Kompetenz-Wettstreit
Ich habe eine perfekte Mannschaft hier an unserem Hauptstandort und auch in den Niederlassungen. Für einen zentralen CIO ist die Personalfrage noch entscheidender als on-demand oder on-premise. Die beste Technik hilft nicht, wenn man eine hohe Personalfluktuation hat.
Wir haben ein sehr gutes Betriebsklima! Wer stört? SAP. Früher gab es einen zentralen Ansprechpartner, der unsere Historie und Verträge kannte und gegebenenfalls die Treffen mit den Vorstandsmitgliedern organisieren konnte.
Heute höre ich viele Beschwerden aus den Abteilungen, weil ständig neue „SAP-Gesichter“ auftauchen, die wenig Erfahrung haben und letztendlich nur die eigene Quote erfüllen wollen.
Es ist mühsam für meine Mannschaft, mit dem wechselnden SAP-Vertrieb eine Gesprächsbasis aufzubauen und unsere Anforderungen zu diskutieren. Aber mittlerweile ergibt sich ein Muster.
Es gibt die eingesessenen SAP-Mitarbeiter, die schon mehrere Kurskorrekturen und Vorgesetzte erlebt haben. Für die die jährliche Reise zum SAP Field Kick-off Meeting (FKOM) bereits Routine ist.
Viele von ihnen verstehen den eigenen Konzern nicht mehr. Früher ging es um Problemlösungen und ein partnerschaftliches Miteinander. Heute zählen nur der Umsatz und die Quote. SAP ist eine Verkaufsmaschine geworden.
Der klassische SAP-Vertrieb versucht nun auf zwei Wegen, die Umsatzziele von Oberaufseher Bill McDermott zu erreichen: erstens mit zweifelhaften Lizenzvermessungen und unsauberen Interpretationen der Lizenzverträge; zweitens mit unnötigen und unfertigen Produkten, die niemand braucht, aber dem Vertrieb helfen, die Quote zu erfüllen.
Lizenzvermessungen und daraus resultierende Nachlizenzierungen scheinen im Moment die Umsatzbringer zu sein. Mit dem Hebel „indirekte Nutzung“ dürften schon einige Vertriebsbeauftragte ihre Quote gerettet haben.
Hierbei sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt: Eine Amnestie bezüglich „indirekter Nutzung“ ist sehr leicht zu bekommen, wenn man als SAP-Bestandskunde im Gegenzug einen „Cloud-Vertrag“ unterschreibt.
Unser SAP-Stammtisch hat bereits überlegt, ein Handbuch herauszugeben, wie man das „Lizenzvermessungs-Massaker“ überlebt und auch noch den Vertriebsbeauftragten glücklich macht, denn noch nicht allen SAP-Mitarbeitern ist der Absprung (Golden Parachute) gelungen.
Angeboten und verkauft wird, was Quote bringt! Gibt es keine Historie, kein Beziehungsmanagement, keine vertrauensbildenden Maßnahmen – dann versucht der SAP-Vertrieb jedes noch so unnötige und unbrauchbare Produkt zu verkaufen.
Bei Tausenden von Produkten und wechselnden Metriken mit ebenso vielen An- und Abkündigungen ist das Chaos perfekt – und ebenso perfekt ist die Möglichkeit, dem Kunden noch eine weitere Lizenz aufzuschwatzen.
Unser „Lieblingsthema“ am SAP-Stammtisch ist der Kompetenz-Wettstreit. SAP hat sich schon lange von der IBM-Tugend „One Face to the Customer“ verabschiedet. Kaum übernimmt SAP ein Unternehmen, bekommen alle Vertriebsmitarbeiter neue SAP-Visitenkarten und werden auf die Bestandskunden losgelassen.
Was dann passiert, ist reif für die fünfte Jahreszeit! Bei der einen Tür geht der klassische SAP-Vertrieb mit ein paar Nachlizenzierungen hinaus, während bei der anderen Tür „neue“ SAP-Mitarbeiter von Ariba, Hybris, Concur, SuccessFactors hereinspazieren, um die Produktvielfalt und das Lizenzchaos weiter zu erhöhen.
Der „neue“ Vertrieb von den SAP-Zukäufen hat keine Ahnung von ECC 6.0, der ERP-Historie und alten Lizenzverträgen. Dieser Kompetenz-Wettstreit zwischen SAP-Klassik und den jungen Wilden von Fieldglass, BusinessObjects und Callidus ist bemerkenswert und dennoch sehr einfach gestrickt – letztendlich geht es um die Quote.
Damit der Umsatz für Bill McDermott und Luka Mucic passt, lässt mittlerweile auch mein Freund Bernd Leukert manche interessante und notwendige Entwicklung stoppen, wenn diese einen zu geringen Deckungsbeitrag erwarten lässt.
Diese traurige Situation erinnert mich an längst vergangene Tage, als Ex-SAP-Chef Léo Apotheker die von mir so geschätzte SAP Business School in Klosterneuburg (Österreich) unter Leitung von Professor Wolfgang Mathera schließen ließ. Diese wichtige Bildungseinrichtung erbrachte keinen zweistelligen Deckungsbeitrag!