Joule, der SAP-Agententhriller


Grenzziehung zwischen operativem ERP und GenAI Agents
Vom österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951) ist das Zitat überliefert: Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt. Was aus philosophischer Sicht eventuell harmlos bis interessant klingt, könnte im Bereich GenAI, LLM und AI Agents revolutionär bis gefährlich werden. Warum?
Mit dem aktuellen SAP-Vokabular, also der Sprache der SAP-Community, werden ERP sequenziell gebaut und betrieben. S/4 ist besser als ECC 6.0 und dieses ERP ist besser als R/3. Der SAP-Anwender orchestriert. Das ERP-System funktioniert. Es gibt eine weitgehende Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine, die auch durch die Arbeit und Vorgaben von SAP definiert ist.
In einem agilen, offenen, zusammengesetzten ERP, das unter der Verwaltung von KI-Agenten steht, sind die Arbeits- und Aufgabenteilung nicht mehr eindeutig, wahrscheinlich auch nicht mehr umkehrbar. AI Agents automatisieren nicht, sondern sollen selbstständig orchestrieren. Mit dieser Handlungsanweisung werden AI Agents sehr schnell die Grenze unserer ERP-Sprache überschreiten.
In einem Composable ERP können sich AI Agents selbstständig und dynamisch weiterentwickeln. In Anlehnung an Ludwig Wittgenstein: KI-Agenten erlernen selbständig neue ERP-Sprachen (Konsolidierung, Harmonisierung und Orchestrierung) und errichten ein Composable ERP weit über unsere eigenen Grenzen hinweg. Vielleicht wird SAP das neue DeepL der ERP-Szene mit Joule und GenAI Hub aus der BTP.
SAP-Spielwiese: Composable ERP
Bereits in der Vergangenheit hat SAP oft und intensiv vom intelligenten Unternehmen gesprochen. Für die Verwirklichung einer intelligenten betriebswirtschaftlichen Aufbau- und Ablauforganisation stellt SAP viele IT-Werkzeuge zur Verfügung: die Hana-Engines Graph und Vector, BTP GenAI Hub, Joule etc. Was SAP noch nicht machte, sind eine Positionsbestimmung und Aufgabenverteilung: Was sollen und was dürfen AI Agents? Wohin sollen und dürfen LLM, Large-Language-Modelle, schauen? Gibt es Grenzen für den GenAI Hub im Composable ERP?
Vor vielen Jahren experimentierten KI-Forscher mit neuronalen Netzen und dem bekannten Brettspiel Go. Zu Beginn wurde das neuronale Netz (aktuell würde man wahrscheinlich von LLM sprechen) mit den Go-Regeln vertraut gemacht und mit der vorhandenen Go-Literatur trainiert. Schon bald danach spielte der Go-Computer wesentlich besser als der weltbeste Go-Spieler. Wobei die Maschine Züge spielte, die von Go-Experten als absolut widersinnig und kontraproduktiv angesehen wurden – am Ende gewann dann aber immer wieder die Maschine.
Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt: In einer zweiten Runde fütterten die KI-Forscher das neuronale Netz lediglich mit den fundamentalen Go-Regeln und ließen die Maschine fortlaufend gegen sich selbst spielen. Der Go-Computer erlernte und vervollständigte seine Go-Sprache. Er überschritt dabei Grenzen, die die gesamte Go-Literatur der vergangenen tausend Jahre in den Schatten stellten. Durch Rückbezüglichkeit ließ der Go-Computer menschliche Grenzen weit hinter sich.
Ob SAP auch diese Option bedacht hat, wenn AI Agents sich in einem Composable ERP bewegen, weiterentwickeln und optimieren? Theoretisch könnte SAP Joule mit den Bausteinen eines zusammengesetzten ERP eine ganz neue Betriebswirtschaft und neue Organisationsformen entwickeln.
Die IT im Allgemeinen und ERP im Besonderen befinden sich in einem Agententhriller. KI-Agenten wie SAP Joule sind gekommen, um die ERP-Arbeit zu orchestrieren und die betriebswirtschaftliche Aufbau- und Ablauforganisation zu optimieren. Die Agenten erschaffen das Composable ERP. Weiterentwicklung, Forschung und Versionswechsel erfolgen durch KI-Agenten. Der Mensch bleibt hoffentlich Nutznießer oder eben nur Zuschauer.