Storytelling“ über Cloud und KI, das bei den Finanzanalysten auf hohe Resonanz stieß. Die ganze Welt ist Cloud Computing. Die Hyperscaler sind die IT-Stars. Somit entschied auch SAP, ein Cloud-Anbieter zu werden – ganz unabhängig davon, ob dieses Betriebsmodell zu ERP passt.
Ähnliches entwickelte sich im Bereich KI. Auch hier hatte SAP wenig vorzuweisen, aber durch geschickte Partnerschaften und eine gute Geschichte konnte SAP-Chef Christian Klein überzeugen. SAP als KI-Unternehmen verfing in der Finanzwelt ähnlich erfolgreich wie Cloud Computing.
In den vergangenen Monaten stieg der SAP-Aktienkurs von einem Allzeithoch zum nächsten. Die Aktienperformance war atemberaubend. CEO Christian Klein und CFO Dominik Asam wurden gefeiert. Aber offensichtlich ist dieses „Storytelling“ nicht nachhaltig. Die Visionen stimmen mit der ERP-Realität nicht überein. Bei der geringsten Erschütterung der Finanzwelt stürzte der SAP-Aktienkurs überproportional ab. Es fehlt ein solides ERP-Fundament für faktenbasiertes Wachstum – nur Schlagwörter wie Cloud und KI sind langfristig zu wenig Treibstoff.