Eile mit Cloud
Einst drängte Ex-SAP-CEO Professor Henning Kagermann seine Kunden zum Umstieg auf mySAP.com 2004 und dann auf die SAP Business Suite 7, obwohl noch viele Anwender mit SAP R/3 durchaus zufrieden waren und soeben den Releasewechsel auf R/3 Enterprise hinter sich gebracht haben.
Nun drängt SAP die Bestandskunden in die S/4-Cloud mit Rise und Grow. Es muss schnell gehen: Im Jahr 2025 feiert S/4 sein zehnjähriges Bestehen, 2027 endet die reguläre Wartung für Business Suite 7 (SAP ECC 6.0) und vorerst soll S/4 Hana bis 2040 Support durch SAP bekommen. Naturgemäß haben sich Neukunden in den vergangenen Jahren für S/4 entschieden, aber viele ERP-Systeme der R/3- und ECC-Bestandskunden sind noch auf Vorgängerversionen.
Die gute Nachricht: Das jahrelange Drängen und Drohen der SAP hat viele Bestandskunden zu S/4-Proof-of-Concepts geführt. Auch viele SAP-Partner wissen über die Tücken einer S/4-Conversion sehr gut Bescheid und können diese weitgehend gefahrlos anbieten. Theoretisch steht somit einem zügigen Releasewechsel auf S/4 Hana nichts im Weg.
Die schlechte Nachricht: Bei vielen SAP-Bestandskunden ist der S/4-Releasewechsel nicht das vordringlichste Problem. Die Digitalisierung im Allgemeinen und fehlende ERP-Infrastrukturkonzepte sowie globale Herausforderungen in der jeweiligen Aufbau- und Ablauforganisation sind zu lösen. Noch läuft ECC 6.0 hinreichend stabil und gut, sodass wieder einmal der alte Informatikspruch gilt: Never change a running system.
SAP Business Suite (ERP/ECC 6.0) mit AnyDB oder Hana genügt vielen Projekten und Vorhaben im Rahmen einer Digitalisierung – diesen Umstand hat der Anwenderverein DSAG zum Leidwesen der SAP schon vor vielen Jahren festgestellt und seit damals hat sich nur wenig verändert! Im Gegenteil: Die neuen Herausforderungen der digitalen Transformation lassen sich mit externen Werkzeugen schneller, besser und preiswerter lösen. KI-Anwendungen werden von SAP-Partnern direkt angeboten und KI-Innovationen findet der SAP-Bestandskunde besser bei Start-ups. Über SAP BTP (Business Technology Platform) lässt sich ohnehin das meiste problemlos integrieren.
Für die SAP-Community gibt es keine Eile, um in eine S/4-Cloud zu gelangen. Dieser Umstand ist keine grundsätzliche Absage an eine Cloud für das SAP-ERP, sondern vielmehr eine aktuelle Kritik an den Rahmenbedingungen! Eile mit Weile ist somit das bevorzugte Rezept für Rise und Grow mit SAP. Die Themen Hybrid, Private oder Public Cloud beschäftigen die SAP-Community und viele dieser Konzepte haben ihre Berechtigung, aber ebenso hat SAP in einigen Bereichen die eigenen Hausaufgaben noch nicht gemacht.
Eine große Herausforderung bei Rise with SAP sind für Bestandskunden die Lizenzbedingungen, weil nicht nur ein Cloud-Modell kalkuliert und erworben wird, sondern auch ein On-prem-Modell (meistens ECC 6.0) stillgelegt werden muss. Hier schaffen die SAP-Bestandskunden kaum einen vernünftigen Kompromiss ohne juristische Unterstützung durch Experten. Licht am Ende des Tunnels gibt es jedoch beim Thema Cloud-Exit. Hier tritt demnächst eine EU-Regelung in Kraft, die sinngemäß sagt, dass Cloud-Anbieter ihren Kunden beim Ausstieg aus der Cloud faire Angebote und tatkräftige Unterstützung bereitstellen müssen. Details fehlen noch und bis jetzt schweigt SAP zu diesem EU-Gesetz.
Entscheidet sich dennoch ein SAP-Anwender für den Rise-Vertrag, dann beginnt ein Glücksspiel: Der erfolgreiche Releasewechsel ist weitgehend vom Customizing-Team abhängig, das SAP selbst zur Verfügung stellt. Damit gibt es aktuell viel Licht und Schatten bei den zukünftigen S/4-Anwendern. Es gibt hochmotivierte und bestens trainierte SAP-Teams aus der SAP-Zentrale Walldorf, aber auch weniger versierte und erfahrene Teams aus Indien. Damit muss der S/4-Weg in die Cloud gut überlegt sein und es gilt noch immer: Eile mit Weile. Also, lieber SAP-Bestandskunde, handle mit der gebotenen Eile, aber überstürze nichts!