Kunden(un)zufriedenheit
Es war nicht nur die vermeintliche Deadline 2025, die viele SAP-Bestandskunden an der Aufrichtigkeit des ERP-Lieferanten zweifeln ließ. Der SAP-Vorstand agierte in den vergangenen Jahren vollkommen losgelöst von den irdischen Problemen der Bestandskunden. „Cloud“ war aus Sicht des Vorstands die Lösung, aber ein Schreckgespenst für die Anwender.
Nun hat der Konzern zurückgerudert und auf der Fkom 2020 (Field Kick-off Meeting) in Las Vegas verkünden lassen: Wir sind ERP! Es gab keine Lobeshymnen auf Hana.
Die große Cloud-Verbrüderung „Embrace“ reduzierte sich auf einen Exklusivvertrag mit Microsoft aus dem vergangenen Herbst. Das Ergebnis: AWS und Google stornierten ihr traditionelles Sponsoring für die SAP-Fkom.
AWS ist als Embrace-Partner unsichtbar. Google probierte es mit einem eigenen Messestand auf den DSAG-Technologietagen 2020 – nach meiner subjektiven Beobachtung war der große Stand lange Zeit leer.
Wahrnehmung und Interesse tendierten gegen null. Auch Embrace braucht im Sinne der Kunden(un)zufriedenheit einen Neustart.
Der SAP-Vorstand hat bezüglich Kundenzufriedenheit den ERP-Konzern in den vergangenen Jahren an die Wand gefahren – nachzulesen im Geschäftsbericht 2018 unter dem Stichwort Net Promotor Score, dieser war das erste Mal in der SAP-Historie negativ. Was bedeutet: Die Bestandskunden sind von SAP sehr enttäuscht und empfehlen demnach die Software nicht weiter.
Diese Katastrophe der negativen Weiterempfehlungsrate muss aber jetzt nicht der SAP-Vorstand ausbaden! Kurzerhand wurde beschlossen, dass für alle SAP-Mitarbeiter zukünftige Sonderzahlungen und Prämien auch auf Basis der Kunden(un)zufriedenheit definiert werden.
Dieser basisdemokratische Aktionismus lässt sich werbetechnisch gut verkaufen: SAP hört wieder auf ihre Kunden, oder? Warum jetzt alle SAP-Mitarbeiter die Suppe auslöffeln müssen, die ihnen der SAP-Vorstand eingebrockt hat, bleibt ein Rätsel.
Es scheint der neue SAP-Stil zu sein, dass der Vorstand sehr selbstherrlich und losgelöst von allen realen Tatsachen schaltet und waltet: Die gut gemeinte Wartungsverlängerung 2027/2030 für die Business Suite 7 mit AnyDB und AS Abap sowie AS Java aus dem NetWeaver-Stack ist spektakulär – nur wer soll das bezahlen?
Der technische, organisatorische, logistische und personelle Aufwand für die fünfjährige Wartungsverlängerung ist gewaltig – abgesehen von den notwendigen Lizenzzahlungen an IBM, Microsoft und Oracle.
Steffen Pietsch, Technikvorstand beim Anwenderverein DSAG, hat postuliert: „Strategie stimmt. Umsetzung noch nicht. Klarheit und Planbarkeit fehlen.“ Besser kann man es nicht sagen, aber für die Klarheit und Planbarkeit ist das SAP-Management verantwortlich – nicht die Basis, deren Prämien nun an der Kunden(un)zufriedenheit gemessen werden soll.
Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und eine Wartungsverlängerung beseitigt nicht die Probleme der SAP-Bestandskunden. Warum? Weil Steffen Pietsch in seiner DSAG-Keynote gezeigt hat, dass die wahre Kunden(un)zufriedenheit andere Gründe hat: inkonsistente Verwendung von On-prem-APIs und Cloud-APIs, von Business-Partner-Definitionen und von Roadmaps sowie nachhaltige Inkonsistenz bei der applikationsübergreifenden Integration.
Trotz Wartungsverlängerung der SAP Business Suite 7, ERP/ECC 6.0, bis 2030 muss es Kunden(un)zufriedenheit geben, weil keine robusten Aussagen zu AnyDB vorliegen (siehe SAP-Note 2881788) und in der SAP-Note 1648480 eine Tabelle zur Roadmap des NetWeaver-Stacks (AS Abap und AS Java) mehr ein Suchbild als eine Lösung ist. Und natürlich sind im Rahmen der angekündigten Wartungsverlängerung nicht nur AnyDB und NetWeaver, sondern auch die Compatibility Packs eine Baustelle für die SAP-Bestandskunden.
Vielleicht hat SAP etwas missverstanden: Die Kunden(un)zufriedenheit ist nicht abhängig vom Applaus während einer Sapphire-Keynote, sondern von den Strategien und deren Umsetzung. Natürlich war es richtig von SAP, eine Strategie für die Visualisierung von Analysen und Big Data anzubieten.
Lumira ist demnach ein Produkt, das auf breite Akzeptanz stößt. Lumira ohne Migrationspfad zugunsten von SAP Analytics Cloud abzukündigen, ist katastrophal. Warum nun die SAP-Mitarbeiter an solchen Managemententscheidungen gemessen werden sollen, bleibt ein weiteres SAP-Rätsel. Auf die Wünsche der Kunden zu hören sollte eine Managementaufgabe bleiben.
Kunden um ihre Meinung zu fragen ist gut, aber Kunden zu fragen, was man nun tun soll, ist ambivalent: Die ERP-Kernkompetenz liegt noch immer bei SAP, wie auf der Fkom in Las Vegas mehrfach betont wurde.
Somit sollten auch von SAP entsprechende Antworten und Problemlösungen kommen und eben nicht „nur“ Produkte. SAP muss sich ihrer Verantwortung im Zuge der digitalen Transformation endlich bewusst werden. SAP sollte Lösungs- und nicht Produktanbieter sein.