SAP zerfällt


Hybrid Computing
Vor einem Jahr glaubte SAP noch fest an Cloud only oder zumindest an Cloud first. Noch hat SAP das Konzept „Rise with SAP“ nicht storniert. Der ERP-Weltmarktführer glaubt an den Erfolg in der Wolke. Aber SAP ist ERP-Weltmarktführer und keine Technologiefirma wie Google, AWS, Apple und Microsoft. Die einzigartige Kernkompetenz von SAP sind standardisierte Geschäftsprozesse. SAP versteht sehr viel von End-to-End-Prozessen, aber nur sehr wenig von IT-Infrastruktur und Computerarchitekturen. Die Ausflüge von SAP in die Regionen des Cloud Computing sind den meisten Experten bis heute unverständlich.
Somit war das Scheitern eines Cloud-only-Ansatzes in Europa mit seiner langjährigen SAP-Tradition vorhersehbar. SAP-Bestandskunden mit Altlasten aus R/3 und Business Suite 7 können und wollen ihre intimen Geschäftsprozesse nicht in die Cloud bringen. Im Herbst 2022 gab es ein Angebot von SAP an ihre europäischen Anwender, diese sollten mit einem hybriden Konzept besänftigt werden. Für S/4-Neukunden wird der Cloud-only-Ansatz auch in Zukunft kein Problem darstellen, somit könnte ein Code-Splitting sehr viel Sinn ergeben.
On-prem Computing
Das eigene Rechenzentrum muss nicht besser sein als Cloud Computing. Viele SAP-Bestandskunden nutzen Cloud-Dienste von Microsoft, Google und AWS. Aber viele SAP-Bestandskunden wünschen sich eine Fokussierung der SAP auf betriebswirtschaftliche Probleme. Es existiert die Sorge, dass SAP mit den eigenen Cloud-Experimenten viele Ressourcen verbraucht und damit die eigene Kernkompetenz vernachlässigt wird. Die Diskussion in der SAP-Community ist somit nicht On-prem oder Cloud, sondern die Sorge um die Zukunft von ERP. Wird SAP auch noch in Zukunft ihre Bestandskunden mit innovativen Prozessen wie BRIM, Billing and Revenue Innovation Management, und IBP, Integrated Business Planning, überraschen?
S/4-Code-Splitting
Offensichtlich hat auch SAP gewisse Zweifel an einer hybriden ERP-Architektur, weil wahrscheinlich On-prem und Cloud nicht wirklich harmonisieren. Bei SAP scheint nun die Cloud-only-Fraktion die Oberhand zu gewinnen und sich mit einem Code-Splitting zu verselbständigen. Ein mögliches Szenario wäre somit ein S/4-Cloud-only, das sich frei von hybriden Forderungen und R/3-Altlasten sehr schnell und erfolgreich weiterentwickeln könnte. Diese S/4-Cloud-only-App könnte sogar das nicht mehr ganz frische Abap hinter sich lassen und eine Java- und Open-Source-basierte Antwort auf die Cloud-Mitbewerber wie Workday, ServiceNow und Salesforce werden. Sollte also SAP in zwei Teile zerfallen, dann könnte sich jede Gruppe wesentlich fokussierter auf die eigene Technik und die eigenen Bestandskunden konzentrieren.
Carve-out
Code-Splitting würde demnach eine On-prem-Abap-Fraktion und eine Cloud-only-Fraktion hervorbringen. Wahrscheinlich wären beide Teile sehr erfolgreich, aber beide Teile würden sich auch mit Lichtgeschwindigkeit voneinander entfernen. Die Hoffnung müsste SAP gleich zu Beginn begraben, dass eine Orchestrierung zwischen On-prem und Cloud mittelfristig möglich sein könnte. Bereits jetzt zeigt die Erfahrung, dass die Synchronisierung einer On-prem- und Cloud-Entwicklung nahezu unmöglich ist. Code-Splitting bei SAP wäre demnach einem Carve-out nicht unähnlich. Ob die SAP-Community dieses Experiment mittragen würde, ist offen. Sicher aber ist, dass ein Hybrid-ERP auch keine erfolgreiche Zukunft garantiert. Cloud Computing oder Code-Splitting ist somit eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Damit kann SAP im positiven oder negativen Sinne zerfallen.