KI-Hilfe im Verborgenen
E3: Herr Failer, aktuell ist das Thema künstliche Intelligenz in aller Munde. Allerdings scheinen nur die ganz großen Anbieter davon zu profitieren. Haben Sie da etwas verschlafen?
Thomas Failer: Sie haben recht. Künstliche Intelligenz ist zurzeit das alles beherrschende Thema. Allerdings sprechen wir hier immer von generativer KI. Damit eröffnen sich in der Tat völlig neue Anwendungsmöglichkeiten. Andererseits handelt es sich dabei nicht um etwas absolut Neues. Denn insbesondere in Form von maschinellem Lernen findet KI bereits seit Längerem Verwendung. Ich denke hier etwa an Bilddiagnosemöglichkeiten in der Medizin oder an vorausschauende Wartung im Maschinen- und Anlagenbau. Im Übrigen teilen bisherige KI und die neue generative KI eine grundlegende Gemeinsamkeit: Sie brauchen viele Daten zu Trainingszwecken, um ordentliche Resultate zu erzielen.
E3: Sie haben doch viel mit Daten zu tun, das ist Ihre Kernkompetenz. Was ändert sich für Sie durch die neue generative KI?
Thomas Failer: Die Frage lautet eher: Was ändert sich dadurch für die Kunden und wo liegt der konkrete Geschäftsnutzen? Wir denken immer vom Kunden her. Und deshalb beschäftigen wir uns schon seit Längerem, noch bevor das Thema Furore gemacht hat, mit KI, allerdings bisher eher in Form von maschinellem Lernen. Darauf aufbauend arbeiten wir zurzeit aber auch an der Nutzung generativer KI. Aus diesem Grund haben wir bereits 2022 ein dediziertes agiles Entwicklungsteam für KI gegründet, das auf unseren früheren Aktivitäten in diesem Bereich aufbaut und sie verstärkt vorantreibt.
E3: Also war es gar nicht ChatGPT, das DMI dem Thema KI nähergebracht hat?
Thomas Failer: Nein und ja lautet die richtige Antwort. Nein, weil wir schon früher daran gearbeitet haben, ohne es allerdings in die Welt zu posaunen. Ja, weil sich dadurch auch für uns neue Möglichkeiten ergeben.
E3: Warum haben Sie denn schonfrüher daran gearbeitet?
Thomas Failer: Bei KI geht es nicht um die Intelligenz als Selbstzweck. KI ist aus Unternehmenssicht stets ein Mittel zu anderen Zwecken. Das mag für Forscher, die Boulevardpresse oder Science-Fiction-Autoren ja anders sein. Aber die Verantwortlichen in den Unternehmen sind nicht zum Träumen da, sondern zum Rechnen. Wie können wir effizienter werden? Wie können wir Mitarbeiter von Routineaufgaben entlasten? Wie können wir IT-Projekte beschleunigen? Das sind aus Unternehmenssicht bei jeder Technologie die entscheidenden Fragen, so auch bei künstlicher Intelligenz. Anders ausgedrückt: Bei KI geht es im Unternehmenseinsatz immer um ihr Automatisierungspotenzial. Man könnte sogar sagen, dass Automatisierung als Synonym von KI verstanden werden kann.
E3: Dann erklären Sie bitte unseren Lesern, wo der Entwicklungsschwerpunkt in Sachen KI bei DMI bisher gelegen hat und warum Sie ausgerechnet jetzt damit anfangen, über KI zu sprechen.
Thomas Failer: Wir sind auf das Management des Lebenszyklus von Daten spezialisiert, insbesondere der Legacy-Daten aus SAP- und Non-SAP-Systemen. In diesem Zusammenhang sind es vor allem zwei Szenarien, für die unser Angebot und KI essenziell sind. Zum einen die SAP-Transformation, bei der es aus Kundensicht darum geht, buchstäblich den Wettlauf gegen die Zeit nicht zu verlieren, sondern in einem fulminanten Endspurt bis spätestens 2030 zu gewinnen. Mit unserem Ansatz ist es ja heute schon möglich, den dafür nötigen Zeitaufwand zu halbieren. Doch unser Ziel lautet, den Aufwand in den kommenden Jahren noch einmal im gleichen Umfang zu senken. Und da kommt natürlich KI ins Spiel.
E3: Sie haben von zwei Szenarien gesprochen – welches ist das zweite?
Thomas Failer: Ganz aktuell und für KI ein geradezu idealer Einsatzfall ist das Thema Retention Management. Seit dem 1. September ist auch in der Schweiz ein neues Datenschutzgesetz in Kraft, das im Wesentlichen die Bestimmungen der europäischen Datenschutzgrundverordnung übernimmt. Das hat viele Unternehmen noch einmal wachgerüttelt. Denn es ist eine immense Herausforderung, personenbezogene Daten in allen Systemen und Applikationen sowie Archiven zu finden und bei Bedarf gezielt zu löschen.
E3: Wie kann KI denn hier helfen?
Thomas Failer: Wir haben den Eindruck, dass sich die meisten Bemühungen in diesem Bereich bislang auf Daten beschränkt haben, auch wenn sich diese strukturierten Informationen in Form von Metadaten auf unstrukturierte Informationen wie Dokumente oder Fotos beziehen. Ein pragmatischer Ansatz hat in etwa so gelautet: In diesen und jenen Tabellen und Feldern sollten, wenn alles sauber gepflegt und abgelegt wurde, personenbezogene Daten zu finden sein, zum Beispiel Vorname und Name in einem Stammdatensatz oder in der Beschreibung eines Bildes von einer Person. Und dann wurden die Algorithmen und Regeln für Retention Management nur auf diese Tabellen und Felder angewandt. Was aber, wenn diese Daten auch an anderen Stellen abgelegt wurden oder zum Beispiel in einer Bilddatenbank überhaupt nicht abgelegt wurden? Dann kann KI beim Identifizieren und Anpassen der Algorithmen helfen.
E3: Wie genau?
Thomas Failer: Im Wesentlichen durch maschinelles Lernen. Die KI lässt sich zum Beispiel anhand von E-Mail-Nachrichten trainieren. Dadurch kann sie darin etwa Namen erkennen, auch wenn deren Schreibweise in einer E-Mail-Adresse von den deutschen Rechtschreibregeln abweicht und nur im Kopie-Adressfeld, aber nicht im Nachrichtentext selbst auftaucht. Oder sie kann anhand der Inhalte erkennen, dass in der Spalte X dieser oder jener Sub- oder Z-Tabelle Vornamen stehen, auch wenn die Beschreibung der Spalte oder Tabelle nichts in diese Richtung vermuten lässt, einfach weil die KI die meisten der weltweit verwendeten Vornamen kennt. Oder es lassen sich mithilfe von KI Inhalte wie IBAN- oder Nummern von Sozialversicherungen erkennen, die Rückschlüsse auf die Menschen hinter diesen Zahlen erlauben. Und vergessen wir nicht all die personenbezogenen Daten, die als unstrukturierte Informationen vorliegen, etwa in Dokumenten, Notizen und Protokollen, und die als PDF-Dateien oder in anderen Dateiformaten abgespeichert sind. Allein das Identifizieren der relevanten Daten ist ein riesiges Feld, auf dem Menschen Unterstützung durch KI benötigen.
E3: Danke für das Gespräch.