Rise-with-SAP-Lizenzchaos
Oft und leichtfertig redet die IT-Szene von Paradigmenwechseln mit dramatischen Folgen. Revolution statt Evolution ist angesagt! Dort, wo wirklich kein Stein auf dem anderen bleibt, sind die Verantwortlichen oft leiser und zurückhaltender: SAP verkauft Rise als eine weitere ERP-Lösung, ohne auf die dramatischen Auswirkungen hinzuweisen. Mit süßer Stimme lockt SAP Bestandskunden in eine neue ERP-Welt – Vorsicht ist geboten!
Rise with SAP ist ein Service- und Mietangebot, das es zuvor von SAP noch nie gegeben hat. Die SAP-ERP-Vergangenheit beruht auf Kaufverträgen. Der Bestandskunde erwarb Lizenzen für User, Engines und Maintenance. Das gesamte Modell bestand aus dem einmaligen Lizenzkauf plus jährlicher Wartungskosten. Es war ein gutes Geschäft für SAP, denn mit jedem Lizenzverkauf konnte die zukünftige, jährliche Pflegegebühr vorausberechnet werden. Der Maintenance-Umsatz für die Folgejahre war transparent ersichtlich.
Der SAP-Bestandskunde hatte jedoch auch die Möglichkeit, die Software-Pflege auszusetzen oder an einen anderen Anbieter zu übergeben. Diesen Prozess goutierte SAP naturgemäß nicht und bei einem Wiedereinstieg in die SAP’sche Pflegegebühr kam es oft zu juristsischen Auseinandersetzungen. Es entstand eine Schattenwirtschaft bestehend aus sogenannten, gebrauchten Lizenzen. Ein gekauftes Nutzungsrecht hat in den wenigsten Fällen ein Ablaufdatum. Dennoch gab es einen ausführlichen Diskurs über Lizenzen aus zweiter Hand. Nicht nur SAP war über diesen Second-Hand-Markt unglücklich, auch Microsoft, Adobe und Oracle versuchten sich dagegen zu wehren. Letztendlich bestätigten Gerichte die Rechtmäßigkeit der Weitergabe gekaufter Lizenzen unter bestimmten und technisch logischen Bedingungen.
Es begann die Zeit des Nachdenkens über neue Lizenzmodelle bei den IT-Anbietern. Die Alternative zu einem Kaufmodell ist naturgemäß die Miete. Mit dem Aufkommen der Technik des Cloud Computing eröffnet sich fast automatisch für die Software-Anbieter ein Paradies an Kontrolle, Effizienz und nachhaltigem Einkommen. Cloud zur Miete ist ein klassisches Vendor-Lock-in. SAP hat diese Kombination aus Miete und Cloud in mehrere Rise-Verträge zum Vorteil des ERP-Weltmarktführers hervorragend umgesetzt (siehe aktueller SAP-Aktienkurs). In den allermeisten Fällen gereicht ein Rise-Vertrag zum Nachteil der Bestandskunden und SAP weiß das. Wer rechtzeitig und ohne Zeitdruck mit den Lizenzverhandlungen über einen Rise-Vertrag beginnt, der kann viele Zugeständnisse von SAP erreichen. Leider ist es dafür dieses Jahr wahrscheinlich schon zu spät!
Rise ist ein Service- und Mietvertrag. Einen Kaufvertrag über SAP-Lizenzen kann der Bestandskunde auch noch am 31. Dezember unterschreiben. Weil aber Rise auch eine technische Komponente hat und die Cloud dafür bereitgestellt werden muss, war das fiktive Jahresende für Rise-Verträge Ende November. Wie immer im Vertrieb wird es auch hier Ausnahmen geben, aber eine seriöse Vertragsverhandlung bezüglich Rise-with-SAP dauert erfahrungsgemäß bis zu einem halben Jahr.
SAP macht es einem nicht einfach: Ein Rise-Vertrag ist ein Paradigmenwechsel und besteht aus mindestens zwei Teilen. Der erste Teil ist die Cloud-Subskription (Miete), die ab einem definierten Zeitpunkt immer zu zahlen ist, unabhängig davon, ob der SAP-Bestandskunde mit seinem ERP auch dort angekommen und eingezogen ist. Der zweite Teil ist ein Servicevertrag, das Umzugsservice in die Cloud. Im ersten Schritt gibt der Bestandskunde seine On-prem-Lizenzen ab und liefert sich damit vollkommen der SAP aus (Vendor-Lock-in), dann beginnen die Arbeiten für die Übersiedlung (Lift und Shift). Hat der Bestandskunde das Glück, eine erfahrene SAP-Cloud-Mannschaft zugeteilt zu bekommen, kann alles gut gehen. Es gibt aber auch Fälle von Projektabbrüchen bis hin zu Auflösungen der Lift-und-Shift-Verträge – die Cloud-Miete beginnt zum vorgesehenen Zeitpunkt dennoch.
Noch etwas sollte der SAP-Bestandskunde bei der Aufgabe seiner On-prem-Lizenzen und der Übersiedlung in die SAP-Rise-Cloud beachten. Aktuell gibt es bei SAP keine Exit-Strategie. Naturgemäß darf und kann jeder SAP-Bestandskunde mit Ende des Mietvertrags (Cloud-Subskription) seine Daten als CSV-Datei herunterladen und versuchen in Excel zu sortieren, realistisch ist dieses Vorgehen nicht. Das hat auch die EU erkannt und ein Cloud-Gesetz auf den Weg gebracht, das Hoster und Hyperscaler verpflichtet, den Geschäftsgang des Anwenders auch nach Ablauf des Mietvertrags sicherzustellen. Musterverträge wird es im Herbst 2025 geben. Ob SAP einen Gegenentwurf anbieten wird oder sich der EU-Gesetzgebung beugt, ist noch unbeantwortet. Tatsache bleibt, dass die Auflösung eines Cloud-Softwarevertrags zu den komplexeren Herausforderungen eines S/4-Bestandskunden gehören wird.
1 Kommentar
Cassius
Excellent article, Peter!
The issue you’ve approached is an important theme that most CIOs doesn’t have in mind, and it can put in serious risk a company operation.
It’s a matter of business which compromises companies and people.
Best!