Gemeinsam besser


Die von SAP erfundene „indirekte Nutzung“ und die damit drohenden Lizenznachzahlungen gefährden zunehmend die digitale Transformation. Im SAP’schen Universum werden Anwendungen wie IoT und Blockchain nahezu unfinanzierbar, wenn die „indirekte“ Nutzung der SAP letztendlich zur Anwendung kommt.
Der IT-Verband Voice hat sich zum Ziel gesetzt, auf lokaler und europäischer Ebene nach Lösungen zu suchen und dem Copyright, EU-Richtlinien und Kartellrecht zu mehr Geltung zu verhelfen, denn juristisch ist die Sachlage nicht so komplex, wie sie manchmal den SAP-Bestandskunden technisch erscheint.
Mit Patrick Quellmalz, Leiter Services und Geschäftsführer Voice – CIO Service GmbH, führte Peter Färbinger, E-3 Magazin, folgendes Interview.
Die SAP will bis 2025 alle Bestandskunden auf die Hana-Plattform bringen – entweder in der Cloud oder On-Premises. Wie bewerten die Voice-Mitglieder dieses Ziel in Bezug auf das Lizenzmodell und die Kosten?
Patrick Quellmalz: Unsere Mitglieder gehen von höheren Kosten aus. Außerdem haben wir eine ungerechtfertigte Kopplung von Produkten. Hana wird Pflicht, weil SAP keine andere Datenbank für S/4 zertifiziert.
Wenn zum Beispiel die Oracle-Datenbank ebenfalls zertifiziert würde, wären die Kosten deutlich geringer. Wenn große Unternehmen die DB wechseln müssen, reden wir allein im Datenbankbereich von Kosten, die bis in den zweistelligen Millionenbereich reichen können.
Wenn Sie das „Full Use“-Modell heranziehen, kann es noch teurer werden, weil da nicht der prozentmäßige Anteil der Lizenzen zur Berechnung herangezogen wird, sondern das Datenvolumen in Gigabyte berechnet wird, das schnell in den Terabyte-Bereich hineingeht.
In dem Fall müssen große Unternehmen mit hohen zweistelligen Millionenbeträgen rechnen. Da alle Prognosen von einem weiteren Anstieg der Datenvolumina ausgehen, wäre dieses Modell eine regelrechte Gelddruckmaschine für SAP. Hinzu kommt, dass die bisherige Lizenzmessung der SAP bei Hana nicht wirklich funktioniert. Da gibt es noch viel Optimierungsbedarf.
Sehen Anwender die Gefahr, sich mit S/4 Hana von einem Monopolisten abhängig zu machen? Zumal ab 2025 auch Hana-Entwicklungslizenzen wesentlich teurer werden?
Quellmalz: Sie sind sich dieser Gefahr bewusst, vor allem bei den großen Softwareanbietern. Die Gefahr besteht nicht nur bei SAP, auch Microsoft hat ähnliche Versuche unternommen, abhängige Anwender stärker zur Kasse zu bitten.
Bei den Nachverhandlungen der Office-365-Verträge wurden die Preise deutlich angehoben. Bei Hana stellt sich zusätzlich die Frage, ob Unternehmen das On-Prem oder in der Cloud betreiben. Im eigenen Rechenzentrum müssen die Unternehmen zusätzlich mit massiven Hardwarekosten rechnen.
Sehen Sie in einem so starken Vendor-Lock-in einen generellen Trend in der Softwareindustrie?
Quellmalz: Das ist die Krux der Plattformökonomie. Sie funktioniert nach dem Prinzip „the winner takes it all“. Deshalb versucht jeder große Softwareanbieter, die nächste große Plattform aufzubauen.
Im Office-Markt gibt es de facto nur noch eine Plattform. Google versucht Ähnliches. Auch im Industrie-4.0-Bereich werden Plattformen aufgebaut, auch da werden wir in Kürze heftige Konsolidierungstrends erleben.
In dem Sektor werden auch nur sehr wenige Plattformen langfristig überleben. Solange keine einfachen Möglichkeiten geschaffen werden, große Datenmengen leicht zu transferieren, bleibt der starke Vendor-Lock-in bestehen.
Können Anwender sich dagegen wehren?
Quellmalz: Das müssen sie, und zwar nicht einzeln, sondern gemeinsam. Sie werden dabei unterstützt. Die Europäische Union hat entsprechende Initiativen aufgelegt wie den Code of Conduct for Data Portability for IaaS vom Kommissionsbereich DG Connect.
Aber die Gegenwehr funktioniert nur gemeinsam. In Einzelverfahren streben die Anbieter häufig außergerichtliche Einigungen an, die dann mit Non-Disclosure-Klauseln belegt sind. So gelangen die Ergebnisse nicht an die Öffentlichkeit und niemand kann daraus lernen.
Außerdem verhalten sich fast alle Software-Anbieter, auch die SAP, je nach Kundengröße unterschiedlich. Je größer der Kunde, desto mehr Zugeständnisse macht der Anbieter.
Können Sie uns dafür ein Beispiel geben?
Quellmalz: Als das Thema indirekte Nutzung aufkam, hat SAP bei Großkonzernen nachgefragt, was sie unter indirekter Nutzung verstehen. Den Mittelständlern hat man dagegen sehr klar gesagt, wie die SAP das Thema versteht.
Deshalb müssen die Anwender hier zusammenarbeiten – natürlich unter Beachtung des Kartellrechts –, um den gleichen Informationsstand zu erreichen und verbindliche Aussagen von SAP zum Thema zu bekommen, die für alle gleichermaßen gelten. Dabei werden wir die Anwender als Bundesverband und auf der europäischen Ebene unterstützen – auch auf dem juristischen Weg.
Befürchten Sie nicht, dass das Thema technisch zu komplex ist und von den Gerichten nicht verstanden wird? Bisher hat die SAP sich immer mit Hinweisen auf die Technik herausmanövrieren können. Wie begegnen Sie als Verband dieser Herausforderung?
Quellmalz: Zunächst einmal brauchen Sie wirklich gute IT-Juristen. Leider gibt es in Deutschland nicht allzu viele Kanzleien, die sich mit SAP-Verträgen und der IT-Rechtsprechung auseinandersetzen sowie sich Feedback von den Anwendern holen.
Voice hat ein juristisches Gutachten zur indirekten Nutzung erstellen lassen. Das hat nur funktioniert, weil uns die Community viele Fragen zu fachspezifischen und technischen Themen beantwortet hat.
Wie reagieren Ihre Mitglieder auf die Aufforderung, gemeinsam gegen SAP vorzugehen? Wir hören auch von SAP-Bestandskunden, die lieber zahlen, weil sie um die gute Zusammenarbeit mit der SAP fürchten?
Quellmalz: Wir rufen unsere Mitglieder nicht dazu auf, gegen die SAP zu arbeiten. Wir wollen nur Transparenz und faire Lizenzpraktiken und die bekommen wir offenbar nur, wenn wir mit einer Stimme sprechen, die für ein breites Spektrum von deutschen und europäischen Anwendern steht.
Wir reagieren auf die Bedürfnisse unserer Mitglieder. Wir verstehen uns auch als eine Schutzschicht zwischen dem Anwender und den Ansichten der IT-Anbieter. Mit uns dazwischen muss kein einzelner Anwender allein kämpfen.
Müssen in einer möglichen juristischen Auseinandersetzung nicht am Ende doch Anwender namentlich auftreten und finanzielle Schäden oder Wettbewerbsnachteile ins Feld führen?
Quellmalz: Als Verband haben wir andere Möglichkeiten als einzelne Anwender. Zum Beispiel mit dem bereits erwähnten juristischen Gutachten. Wenn Juristen ein solches Gutachten erstellen, fallen die individuellen Aussagen der Anwender, die für ein Gutachten herangezogen werden, unter die anwaltliche Schweigepflicht.
Erst wenn eine Instanz wie das Kartellamt nachfragt, müssen die Anwender nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen dem Auskunftsverlangen gegenüber den Kartellbehörden entsprechen.
Das Thema indirekte Nutzung beeinflusst den Fortschritt in der Digitalisierung. Indirekte Nutzung wird in einer digitalisierten Welt eine der wesentlichen Nutzungsgrößen sein, weil eben Software immer öfter mit Software kommuniziert. Wie bewerten Sie als Verband diese Diskussion? Sehen Sie indirekte Nutzung als Bedrohung und Bremsklotz für Innovationen?
Quellmalz: Wir sehen die indirekte Nutzung als Damoklesschwert für die digitale Transformation. Aus zwei Gründen: Zum einen wissen Anwender nicht, welchem zusätzlichen Investitionsbedarf und welchen lizenzrechtlichen Risiken sie sich aussetzen, wenn sie zukunftsgerichtete Technologien einsetzen, wie APIs, Container, oder nur eine moderne E-Commerce-Lösung, die auch SAP-Daten nutzt.
Darüber hinaus schädigt die SAP mit ihrem Lizenzverhalten den Markt für Third-Party-Applikationen ganz massiv. Nur zur Erinnerung: Die Third-Party-Anbieter haben die SAP erst zu dem gemacht, was sie heute ist. Ihrem Geschäftsmodell schiebt die SAP jetzt einen Riegel vor.
Das ist aus unserer Sicht innovationsfeindlich. Denn im Third-Party-Markt entstehen zusätzliche Lösungen für das SAP-Ökosystem, aber eben nicht unter vollständiger Kontrolle der SAP. Wenn durch die indirekte Nutzung der Datenaustausch über Schnittstellen durch zusätzliche Kosten verhindert wird, kann man sich den negativen Einfluss auf die Innovationstätigkeit leicht vorstellen.
Die bestimmungsgemäße Benutzung von Software beinhaltet laut EU-Richtlinie die Kommunikation der Software mit Menschen und über Schnittstellen. Ist damit die indirekte Nutzung nur ein Fantasiegebilde der SAP?
Quellmalz: Wenn die Interpretation des Lizenzfalls indirekte Nutzung den Zugang und den Datenaustausch mit Drittsystemen tatsächlich verhindert, widerspricht diese Interpretation der SAP der EU-Richtlinie.
Wenn sich die SAP mit dieser Definition durchsetzt, haben wir ein riesiges Problem in der gesamten IT-Landschaft: Die Systeme dürfen nicht mehr miteinander kommunizieren, ohne dass die SAP mitverdient.
Natürlich muss sauber lizenziert werden, aber nicht zum Schaden von Anwendern und Drittanbietern, indem Zugangssperren errichtet werden oder man auf die eigenen Systeme nicht mehr zugreifen kann.
Bei dem neuen Softwarelizenzierungsprogramm, das die SAP im April dieses Jahres vorgelegt hat, wird die SAP Hana Cloud Platform als Third-Party-Produkt eingestuft. Wird die SAP dann ein Feind im eigenen Bett, wenn ein Anwender eine Applikation auf dieser Plattform entwickelt?
Quellmalz: Ja. Das Lizenzmodell ist an dieser Stelle ganz klar innovationsfeindlich. Mit der Definition von indirekter Nutzung beziehungsweise., wie es seit April heißt, „indirect/digital access“ ist SAP zwar einen Schritt in die richtige Richtung gegangen, hat aber das Modell nicht zu Ende gedacht.
So wie er heute gestaltet ist, beschert der neue Entwurf den Anwendern massive Schwierigkeiten. Uns erscheint das Digital-Access-Modell prinzipiell als der richtige Weg, aber aufgrund der derzeitigen Umsetzung entstehen zusätzliche, nicht vorhersehbare Lizenzkosten.
Nehmen Sie zum Beispiel das Thema Audits. Diese gewinnen in diesem Zusammenhang weiter an Bedeutung. Es ist zu klären, in welchen Fällen und zu welchen Zeiten sie stattfinden und wie die Ergebnisse von der SAP bewertet werden.
Wir brauchen auch hier eine rechtliche Verbindlichkeit und keine in die Vergangenheit reichende Wirkung, wie das unsere Anwender zurzeit bei der indirekten Nutzung erleben.
Da passiert es, dass Anwender zwei Jahre hintereinander auditiert werden. Gab es in der letztjährigen Lizenzprüfung nichts zu beanstanden, kommt das Audit in diesem Jahr zu dem Ergebnis, dass für die vergangenen zwei oder drei Jahre Lizenzgebühren für die indirekte Nutzung nachzubezahlen sind.
Es darf einfach nicht sein, dass Anwender durch neue Lizenzbestimmungen der SAP rückwirkend ins Unrecht gesetzt werden. Das ist für niemanden nachvollziehbar und lässt die Lizenzpolitik der SAP willkürlich erscheinen.
Bei der Definition der indirekten Nutzung lässt SAP eine gewisse Willkür erkennen. Im kommenden Jahr sollen neue Lizenz-Vermessungswerkzeuge von SAP auf den Markt kommen. Wie sollen die funktionieren, wenn indirekte Nutzung nicht eindeutig definiert ist? Ist angesichts dieser Ungenauigkeiten aufseiten der Anwender überhaupt eine Planung ihrer Lizenzkosten möglich?
Quellmalz: Einige unserer Mitglieder haben die SAP-Vermessung ausgesetzt, bis die offenen Fragen geklärt sind. Die Ergebnisse sind teilweise willkürlich. Weil sie nicht wissen, wie der Auditor die aktuellen Lizenzregeln interpretiert, gehen die Anwender bei jeder Vermessung ein unkalkulierbares Risiko ein.
Soll SAP das neue Lizenzmodell nachschärfen oder muss erst gerichtlich festgestellt werden, dass Interoperabilität zur bestimmungsgemäßen Benutzung von Software gehört, die nicht mit Lizenzgebühren für indirekte Nutzung belegt werden darf?
Quellmalz: Die SAP muss klar und für alle Fälle definieren, was indirekte Nutzung ist, einschließlich des „direct human access“ und des „indirect/digital access“. Diese Klarstellung muss auch in allen anderen SAP-Verträgen nachgereicht werden. Bisher fehlen solche eindeutigen Formulierungen.
Wir fordern die Klarstellung und Weiterentwicklung des SAP-Lizenz- und Access-Modells. Die Anwender haben sich auf die neuen, cloudbasierten IT-Landschaften eingestellt. Das ist gut. Aber wir wollen weiterhin gewährleistet sehen, dass die Anwenderunternehmen in diesen Landschaften auch Third-Party-Produkte einsetzen können, ohne Geld an die SAP zu zahlen.
Es darf nicht sein, dass die SAP mit ihrer Doppelstrategie durchkommt. Auf der einen Seite kauft sie am Markt befindliche Lösungen und integriert sie in ihr Portfolio, auf der anderen Seite erschwert oder verhindert sie, dass ihre Kunden Nicht-SAP-Lösungen einsetzen.
Ein solches Verhalten verhindert einen freien und fairen Softwaremarkt und behindert die innovative Weiterentwicklung der Systeme beim Kunden. Wir fordern, dass SAP die Audits auch für sich als bindend erklärt und rückwirkend keine weiteren Nachforderungen erhoben werden.
IT-Systeme werden immer komplexer. Sind sie lizenztechnisch überhaupt noch beherrschbar? Gibt es Auswege aus diesem Dilemma?
Quellmalz: Standardverträge statt Individualverträge wären zum Beispiel deutlich einfacher. Aber daran haben die Anbieter offenbar kein Interesse. Wir sehen stattdessen, dass Anbieter über immer mehr Juristen immer mehr aus alten Verträgen herauszuholen versuchen.
Wir sind der Überzeugung, dass wir nur faire Lizenzbedingungen bekommen, wenn Anwender und Anbieter endlich wieder auf Augenhöhe und partnerschaftlich diskutieren.
Das funktioniert nur, wenn sich Anwender gegen bestimmte Praktiken der IT-Anbieter wehren, die trotz einer zweistelligen Marge noch mehr aus ihren Kunden herausholen wollen. Voice unterstützt die Anwenderunternehmen dabei.
Es geht also um Komplexität und um versteckte Preiserhöhungen?
Quellmalz: Versteckte Preiserhöhungen über veränderte Lizenzbedingungen und Metriken sind für die Anbieter einfacher, als den Anwendern eine reguläre Preiserhöhung zu vermitteln, und sie sichern deutlich mehr Einnahmen, als wenn ein Unternehmen Preiserhöhungen durchführt.
Wenn in Zukunft immer mehr Programme und immer weniger Menschen auf SAP-Services zugreifen, dann wird indirekte Nutzung deutlich häufiger, wahrscheinlich sogar die Standardnutzungsart. Dass die SAP da nicht tatenlos zusehen will, ist verständlich. Aber es muss klar definiert und ausgestaltet werden.
Das tut die SAP nicht und wir wollen Anwendern helfen, das durchzusetzen. Die Komplexität der Lizenzbestimmungen ist unserer Meinung nach nicht überall notwendig. Sie wird von den Herstellern auch deshalb gepflegt, um so wenig kostentransparent zu sein wie möglich.
Danke für das Gespräch.