Unternehmen Core
Was als Ziel für Neukunden sowie für gestandene SAP-Kunden in den Anfangsjahren von SAP ERP galt, ist heute lange überholt. Immer mehr Lösungen von Drittanbietern drängen auf den Markt und helfen ihren Kunden zu unterschiedlichsten Anbindungen an ihre SAP-Lösung. Damit wird SAP zur Plattform und unterstützt vielfältige Strategien der digitalen Transformation, die mit SAP-Bordmitteln allein nicht umsetzbar sind.
SAP bietet eine Vielzahl zusätzlicher Lösungen an, die – da meist zugekauft – ähnlich wie Drittlösungen angebunden sind. Auch will SAP den eigentlichen SAP-Lösungskern nicht zu stark erweitern, da es sonst Performance kostet und die Administrierbarkeit verschlechtert.
Zudem können zusätzliche Produkte aus dem Hause SAP Bestandskunden zu höheren Preisen angeboten werden, als wenn alles von Haus aus im Kern integriert wäre.
Für Kunden ist diese Modularität von großem Vorteil. Mit heutigen Lösungen, On-premise, Private und Public Clouds beliebig miteinander zu kombinieren, bekommen Kunden wieder ihre Flexibilität zurück. Auch die Pflege und Weiterentwicklung kann so agil und damit deutlich schneller, sicherer und in beliebigen Schritten erfolgen.
Damit war der (schmerzhafte) Weg, den SAP seinen Kunden vorgegeben hat, auf die In-memory-Datenbank Hana zu gehen, für viele der richtige. SAP nutzt für S/4 gerne die Bezeichnung „Digital Core“. Damit hat sich SAP wieder seinem R/3-Wabenmodell angenähert, welches zumindest die langjährigen SAP-Bestandskunden noch kennen.
Um den R/3-Client/Server gruppieren sich die Modulblöcke Logistik, Rechnungswesen und Personal mit je eigenen Submodulen wie FI und CO und zusätzlich ein Bereich mit anwendungsübergreifenden Funktionen wie WF (Workflow) und IS (Industry Solutions). Die Entwicklung und Erweiterung der Industry Solutions war jahrelang einer der starken Treiber der SAP-Weiterentwicklung.
Mit S/4 hat SAP die Möglichkeit genutzt, zum einen aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu profitieren und Bewährtes zu übernehmen. So tritt S/4 gewissermaßen die Nachfolge des Kerns von ERP an, nämlich der ERP Central Component (ECC). ECC wurde aber neu „geschnitten“ und Funktionen aus anderen Modulen integriert, während andere fehlen.
Auffallend ist, dass wichtige Komponenten, wie die Zukäufe der vergangenen Jahre, nicht integriert wurden. Bei den Zukäufen macht diese Zurückhaltung Sinn, da die Integration viel Zeit und Geld kostet und bei den heute üblichen Betriebsmodellen nicht genug Vorteile bringt.
Dies ist bei den Lösungen zu sehen, die traditionell von Unternehmen ausgelagert werden, wie die Bereiche Human Resources Management (bei SAP: SuccessFactors) und die Reisebuchungen und Spesenabrechnungen (bei SAP: Concur). Auch Lösungen um Servicemanagement und Workforce (bei SAP: Fieldglass) lassen sich traditionell gut eigenständig betreiben.
Auch wenn SAP die eigenen Lösungen gut anbindet, ermöglicht die Trennung Drittanbietern Chancen. Anders ist das beim Procurement (bei SAP: Ariba). Hier greifen die Prozesse tief in die Unternehmensworkflows ein. Hier wird SAP wohl den Aufwand scheuen beziehungsweise „Born by SAP“-Lösungen nachschieben.
Dies wird schon teilweise bei C/4 gemacht, welches mehr beziehungsweise anders ist als das zugekaufte SAP Hybris. Bei dem neuen Zukauf, der Umfrageplattform Qualtrics, wird sogar die bleibende Eigenständigkeit von SAP hervorgehoben.
Kunden, die den Digital Core von SAP nutzen, haben mit diesem Kern eine gute Ausgangsbasis und einen hohen Freiheitsgrad, die für sie passenden weiteren Module anbinden zu können, ob sie nun von SAP kommen oder von anderen Anbietern.
Den Titel der Kolumne habe ich einem Buch von 1994 entliehen, der 2003 als „The Core – der innere Kern“ verfilmt wurde. Es geht um den Stillstand des Erdkerns, also etwas, das Ihnen mit Ihrem Digital Core hoffentlich nie passiert.