Hybrid: nicht Fisch, nicht Fleisch


Auf dem alljährlichen Field-Kick-off-Meeting erklärte der SAP-Vorstand den Vertriebsmitarbeitern, dass es ab sofort nur noch Provisionen für verkaufte Cloud-Produkte geben wird. Der Aufschrei und die Empörung waren gewaltig – mit der Folge, dass On-prem-Produkte und Dienstleistungen ihre Daseinsberechtigung verloren. Selbst wenn der SAP-Bestandskunde ein On-prem-Produkt mit Nachdruck bestellen wollte, blieben die Ohren der SAP-Vertriebsmitarbeiter verschlossen. Naturgemäß war dieser Zustand nicht aufrecht zu halten. Mittlerweile fanden sich für den Vertrieb akzeptable Kompromisse und das Problem wanderte weiter zu den SAP-Partnern.
Es gibt SAP-Partner, die sehr erfolgreich ausschließlich SAP-On-prem-Produkte verkaufen und customizen. Diese Partner werden Ende des Jahres ihren SAP-Partnerstatus verlieren, weil – siehe oben – nur noch Cloud-Produkte für den Status relevant sind. Kommende Woche findet in Hamburg die SAP-Connect, der Partner-Summit, statt und SAP-Chef Christian Klein wird persönlich anwesend sein. Zahlreiche Partner wollen den SAP-Chef zur Rede stellen, denn jetzt geht es nicht mehr um Wortspiele wie „Cloud first“ oder „Cloud only“, sondern um die Existenz vieler SAP-Partner.
Es gibt Hoffnung: Auf dem DSAG-Jahreskongress in Leipzig erklärten Christian Klein per Videoschaltung und sein Vorstandskollege Thomas Saueressig, dass SAP natürlich in hybriden Dimensionen zu denken bereit ist und On-prem-Systeme natürlich ihre Berechtigung haben. In Anbetracht der vom Anwenderverein erhobenen Zahlen hatten die beiden Vorstände auch kaum eine andere Wahl. Ein Großteil der DSAG-Mitglieder will auf On-prem-Systemen bleiben, auch wenn diese einer Cloud prinzipiell nicht abgeneigt sind. Somit konzentrierte sich die Diskussion auf den Begriff „Hybrid Cloud“ – ohne dass jedoch von SAP eine Definition dieser Entweder-oder-Antwort angeboten wurde.
Wahrscheinlich hofft SAP im Geheimen noch immer auf einen durchschlagenden Cloud-Erfolg, dieser rückt aber mit dem Erkenntnisgewinn vom DSAG-Jahreskongress in weite Ferne. In einem vollkommen überfüllten Vortragssaal erklärte ein Münchner Rechtsanwalt den nach Leipzig angereisten SAP-Bestandskunden, was klein gedruckt in den SAP-Cloud-Verträgen steht: Einen Tag nach Ende der Vertragslaufzeit ist SAP berechtigt, alle Daten in der Cloud zu löschen. Als Vorsorge wird den Cloud-Anwendern nichts anderes übrigbleiben, als mit entsprechendem Vorlauf die Daten aus der Cloud abzuziehen und zu sichern. Womit wir wieder bei der fehlenden Cloud-Exit-Strategie sind, die das E-3 Magazin schon vor zwei Jahren thematisiert hat und seither vermisst.
Die Cloud-Strategie der SAP ist ein unausgereiftes, schlecht kommuniziertes und unvollständiges Angebot an die SAP-Community. Der Unmut bei Bestandskunden und Partnern ist hoch, dennoch verlief der DSAG-Jahreskongress in weitgehender Harmonie zwischen SAP und DSAG – was aber nicht alle DSAG-Mitglieder akzeptieren wollten. Mehr Widerstand und Widerspruch gegenüber der SAP wünschten sich einige. DSAG-Vorstand Thomas Henzler hielt in Leipzig eine viel gelobte und scharfzüngige Keynote. Er legte den Finger in die Wunde und forderte SAP zu vielen Nachbesserungen auf (siehe auch kommenden DSAG-Abschlussbericht im E-3 Magazin November).
Diese kritische und konstruktive Bestandsaufnahme von Thomas Henzler erschien aber nicht allen DSAG-Mitgliedern ausreichend. Bei der Hauptversammlung des Vereins kam es dann beim Tagungspunkt Allfälliges zum Eklat. Einige DSAG-Mitglieder forderten ein wesentlich schärferes Vorgehen gegenüber der SAP. In der Sache selbst bekam dieser Vorschlag auch Anerkennung. Auf einen endgültigen, gemeinsamen Weg konnten sich die Mitglieder vorerst nicht einigen. Tatsache ist, dass SAP mit dieser Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Politik viel Unruhe in die Community trägt und mit der aktuellen Cloud-Strategie zu viel Unruhe und Verunsicherung unter den Bestandskunden beiträgt.