Lizenzdiskurs


Der Erfolg und das schnelle Wachstum der SAP widerspiegeln sich in den Lizenzverträgen der Bestandskunden. Der ehemalige SAP-Finanzvorstand Werner Brandt meinte in einem Gespräch beiläufig: „Wahrscheinlich gibt es bei uns keine zwei Kunden mit den gleichen Lizenzverträgen.“
Der Anwenderverein DSAG fordert seit vielen Jahren eine konsolidierte Preisliste. Bei SAP gibt es die öffentliche PKL, Preis- und Konditionenliste. In der PKL werden aber nur die Nutzungsrechte ohne Preise definiert. Die wirkliche Preisliste ist eine Excel-Tabelle, die nicht öffentlich zugänglich ist. Auskünfte über Produkte, die Metrik und Preise sowie Konditionen sind nur schwer zu bekommen. Auch bei den Bestandskunden gibt es nur wenige Vertrauenspersonen, die diese Excel-Preisliste besitzen. Nur bei Zugehörigkeit zum DSAG-Arbeitskreis Lizenzen besteht eine Möglichkeit auf Erhalt der aus Sicht von SAP so sensiblen Excel-Informationen.
Die strenge Geheimhaltung und das Misstrauen gegenüber der SAP-Community haben eine Ursache: SAP und die dafür qualifizierten Partner verhandeln bezüglich Lizenzen mit jedem einzelnen Kunden in sehr intensiver und individueller Art. Dieses strategische Vorgehen hat für SAP den sehr angenehmen Nebeneffekt, jeweils das Maximum zu erlangen. Dafür besitzt SAP eine Datenbank mit zahlreichen Parametern ihrer Bestandskunden. Somit weiß der SAP-Vertriebsbeauftragte ziemlich genau über das IT-Budget, Personalressourcen und Softwareausstattung seines Bestandskunden Bescheid.
Auf Kundenseite ergibt sich nun die Notwendigkeit, nur gewissenhaft vorbereitet in Gespräche mit SAP zu gehen und immer die eigene Lizenzsituation genauestens zu kontrollieren. Weil aber neben dem operativen Tagesgeschäft nicht immer ausreichend Zeit für das Studium der SAP’schen PKL und AGB bleibt, gibt es Experten wie Dr. Jana Jentzsch und kommerzielle Lizenzvermessungswerkzeuge von zahlreichen SAP-Partnern.
Letztendlich ist es ein offener Wettstreit um Argumente und Verträge – ein Lizenzdiskurs. Dieser Diskurs kann im ursprünglichen Sinn verstanden werden, als Wortspiel, wie es einst der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951) definierte: Als Spiel bezeichnet Wittgenstein bestimmte Redensarten, weil sie eigenen Gesetzen folgen und den Wörtern spezifische Bedeutungen geben. Ähnlich verläuft nun ein SAP-Lizenzdiskurs.
AnyDB versus Hana
Einer der aktuellen Lizenzdiskurse behandelt das Thema AnyDB und Hana. Mit dem Schritt in Richtung S/4 ist es für die Bestandskunden auch notwendig, eine
Hana-Lizenz abzuschließen und für das S/4-System dann die neue Datenbank produktiv zu setzen. Somit kann es passieren, dass doppelte DB-Lizenzen anfallen: für AnyDB in Form von Oracle, IBM DB2 oder MS-SQL-Server und für Hana. Weil jedoch vielfach nur das alte ERP/ECC 6.0 mit AnyDB produktiv läuft, während sich S/4 mit Hana erst im Customizing befindet, argumentieren viele SAP-Bestandskunden, sie wollen nur für eine Datenbank die Lizenzen und Pflegegebühr bezahlen.
Vertragslaufzeiten und Gebühren
Ein teures Randthema während des S/4-Releasewechsels ist die Datenbankgebühr. SAP versucht, Hana-DB-Lizenzen zu verrechnen, auch wenn das System noch nicht produktiv ist. Damit zahlt der SAP-Bestandskunde in der Übergangszeit doppelt.
„Auf Basis der Order Forms sind die Lizenzgebühren in der Regel mit Beginn der Vertragslaufzeit zu entrichten, unabhängig von der Frage, ob das System schon produktiv ist“, weiß Anwältin Jana Jentzsch aus ihrer beruflichen Praxis. „Je nach Art der Konvertierung kann es Anrechnungen für die alte Datenbank geben. Hinsichtlich der Pflegegebühren gilt, dass diese ebenfalls grundsätzlich ab Lieferung zu entrichten sind. Hier Abweichungen zu erreichen ist schwierig, in bestimmten Konstellationen aber nicht ausgeschlossen.“
Im Falle von gemischten Datenbanklandschaften müssen noch andere komplexe Regelungen beachtet werden. Da darf es nicht zu beliebigem Datenaustausch kommen: „Ein beliebter Fallstrick“, warnt Jana Jentzsch.

Mitglieder der IG SAP Schweiz meldeten, dass es bei geschickter Verhandlungsführung sehr wohl möglich ist, das Aussetzen der Hana-Pflegegebühr bis zum Produktivstart von S/4 Hana zu erzwingen. Alle Beteiligten betonten aber, dass nur mit gewissenhafter Vorbereitung ein Erfolg erzielt werden kann. Andererseits ist SAP auch guten Argumenten nicht unaufgeschlossen. Letztendlich läuft der SAP-Community-Diskurs auf ein Geben und Nehmen hinaus.
Legal Navigator für S/4
Die wahre Herausforderung der S/4-Conversion sind somit weniger die Altdaten-bestände oder Z-Modifikationen. Auf der Website der Kanzlei von Jana Jentzsch wird ein „Legal Navigator für SAP S/4 Hana“ beworben. Das klingt dramatisch. In der SAP-Community wurde bisher die S/4-Farbenlehre diskutiert – ob Green-, Brown- oder Bluefield-Conversion. Liegt demnach die wirkliche Schwierigkeit in der juristischen Gestaltung des Releasewechsels und weniger in der organisatorischen oder technischen Aufgabenstellung?
„Die Gestaltung des Umstiegs auf S/4 Hana ist eine immense Herausforderung für Unternehmen. Es gilt sich sowohl rechtlich als auch organisatorisch, kaufmännisch und technisch dezidiert vorzubereiten, um die Vertragsverhandlungen erfolgreich zu bestehen“, beschreibt Jana Jentzsch die aktuelle Situation. „Dabei geht es nicht darum, was wichtiger ist. Es ist essenziell, das Projekt unternehmensweit aufzusetzen, auch den Vorstand zu beteiligen, und die unterschiedlichen Interessen der Fachabteilungen müssen auf eine gemeinsame Linie gebracht werden. Wer bei der juristischen Aufstellung spart, hat sein Potenzial nicht ausgeschöpft und bezahlt das womöglich später.“
Legal Navigator für SAP S/4 Hana
Frau Dr. Jana Jentzsch erklärt den Navigator: „Der Legal Navigator für SAP S/4 Hana ist der rechtliche Kompass für die S/4-Migration. Er hilft in jeder Phase des Projekts, aber seine Wirkung ist bei einer frühzeitigen Einbindung am größten. Wir starten mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen Situation, planen das Projekt ansonsten individuell nach Wünschen des Kunden. Auch bieten wir dank des unermüdlichen Einsatzes meines Mitgeschäftsführers Dr. Daniel Taraz inzwischen Unterstützung mit LegalTech an, das heißt, der Kunde kann den S/4-Vertrag bzw. alle SAP-Verträge in unserem LegalSAM for SAP Tool zum akkuraten Lizenz- und Vertragsmanagement überführen. Das Compliance Management kann dann entweder der Kunde selbst übernehmen oder wir machen das.“
Und gelten die Handlungsanweisungen in der ganzen SAP-Community oder nur in Deutschland? Jana Jentzsch: „Wir haben schon erfolgreich Unternehmen in vielen Ländern zu SAP-Vertragsthemen beraten, einmal sogar in Asien. Als Rechtsanwälte sind wir zugelassen zur Beratung auf Basis des Rechts der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir in anderen EU-Ländern, der Schweiz oder im außereuropäischen Ausland beraten, ist der Beratungsvertrag etwas anders gestaltet. Hier beschränken wir uns auf reine Consulting-Leistungen. Die SAP-Bedingungen sind zu großen Teilen globalisiert. Daher zählt unsere Erfahrung auch im Ausland.“
Erfolgreiche S/4-Conversions berücksichtigen von Beginn an alle Aspekte. Der Releasewechsel von ERP/ECC 6.0 auf S/4 Hana ist holistisch zu betrachten und auf viele Schultern zu verteilen. Ein CCoE-Leiter wäre demnach überfordert.
Auch Frau Jentzsch betont im E-3 Gespräch das ganzheitliche Vorgehen: „Wichtig ist eine Einbindung aller in einer sehr frühen Phase des Projekts. Eine juristische Prüfung nur des Vertragsentwurfs am Ende reicht nicht; das funktioniert schon lang nicht mehr. Nur wenn wir ein Verständnis für die Projektziele, die Historie und der Status quo haben, können wir erkennen, was der Kunde wirklich braucht. Es wird immer wichtiger, Projekte von Beginn an interdisziplinär aufzusetzen und zu managen.“
Die Historie ist bei der Beurteilung der SAP’schen Lizenzsituation ein besonders wichtiger Punkt. Schon vor zehn Jahren haben die Analysten von Gartner den SAP-Bestandskunden geraten, existierende SAP-Lizenzen unter keinen Umständen zu wandeln und für diese auch keine neue AGB zu akzeptieren. Weil alte SAP-Lizenzen oft über wesentlich mehr Rechte verfügen als neu hinzugekaufte.
Individuelle Herausforderungen
Gilt das heute auch noch? „Ich würde mir nie anmaßen zu behaupten, ich wüsste, was für alle SAP-Kunden pauschal besser oder schlechter ist. Das kann man nur im Einzelfall entscheiden“, relativiert Jana -Jentzsch und erklärt: „Es ist richtig, dass in Altverträgen häufig noch Sondernutzer zu finden sind, die SAP heute so nicht mehr anbietet. Es gilt dann auszuloten, was die beste Strategie ist und welche Rechte der Kunde in Zukunft wirklich benötigt. Dies kann sich im Laufe der Jahre gravierend ändern. Vor zehn Jahren ausführlich definierte Sondernutzer können heute im Zuge der Digitalisierung an Bedeutung verloren haben, natürlich ist auch Umgekehrtes denkbar. Im Übrigen ist hier zwischen den klassischen AGB – die ja die Nutzungsrechte nicht im Detail regeln – und der ausführlichen Preis- und Konditionenliste, die die Metriken enthält, zu unterscheiden.“

Ein erfolgreicher Lizenzdiskurs beginnt offensichtlich bei der Definition der eigenen Bedürfnisse, wie Jana Jentzsch betont: „Die Kernfrage – auch für die S/4-Transition – ist doch immer: Was benötigt der Kunde wirklich? Wo braucht er Spielraum? Wie sieht seine Zukunftsstrategie aus? Aber auch: Worauf kann er verzichten? Was man kritisieren kann, ist, dass SAP heute deutlich weniger User-Typen anbietet und pauschale Umgruppierungen in die neue SAP-Lizenzsystematik für den Kunden oft nicht finanziell vorteilhaft sind, auch weil hier gegebenenfalls Rechte eingeräumt werden, die so gar nicht benötigt werden. Das Ziel muss ein zukunftsfähiger Vertrag sein, der dem Kunden alle Rechte gibt, die er benötigt, aber auch Gestaltungsoptionen gewährt, und der finanziell auch auf lange Sicht – und nicht nur im Moment der Vertragsunterschrift – attraktiv ist.“
Der S/4-Vertragsentwurf
Es stellt sich für jeden SAP-Bestandskunden die Frage: Wie soll sich ein Betroffener auf die S/4-Conversion vorbereiten? „Er sollte so früh wie möglich mit der Planung beginnen und ein unternehmensweites Projekt unter Einbindung aller relevanten Fachabteilungen aufsetzen“, ist die schnelle Antwort von Jana Jentzsch. Die technischen, kaufmännischen und rechtlichen Herausforderungen müssen definiert werden. „Der Vertragsentwurf, den SAP sendet, ist die Endphase des Projekts, nicht die Anfangsphase“, betont die Lizenzexpertin.
Aus der Sicht eines Nicht-Juristen die Frage an die Rechtsanwältin Jana Jentzsch: Wie migriert nun ein SAP-Bestandskunde rechtssicher nach S/4? „Die Frage ist, was ‚rechtssicher‘ bei einer S/4-Hana-Migration eigentlich bedeutet. Falls Sie das mit ‚ohne jegliches rechtliche Risiko‘ übersetzen wollen, dann sage ich Ihnen, dass das nicht geht.“ SAP ist in den Verhandlungen zu mächtig, interpretiert Jana Jentzsch die Situation, aber „es geht hier um Risikomanagement. Mit ‚rechtssicher zu SAP S/4 Hana migrieren‘ meinen wir, dass der Kunde insbesondere die rechtlichen Risiken verstehen und effizient abfedern soll.“
Die S/4-Conversion wird zur Sisyphusaufgabe. „Stellen Sie sich die S/4-Migration als Puzzle mit 100.000 Teilen vor“, veranschaulicht Jana Jentzsch die Herausforderung. „Diese 100.000 Teile haben direkt oder indirekt auch einen rechtlichen Bezug. Es gilt die einzelnen Teile zu identifizieren, zu verstehen, zu priorisieren und letztendlich zusammenzusetzen. Beim Zusammensetzen muss an vielen Ecken und Kanten noch gefeilt werden, damit es letztlich auch passt. Und natürlich muss entschieden werden, wo man wirklich keine Kompromisse machen kann, wo das Risiko zwingend minimiert werden muss, hier muss dann alles passen.“
Recht haben und recht bekommen sind nicht dasselbe. „Das Recht und die darauf basierende Vertragsgestaltung sind das richtige Instrument, ein akkurates Risikomanagement umzusetzen“, betont die Lizenzrechtsanwältin. „Wir erleben oft, dass Risiken nicht richtig eingeordnet werden, weil das rechtliche Verständnis fehlt. Viele Kunden kennen die vertraglichen Details – ich meine die Inhalte der AGB, PKL, der Datenschutzvereinbarungen und der Product Supplements – nicht. Wir haben schon ein Dutzend DAX-Konzerne beraten, meistens im Hintergrund. Das Ziel ist es zunächst, die Mandanten in einen Zustand zu versetzen, informierte Entscheidungen zu treffen und sich bereits im Vorfeld der Vertragsgestaltung bestmöglich zu positionieren.“
Cloud-Exitstrategie
Ein sehr schwieriges Thema in der SAP-Community ist eine mögliche Exitstrategie für Cloud-Anwender. Rise with SAP und die SAP-Cloud-Strategie machen den Eindruck einer Einbahnstraße.
„Eine Exitstrategie ist wichtig und sollte vom Kunden unbedingt bedacht werden“, bekräftigt Jana Jentzsch. „Natürlich bieten die Cloud-Verträge auch die Möglichkeit einer Beendigung. Ein Renewal ist keine Pflicht; der Kunde kann kündigen. Allerdings sind diese Rechte eher unflexibel ausgestaltet und es sollten mögliche Handlungsoptionen frühzeitig ausgelotet werden. Dabei ist es wichtig zu wissen, welche Szenarien abgefedert werden sollen. Cloud ist auch nicht gleich Cloud. Zum Beispiel kann auch die Private Cloud ein mögliches Exitszenario für die Public Cloud sein, wenn das dem Bedürfnis des Kunden entspricht.“ Vielen Dank für den Diskurs.
