Hybride Begründungspflicht
In die ERP-Verträge sollte eine Begründungspflicht von SAP für uns Bestandskunden aufgenommen werden. Natürlich will ich SAP-Chef Christian Klein nicht in seine Agenda greifen. Er soll und muss mit seinen Vorstandskollegen und dem Aufsichtsrat allein einen Weg für den ERP-Weltmarktführer finden. Zurufe von der Seitenlinie sind kontraproduktiv und damit verboten – was für alle Beteiligten in der SAP-Community gilt inklusive Analysten und Journalisten.
Es erscheint mir jedoch unverzeihlich, wenn Christian Klein von Rise erzählt und „Cloud only“ als Lösung anbietet. Wenig später heißt es dann „Cloud first“ und wenn weder Private noch Public Cloud überzeugen, wird der Marketing-Gag „Hybrid Cloud“ hervorgeholt. Gibt es dafür eine Begründung? Mein Eindruck: Christian Klein hat seinen Kompass verloren und redet nur das nach, von dem er glaubt, dass es sein Gegenüber hören will.
So gesehen hat mein ehemaliger DSAG-Vorstandskollege Andreas Oczko schon recht, dass wir uns als Zuhörer auf einem Jahreskongress nicht immer alles von SAP bieten lassen müssen. Es muss einen Kompromiss zwischen Schmusekurs und Eskalation geben und der beginnt mit einer SAP’schen Begründungspflicht. Der Weckruf von Andreas Oczko in Leipzig auf dem DSAG-Jahreskongress war wichtig und richtig. In der Hitze des Gefechts schoss der liebe Kollege natürlich über das Ziel hinaus. Aber der laut zu vernehmende Schuss war für alle hörbar und erhellend.
Ganz besonders bei dem Thema Cloud Computing verweigert SAP klare Aussagen. Abseits der Öffentlichkeit ist der ERP-Konzern glücklich über Kronjuwelen wie Hybris, das aktuell BRIM genannt wird und für Billing and Revenue Innovation Management steht. Dieses On-prem-Produkt schafft viel Umsatz. Es passt nur nicht in die aktuelle Cloud-Doktrin und wird somit sehr stiefmütterlich behandelt.
Hingegen wird das Cloud-only-Produkt IBP, Integrated Business Planning, als Nachfolger des On-prem-APO überall genannt, protegiert und selbst gelobt. Leider ist IBP eine echte Herausforderung, sodass im Bereich des Supply Chain Planning einige SAP-Partner weniger anspruchsvolle Alternativen anbieten. Auch hier wäre eine Begründungspflicht durch SAP für alle Bestandskunden hilfreich: Warum gibt es kein IBP Light, das – mit allen Nachteilen – auch on-prem customized werden kann?
Als SAP-Bestandskunde lebt man in einer disruptiven und atomisierten Welt. In dieser Situation wäre eine hybride Begründungspflicht eine echte Hilfestellung durch SAP. Der DSAG-Jahreskongress mit seinem Thema „Auf der Suche nach …“ hat es deutlich gezeigt, die Community ist auf der Suche nach Orientierung, Wissen und damit Begründungen, warum es ist, wie es ist – oder anders gesagt: Walldorf, bitte melden!
Das Schweigen des SAP-Vorstands zu den wirklich wichtigen Themen ist unerträglich. Ein S/4 ist mindestens bis 2040 in der Hauptwartung, ist keine Antwort. Wichtig wäre zu wissen: Was könnte eine ERP-Roadmap 2050 sein? Wie entwickelt sich Hana weiter? Was versteht SAP unter Hybrid Cloud? Und warum fürchtet SAP das Thema On-prem wie der Teufel das Weihwasser?
Noch hören die SAP-Community und meine DSAG-Kollegen den Vorständen Christian Klein und Thomas Saueressig auf einer Veranstaltung wie dem Jahreskongress aufmerksam und wohlwollend zu – vielleicht zu wohlwollend, sodass bei den Worten von Klein und Saueressig unwillkürlich einem das Goethe-Zitat wieder einfällt: So schwätzt und lehrt man ungestört, wer will sich mit den Narr’n befassen? Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken lassen! (Faust, erster Teil.)
Es müsse sich dabei doch auch was denken lassen – womit ich wieder angelangt bin bei meiner Forderung nach einer Begründungspflicht. Auf meiner nächsten Fahrt nach Walldorf werde ich versuchen, meinen guten und langjährigen Freund im Aufsichtsrat und den SAP-Vorstand in die Pflicht zu nehmen – zum Vorteil der gesamten Community und unserer DSAG.