Konsolidierung und Altlasten
Es heißt, dass neue Besen gut kehren. Im Fall von SAP ist es ein wenig anders: Für den zukünftigen Aufsichtsratsvorsitzenden (ab Hauptversammlung 2024) und den neuen Finanzvorstand, als Nachfolger von Luka Mucic, soll ein sauberer Arbeitsplatz geschaffen werden. Christian Klein konsolidiert, harmonisiert und orchestriert den ERP-Konzern neu – nicht immer zur Freude der SAP-Bestandskunden, die immer öfters ihren Frust zum Ausdruck bringen.
Aber das ist nicht neu. Bereits unter der SAP-Doppelführung von Jim Hagemann Snabe (siehe Illustration) und Bill McDermott gereichte das Aufräumen im Konzern nicht immer zum Vorteil und zur Freude der Anwender. Es ist immer wieder von Neuem eine Gratwanderung: Technisch soll sich der ERP-Konzern weiterentwickeln, die Marge soll wachsen. Es soll einfacher und preiswerter werden, aber Altes und Liebgewonnenes dürfen nicht angetastet werden – für die Altlasten soll gelten: Never Change a Running System.
Und jetzt ist es wieder passiert: SAP hat eine vermeidliche Innovation präsentiert und will sich dafür feiern lassen. Jürgen Müller, Chief Technology Officer und Mitglied des SAP-Vorstands, präsentierte kurz vor den DSAG-Technologietagen ein wei-teres Datenmanagementwerkzeug: SAP Datasphere. Auch in seiner Keynote in Mannheim zu den Technologietagen war Datasphere ein Thema. Die Zukunftsversprechen wurden laut hinausposaunt, sodass sich die SAP-Community und die anwesenden DSAG-Mitglieder fragten: Kennt Müller nicht die erfolgreiche SAP-Vergangenheit? Kennt er nicht die Versuche seiner Vorgänger wie Shai Agassi, Vishal Sikka und Bernd Leukert? Kennt er nicht die Produkte SAP NetWeaver, SAP Data Hub und SAP Information Steward?
Jürgen Müller hat mit Datasphere ein interessantes Produkt aus dem Zylinder gezaubert, welches aber ein wiederholter Versuch ist, das Datenchaos zwischen den jeweiligen SAP-Apps zu konsolidieren. Der App-Wildwuchs der vergangenen Jahre hat einen enormen Mehraufwand bei den Anwendern erzeugt. Die Harmonisierung und Orchestrierung sind zu einer der wichtigsten Aufgaben der SAP-Bestandskunden geworden.
Die digitale Transformation leidet unter dem selbst verschuldeten Datenchaos und somit ist es richtig, dass Jürgen Müller dieses Problem neuerlich angeht. Es fehlt jedoch an einem kontinuierlichen Gesamtkonzept. Die SAP-Bestandskunden haben eine Historie. Sie haben in die Produkte NetWeaver, Data Hub, Information Steward und Warehouse investiert und wollen darauf evolutionär aufbauen: stattdessen wieder neue Produkte und neue Partner.
Altlasten sind zu akzeptieren und müssen kein Nachteil sein. Eine evolutionäre Transformation sichert den Bestand und Investitionen. SAP ist innovativ, aber SAP hat den Kontakt zur SAP-Community verloren. Christian Klein und Jürgen Müller sollten wieder mehr mit Partnern und Anwendern diskutieren. Es gilt zuzuhören und zu lernen – mit weniger Show und Zauberei.