SAP-Roadmaps: Chaos-Tage in Walldorf
Cloud Computing ist ein IT-Betriebszustand, der in manchen Fällen sinnvoll sein kann. Cloud Computing, Hana, S/4 und vieles andere aus dem SAP-Universum sind wertvolle Werkzeuge, aber keine Lösungen.
Wir als CIOs in der SAP-Community und unsere C-Level-Kollegen sind stolz auf den Umstand, dass wir komplexe Systeme, Unternehmen und Strukturen beherrschen und mit dieser Komplexität Arbeitsplätze und Unternehmensgewinne schaffen – und dann kommt SAP-Chef Bill McDermott und erzählt uns: Run simple!
Mein Sohn war zu Besuch und meinte, dass SAP-Chef Bill McDermott mit seinem Spruch „Run simple“ ziemlich cool sei. Es würde genau der aktuellen Lebenslage entsprechen: Mein Sohn arbeitet bei Apple.
Er arbeitet engagiert und erfolgreich, aber keines seiner Projekte dauert länger als sechs Monate. Er besitzt kein Auto und achtet sehr auf die Work-Life-Balance. Er ist glücklich mit seiner Freundin und sein Leben läuft wirklich simpel und zufrieden.
Und im Gespräch mit ihm frage ich, ob uns Bill McDermott vielleicht ein Lebensgefühl und nicht Hana mit angehängtem S/4 verkaufen will.
Wir haben viele Werkstudenten und erfolgreiche Uni-Absolventen in den unterschiedlichsten IT-Teams und die Lebenseinstellung meines Sohns finde ich bei den jungen Mitarbeitern wieder: Run simple!
Meine Tochter ist jünger als ihr Bruder und wesentlich ehrgeiziger. Sie kann mit der simplen Work-Life-Balance wenig anfangen – somit gibt es immer wieder engagierte Diskussionen bei den nur noch selten stattfindenden gemeinsamen Sonntagsessen.
Meine Tochter spricht fließend vier Sprachen und liebt die Herausforderung – ich würde sagen: die Beherrschung der Komplexität und die globale, nachhaltige Umsetzung.
Aber Walldorf scheint vom Run-simple-Bazillus des Bill McDermott infiziert zu sein. Wir „alten“ CIOs der SAP-Community sind stolz auf die Beherrschung der Komplexität.
Wir sind es gewohnt, mit unserem technischen Stab fundierte Roadmaps für fünf Jahre und mehr zu konstruieren.
Nun muss ich erkennen, dass SAP „agil“ geworden ist. Was zählt, ist die bunte Welt von morgen. Was übermorgen geschieht, scheint niemanden zu interessieren.
Die aktuelle Lösungskompetenz beschränkt sich bei den jungen Entwicklern auf ein paar Apps in Verbindung mit der Hana Cloud Platform. Schon lange nicht mehr war der Software-Code aus Walldorf so schlecht, schludrig und unvollständig wie momentan.
Und diesen schlechten Code bekommen die Endanwender nicht einmal umsonst! Alles muss lizenziert und bezahlt werden, selbst SAP-Partner, die in der HCP entwickeln, müssen dafür Entwicklerlizenzen zahlen. Ungeachtet der Tatsache, wie viel Code in der HCP eigentlich auf Open-Source-Projekten basiert.
Das sind die Chaos-Tage in Walldorf, wenn halbfertige Software kostenpflichtig zum Verifizieren an die Bestandskunden ausgeliefert wird.
Bei unserem jährlichen Kick-off mit den Analysten von Gartner und unseren Group-CIOs waren natürlich die missliche Lage in Walldorf und der fortgesetzte Wille zu „Run simple“ ein wichtiges Thema.
Ebenso diskutierten wir auch die Entwicklung des Cloud Computing im Allgemeinen und die Bedeutung sowie Technik der HCP im Speziellen.
Ganzheitlich betrachtet ist die fehlende Infrastruktur bei SAP eine Schwachstelle. Aus dem Konzern hört man, dass Rechenzentren gebaut werden und Cloud Computing bei IBM angemietet wird – aber ist das für ein globales IoT und M2M ausreichend?
Wenig beruhigend ist somit auch die Nachricht, dass SAP sich nun der Dienste von Cloudflare bedient. Cloudflare ist ein globaler Anbieter mit über 100 Rechenzentren und ausgefeilter WAN-Technik, der laut Gerüchten aber sein Netzwerk an wirklich jeden vermietet – inklusive subversiver Elemente?
Ein weiterer Diskussionspunkt mit den Experten von Gartner waren die Ergebnisse der Analystenkollegen von IDC, die auf der SAP Fkom in Barcelona eine hellrosa Zukunft für HEC und HCP prophezeiten.
Woher die IDC-Kollegen diese für SAP optimistischen Zahlen herausgefischt haben, war auch den Gartner-Analysten nicht einsichtig.
Schon in den kommenden Jahren will SAP mit Cloud-Subskriptionen und Lizenzen mehr Umsatz machen als „on-premise“.
Regional in den USA und Asien vielleicht – aber bei meinen CIO-Kollegen in Europa ist das nicht vorstellbar. Auch die DSAG-Zahlen der jüngsten Investitionsumfrage belegen eher das Gegenteil: Cloud Computing wird quantitativ noch stark wachsen, aber qualitativ wird es in Richtung on-premise, Virtualisierung und Private Cloud gehen – die SAP-Lizenzen bleiben im eigenen Bestand und werden gekauft wie bisher.
Was naturgemäß nicht gegen eine Verwendung der eigenen Lizenzen in der Azure-, IBM- und AWS-Cloud spricht. Für SAP selbst war die IDC-Prophezeiung in Barcelona wie Balsam für die Cloud-Wunden.
SuccessFactors ist noch immer ein Desaster und die anderen SAP’schen Cloud-Dienste wachsen lediglich quantitativ. Ich rechne damit, dass SAP kurz vor 2020 ihre Cloud-Strategie massiv revidieren wird, wie das in der Vergangenheit bereits HP gemacht hat.
Cloud ist ein Werkzeug, aber keine Lösung und keine IT-Strategie!