Corona: Die Zerstörung des stationären Einzelhandels?
Bis zum Beginn des neuen Jahrtausends wurde fast ausschließlich am stationären POS geshoppt, ergänzt um ein paar Bestellungen über Printkataloge. Seitdem sind immer mehr digitale Kanäle dazugekommen, über die immer mehr Umsatz realisiert wird.
Durch die Coronakrise hat der E-Commerce-Einkauf noch einmal gehörig an Fahrt gewonnen und sich auf Segmente ausgedehnt, die bislang noch ziemlich analog waren. Das gilt vor allem für den Lebensmitteleinzelhandel. Kein Wunder – schließlich bietet das digitale Shopping Vorteile, die auch die vielen „Hamsterkäufer“ (zwangsläufig) schätzen gelernt haben:
Das Warten vorm Laden entfällt, Maske und Mindestabstand spielen keine Rolle, und eine Infektion ist beinahe ausgeschlossen. Der Wunsch nach mehr Hygiene hat auch andere Themen ins Bewusstsein gerückt, die in Deutschland eher einen schweren Stand haben, wie das bargeldlose Bezahlen und das Bezahlen an Self-Service-Kassen.
Aus diesen Gründen haben Einzelhändler, die bereits vor der Krise ihre Produkte in einem Online-Shop angeboten haben, enorm profitiert. Zumal dann, wenn sie analoge und digitale Aspekte pragmatisch miteinander verzahnt haben. Neben der Lieferung des online bestellten und bezahlten Produkts nach Hause sind vor allem die unterschiedlichen Click-&-Collect-Varianten in den Fokus gerückt. Kunden bestellen Produkte online und holen sie dann selbst in einer Filiale ab.
Vor diesem Hintergrund drängt sich eine Frage auf: Hat die Coronakrise die Zerstörung des stationären Einzelhandels eingeläutet? So weit würde ich nicht gehen. Denn analoge Läden mit analogen Menschen bieten spezifische Vorteile, die sich digital absehbar nicht verwirklichen lassen.
Dazu gehören vor allem der persönliche Kontakt, das haptische Erlebnis und die zeitliche Unmittelbarkeit. Aber: Die Kunden haben in den zurückliegenden Wochen und Monaten Erfahrungen gemacht, die sie gewiss auch künftig nicht missen wollen.
Die Büchse der Shopping-Pandora ist geöffnet. Insofern stehen Händler, die noch keinen Schritt Richtung E-Commerce gemacht haben, gehörig unter Druck, schleunigst nachzuziehen. Machen sie das nicht, droht zumindest ihnen die Zerstörung.
Unreflektierter Aktionismus ist trotz des fundamentalen Wandels nicht ratsam. Ganz im Gegenteil. Es lohnt sich zunächst ein Blick auf den Kern der Sache. Menschen kaufen aus rationalen und emotionalen Gründen und auf unterschiedliche Weise. Manchmal kaufen sie systematisch und manchmal ziemlich spontan.
Bei all dem ist eines immer gleich. Kunden erwarten ein überzeugendes Einkaufserlebnis – oder eine herausragende Customer Experience, wie es im Marketing heißt. Konkret bedeutet das: Kunden möchten möglichst bequem, schnell und preiswert einkaufen, sie wünschen sich eine große Auswahl und eindeutige Informationen, der Service soll freundlich sein, die Beratung kompetent. Und das unabhängig davon, ob sie sich gerade analog oder digital bewegen.
Ein Multi- beziehungsweise Omni-Channel-Ansatz ist für die allermeisten Einzelhändler eine gute Idee, weil sich damit die unterschiedlichen Anforderungen der Kunden optimal adressieren lassen.
Im stationären Geschäft können Kunden die Produkte unmittelbar erleben, sich ausführlich dazu beraten lassen und den Einkauf sofort mitnehmen – ohne Versandkosten, ohne Lieferzeiten. Online gelten keine zeitlichen und räumlichen Einschränkungen, das Sortiment ist größer und die Bequemlichkeit höher. Die Kombination von analog und digital geht übrigens in beide Richtungen: Händler, die ursprünglich ausschließlich stationär aufgestellt waren, bieten zusätzlich Online-Shops an.
Insofern können Einzelhändler die Coronakrise gleich doppelt als Chance nutzen: Einmal, um das Geschäftsmodell und die Services technologisch zu modernisieren. Zum anderen, um die Interessen der Kunden wirklich in den Mittelpunkt zu rücken und hinsichtlich der verkaufspsychologischen Maßnahmen den Bogen nicht zu überspannen.