Lizenzen – Reden wir Tacheles
Soweit SAP Lizenzen für Third-Party-Applikationen verlangt, um das sogenannte Multiplexing zu verhindern, ist dies aus Sicht der Partner sicherlich nicht zu beanstanden.
Auf diese Weise wird verhindert, dass Partner einer von SAP entwickelten Lösung, etwa zur Rechnungs- oder Auftragsverarbeitung, einfach ein eigenes UI vorsetzen und hierfür Gewinne einstreichen, an denen SAP als eigentlicher Lösungsentwickler keinen Anteil hat.
„Zoll“ auf Add-ons
Allerdings ist SAP zwischenzeitlich weit über dieses Ziel hinausgeschossen. Mittlerweile kann man fast den Eindruck gewinnen, als wolle das Unternehmen für den Datenaustausch von Add-ons mit SAP eine Art „Zoll“ erheben, um den Zugriff auf die in SAP verarbeiteten Daten besser zu kontrollieren und an dem Mehrwert, den die Add-ons für die Kunden schaffen, auch noch finanziell partizipieren zu können.
Wie sonst lässt sich erklären, dass Kunden, die für den Einsatz ihrer SAP-Applikationen bereits eine Lizenz für die NetWeaver-Runtime-Umgebung erworben haben, weitere NetWeaver-Lizenzen benötigen, um in dieser gleichen NetWeaver-Umgebung Third- Party-Applikationen ablaufen zu lassen?
Einige Vertriebsleute der SAP, die ihre jährlichen Umsatzziele vor Augen haben, machen sich nicht die Mühe, bei ihren Lizenzforderungen zu differenzieren. Bei Tangro sind meist die Hälfte der Workflow-User lediglich an einer Rechnungsfreigabe beteiligt.
Diese basiert ausschließlich auf Tangro-Belegen ohne Zugriff auf SAP-Anwendungen und -Daten. Damit scheidet dieses Szenario von vornherein für Lizenznachforderungen aus.
Trotzdem wird der Kunde mit unberechtigten Forderungen für alle Workflow-User konfrontiert. Besonders ärgerlich ist es, wenn dies während der Vertragsverhandlungen zwischen Tangro und dem Kunden oder Interessenten geschieht.
Ihre Forderungen nach finanzieller Partizipation an den durch die Add-ons geschaffenen Mehrwerten untermauert SAP in ihrer Preis- und Konditionsliste. Hier wird „Nutzung“ als die „Ausführung der Prozessfunktion der Software, das Laden, das Ausführen, der Zugriff auf, die Verwendung der Software oder das Anzeigen von Daten, die aus diesen Funktionen hervorgehen“ bezeichnet.
Dabei kann die „Nutzung“ der SAP-Software nach der SAP-Definition „über eine Schnittstelle, die mit der Software oder als Teil der Software ausgeliefert wurde, über eine Schnittstelle des Auftraggebers oder eines Drittanbieters oder über ein anderes zwischengeschaltetes System erfolgen“.
Nach der Definition von „Nutzung“, wie sie SAP versteht, gibt es also immer dann eine zustimmungs- und gebührenpflichtige Nutzung, wenn durch das Add-on eine Prozessfunktion im SAP-System ausgelöst wird. Eine Sichtweise, die in juristischen Fachkreisen umstritten ist.
Indirekte Nutzung nur selten lizenzpflichtig
Laut Jürgen Beckers, Rechtsanwalt und Inhaber der auf Software- und IT-Recht spezialisierten Anwaltskanzlei Rechtsanwälte BDH in Darmstadt, hat sich unter Rechtsexperten mittlerweile ein klarer Mainstream gebildet, der indirekte Nutzung nur in sehr begrenzten Fällen als lizenzpflichtig ansieht.
Abgeleitet wird diese Rechtsmeinung unter anderem aus dem 10. Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen.
Dort heißt es: „Die Funktion von Computerprogrammen besteht darin, mit den anderen Komponenten eines Computersystems und den Benutzern in Verbindung zu treten und zu operieren.“
Die indirekte Nutzung einer Software durch Drittprogramme gehöre, so die Meinung vieler Rechtsexperten, deshalb zur „bestimmungsgemäßen“ und damit lizenzfreien Nutzung.
Was bringt die neue SAP-Preisliste?
Mit dem Ziel, der bisherigen Diskussion zur Lizenzpflichtigkeit von indirekter Nutzung künftig den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat SAP im April eine neue Preisliste und das Whitepaper „SAP ERP Pricing for the Digital Age“ herausgebracht.
Von indirekter Nutzung ist dort nicht mehr die Rede. Laut der neuen Definition ist eine „Nutzung“ von SAP-Software immer auch dann gegeben, wenn eine Verarbeitungsaktivität der SAP- Software ausgelöst wird – sei es nun von Personen oder Dingen, sprich Drittan-wendungen.
Berechnungsgrundlage für die Lizenzbemessung eines solchen „Digital Access“ sind künftig Dokumente bzw. Transaktionen.
Lizenzproblem bleibt
Auf diese Weise will SAP sich anscheinend auch im digitalen Zeitalter, das ja auf der Vernetzung von Systemen und auf einer Kommunikation von Maschine zu Maschine beruht, ihre Lizenzeinnahmen sichern.
Für SAP-Geschäftspartner – ob Entwicklungspartner oder Anwenderunternehmen – bleibt die SAP-Lizenzpolitik damit aber weiterhin ein Problem, weil die SAP- Lizenzkosten, die eine Vernetzung von Drittapplikationen mit SAP auslöst, wegen der erheblichen Ermessensspielräume immer noch schwer zu berechnen und im Zweifel viel zu hoch sind.
Für Tangro als Applikationsentwickler ergibt sich aus dieser Lizenzpolitik der SAP eine klare Strategie. Selbstverständlich unterstützen wir SAP weiterhin als Plattform – jedoch nur dort, wo es sinnvoll ist für uns und unsere Kunden.
So bieten wir unsere SAP-Lösungen zur Dokumenteneingangsverarbeitung für das SAP-ERP-System und selbstverständlich auch für S/4 Hana. Die SAP-Cloud-Plattform wird Tangro jedoch nicht als strategische Plattform für zukünftige Entwicklungen nutzen – dank der Tangro-Anwendungsarchitektur mit ihrer patentierten Entwicklungsmethode, die auf Prozessmodellierung und hoher Wiederverwendung basiert.
Entwicklung von SAP unabhängig
Zurzeit kommt die Architektur nur in der SAP-Umgebung in der Entwicklung unserer Lösungen zur Dokumenteneingangsverarbeitung zum Tragen. Die Anwendungsarchitektur ist jedoch grundsätzlich unabhängig von der Runtime-Umgebung.
Unsere neuen SaaS-Lösungen in der Cloud werden wir daher komplett unabhängig von SAP entwickeln – und eben nicht auf einer von SAP angebotenen Cloud-Plattform.