Nicht zuhören, sondern handeln
Ich denke nicht, dass irgendein SAP-Bestandskunde dem CEO Christian Klein ins Ohr geflüstert hat, bringe Qualtrics an die Börse, um etwas Schadensbegrenzung zu erlangen. Qualtrics ist ein Desaster für die SAP, die Partner und allen voran die Bestandskunden, die mit den hohen Cloud- und On-premises-Lizenzgebühren den Totalschaden finanzieren müssen.
Wahrscheinlich war es die kalkulierende Um- und Weitsicht von Finanzvorstand Luka Mucic. Er hat schon eine Excel-Tabelle, die den Börsengewinn und Deckungsbeitrag gegen den weit überzogenen Kaufpreis aufrechnet. Seit vielen Jahren ist Mucic mit seinem Sinn für die Geldvermehrung der SAP-Felsen in der IT-Brandung. Mag Hana sexy sein und S/4 innovativ, der SAP-Finanzvorstand ist solide, weitdenkend und hat eine sehr geschickte Hand fürs liebe Geld.
In einem aktuellen SAP-Community-Call bezeichnete Vorstand Thomas Saueressig die Funktionen der Qualtrics-Software als wichtigen Bestandteil seiner Anwendungsentwicklung. Auch zukünftig soll nach Meinung von Saueressig diese zugekaufte Cloud-Software die anderen Komponenten des SAP-Universums ergänzen und dadurch ein integrierter Teil in den End-to-End-Prozessen sein. Unabhängig davon ist das Vorhaben, Qualtrics als selbstständiges und börsennotiertes Unternehmen in den USA zu positionieren.
Experten sprechen von Schadensminimierung: Ursprüngliche Schätzungen billigten Qualtrics bei einem möglichen Börsengang einen Marktwert von vier bis fünf Milliarden US-Dollar zu. SAP kaufte Qualtrics für etwa acht Milliarden US-Dollar. Aus Sicht von SAP ist es verständlich, dass nach der gescheiterten Integration und vereitelter Konsolidierung in das SAP-One-Domain-Modell zumindest die finanzielle Situation verbessert werden muss. Ein offensichtlicher Börsengang von Qualtrics könnte SAP ein paar Milliarden US-Dollar als Wiedergutmachung bescheren.
In dem Community-Call wurde SAP-Vorstand Thomas Saueressig auch gefragt, ob es noch eine Chance gäbe, Qualtrics auf die Hana-Datenbank zu bringen und somit eine Integration und Konsolidierung auf dieser Plattform zu erzielen. Trotz Wiederholung durch den Moderator überging Saueressig diese offensichtlich für SAP peinliche Frage.
Hintergrund: Die meisten anderen Cloud-Zukäufe haben nach vielen Jahren der Unsicherheit mittlerweile den Weg auf die Hana-Plattform gefunden. SAP-CEO Christian Klein hat vor einem Jahr vermutet, dass Qualtrics sich nicht auf Hana bringen lässt – und er hat recht behalten. Dafür betonte Thomas Saueressig mehrfach im SAP-Community-Call: „Qualtrics ist Teil der SAP-Familie.“
Tricksen ist erlaubt, aber bitte auf intelligente Art! Sich gemütlich im Chefsessel zurücklehnen und auf Zurufe der SAP-Community warten, ist letztendlich zu billig. Es ist erbärmlich, wenn der SAP-Chef und seine Vorstandskollegen den Bestandskunden und Partnern zuhören müssen, um zu erfahren, wo die Bits und Bytes in Unordnung sind, wo die Integration scheitert und welche Bereiche besser weiterverkauft werden, siehe auch SDI (SAP Digital Interconnect, eine ehemalige Sybase-Abteilung, die SAP 2010 aufkaufte).
Christian Klein, Thomas Saueressig und Jürgen Müller haben zahlreiche Experten und Top-Executives um sich geschart, die ihnen jederzeit und sehr präzise sagen sollten, wo die Baustellen sich befinden. In einem Akt gespielter Großzügigkeit nun die SAP-Bestandskunden in Geiselhaft zu nehmen und von diesen zu verlangen, die Strategie zu definieren, ist perfide! Nicht sich zurücklehnen und passiv den Ausführungen einzelner Bestandskunden und Partner lauschen, sondern aktiv reparieren, instand setzen und erforschen, was der IT-Markt und die SAP-Community brauchen. Der SAP-Vorstand muss aus seiner passiven Lethargie in ein aktives Wollen kommen.