Fit to Standard
Der deutsche Hersteller von Kommunikationsprodukten und -lösungen, Gigaset, hat sich zwecks Umstellung auf SAP S/4 Hana für den Gang in die Public Cloud entschieden, weil er seine Prozesse weiter standardisieren und verschlanken will. Dabei war es dem Unternehmen wichtig, bestimmte Funktionen aus der bereits seit zehn Jahren eingesetzten, externen Lösung zur Verbesserung logistischer Prozesse in SAP auch in der Public Cloud nutzbar zu machen.
In enger Zusammenarbeit mit dem vertrauten Lösungsanbieter GIB – zukünftig ifm – , der langjährige Erfahrung im Bereich Supply Chain hat, werden die Funktionen nun in die Cloud überführt. Beide Firmen, Gigaset und ifm, arbeiten schon lang erfolgreich zusammen, wobei der Hersteller der Kommunikationsprodukte vom tiefgründigen Wissen des externen Beraters GIB im Bereich Logistikoptimierung profitiert.
Die Bereitschaft deutscher Unternehmen, auf cloudbasierte ERP-Systeme umzusteigen, ist bislang noch gering, siehe auch Grafik aus der DSAG-Investitionsumfrage. Nach wie vor ist in vielen Firmen die Idee fest verankert, dass die zentralen Geschäftsprozesse in einer eigenen IT-Landschaft, also in einer traditionellen On-premises-IT, verwaltet werden müssen.
Als größtes und wichtigstes Argument für diese Art von ERP-Systemen wird meistens angegeben, dass Unternehmen nicht die Kontrolle abgeben möchten – vor allem wenn es um den Datenschutz geht. Weiterhin kann jederzeit auf die Daten zugegriffen werden. Diese lokale Verwaltung hat aber auch Nachteile, die eine Verschlankung von Prozessen und eine damit einhergehende Effizienzsteigerung verhindern. Dazu gehören hohe Kosten für Infrastruktur, Personal und Wartung. Außerdem sind ausgebildete IT-Mitarbeiter nötig, um die Datensicherung zu garantieren, Updates zu installieren und Bugs schnell zu beheben.
Schließlich nehmen die anstehenden Aktualisierungen und Releasewechsel bei etablierten ERP-Systemen wie SAP einen immensen Umfang an, der mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden ist. Unter SAP S/4 Hana gibt es pro Jahr ein neues Release, sodass sich der Aktualisierungsturnus nochmals verkürzt.
Hoher Personal- und Verwaltungsaufwand für On-premises und Private Cloud sind somit vorgegeben. Firmen, die eine direkte Kontrolle über ihre Umgebungen haben möchten, erwägen als Alternative häufig den Umstieg von On-premises auf die Private Cloud in Form von SaaS, IaaS und PaaS, um Vorteile wie Self-Service, Skalierbarkeit und Elastizität bei gleichzeitigen Kontroll- und Anpassungsmöglichkeiten zu erhalten.
Durch Unternehmensfirewalls und internes Hosten haben sie so zwar einen hohen Sicherheits- und Datenschutzgrad, dennoch ist die IT-Abteilung des Unternehmens weiterhin für Kosten und Haftung beim Verwalten der privaten Cloud verantwortlich. Personal-, Verwaltungs- und Wartungsausgaben lassen sich bei dieser Variante also nicht reduzieren.
Dem gegenüber stehen ERP-Systeme, die auf einer Public Cloud basieren. Anstatt hoher Anschaffungskosten zahlen Unternehmen Miete für einen Service, nutzen für den schnellen Support die IT-Ressourcen des Anbieters, müssen sich nicht um Instandhaltung, Datensicherung und Aktualisierungen kümmern und können bei Bedarf weltweit auf ihre Daten zugreifen.
Die Datensicherheit in der Cloud wird unter anderem durch regelmäßige Penetrationstests sichergestellt. Außerdem ist es in der Public Cloud nicht mehr möglich, einzelnen Mitarbeitern individuelle Rechte zuzuweisen, sondern lediglich fest definierte Rollen zu vergeben. So werden unbeabsichtigte Datenlecks geschlossen.
Cloud für Standardisierung
Alle diese Vorteile haben den deutschen Telefonhersteller Gigaset dazu bewogen, sich bei der Umstellung der SAP-On-premises-Version ERP/ECC 6.0 auf S/4 für die Public-Cloud-Version zu entscheiden. Schon immer in Deutschland ansässig, produziert Gigaset seit 1941 in Bocholt am Niederrhein Kommunikationsprodukte. Mehr als 550 Mitarbeiter entwickeln, designen und produzieren innovative Telefone, Smart-Home-Systeme und Smartphones. Als Grund für den Umstieg nennt Gunther Schlingemann, Senior Vice President IT bei Gigaset, die angestrebte Standardisierung: „Die Standardisierung war ein Muss für uns, deswegen haben wir uns für die Public Cloud entschieden. Wir sind dadurch gezwungen, uns der Standardisierung unterzuordnen. Als mittelständisches Unternehmen sehen wir darin für uns die größten Vorteile für die Zukunft. Wir müssen uns künftig um viele Dinge wie Hosting, Sicherheits-Updates, Maintenance der Systeme und neue gesetzliche Features keine Gedanken mehr machen, da alles automatisiert über die SAP erfolgt.“
Supply Chain in die Cloud
Trotz der wichtigen Stellung, die die Standardisierung für Gigaset einnimmt, stand für das Unternehmen fest, dass bestimmte Funktionen aus der Lösung GIB-Operations unverzichtbar sind. Bereits seit mehr als zehn Jahren arbeitet Gigaset in der Primärdisposition mit der Software des zuvor als GIB bekannten Softwareherstellers und -lizenzierten SAP-Silver-Partners. Von Juni 2022 an firmiert die GIB, die seit 2016 zur Unternehmensgruppe des Automatisierungsspezialisten ifm gehört, unter dem Namen ifm. Die bekannten Produktnamen bleiben dabei unverändert.
„Vor ein paar Jahren haben wir festgestellt, dass die Disposition der Fertigprodukte, also die Primärdisposition, immer mehr an Breite gewinnt. Wir hatten aber nicht mehr Personal zur Verfügung und mussten die Effizienz steigern. Daher haben wir die SAP’sche Z-Programmierung durch GIB-Operations ersetzt. Das schafft sehr große Vorteile für Abteilungen wie die operative Beschaffung, die Fertigungssteuerung und die Baugruppensteuerung. Mittlerweile arbeiten wir abteilungsübergreifend mit der Software und haben insbesondere die Portfolioübersicht und den Fokus auf den Kern als Cockpit als großen Vorteil erkannt. Der Disponent kann so ein viel größeres Portfolio handeln, das sich sogar zwei bis drei Mal pro Tag ändert“, so Dirk Lörwink, Senior Manager Logistics Controlling bei der Gigaset.
Besonders hilfreich ist dabei die Cockpit-ähnliche Sichtweise, durch die die Mitarbeiter schnellen Zugriff auf einzelne Positionen haben und zeitnah agieren können, um zum Beispiel die Vorplanung zu ändern, Bestellungen mit Lieferanten abzusprechen. Von dort aus lässt sich der gesamte Dispositionsprozess steuern und es ist möglich, sämtliche Details einzusehen sowie in alle relevanten Transaktionen abzuspringen. Die Zeit- und Kosteneinsparung durch die effiziente Darstellung und Analyse der Bestandsentwicklung von Materialien sind enorm. Gleichzeitig werden sowohl Unterdeckungen als auch Überbestände frühzeitig erkannt und geeignete Maßnahmen können direkt eingeleitet werden. „Für uns ist die Unterstützung durch das GIB-Operations äußerst wichtig, weil es unsere Arbeitsgeschwindigkeit deutlich erhöht“, sagt Lörwink.
Als Gigaset die Entscheidung für den Systemumstieg getroffen hatte und dabei konsequent den Weg in die Public Cloud einschlagen wollte, stellte sich schnell die Frage nach der Einbindung der heutigen Subsysteme und Schnittstellen. Nach der Analyse des Funktionsumfangs in der Cloud bemerkte man allerdings, dass gerade das Tool mit Cockpit-ähnlicher Sicht nicht enthalten war. Anstatt in einem übersichtlichen Dashboard stehen die Funktionen in der Cloud in Form von Apps zur Verfügung. „Dadurch wären wir gezwungen, kleinteiliger zu arbeiten, und würden enorm an Geschwindigkeit verlieren“, erklärt Lörwink.
„Als klar war, dass für uns wichtige Operationen in der Cloud-Standardversion nicht enthalten waren, haben wir unseren langjährigen Lösungspartner ifm kontaktiert. Denn es war ein ‚No-Go‘ für uns, ohne die zusätzliche Unterstützung, die uns das GIB-Operations im dispositiven Bereich bietet, zu arbeiten. Die ifm-Experten waren schnell bereit, uns auf unserem Weg in die Cloud zu begleiten und die wichtigsten Features aus dem Operations dorthin zu überführen. Sie erfassen die Problemstellungen einer diskreten Fertigung sehr gut und können sich in die Aufgaben hineindenken. Das schätzen wir sehr“, erläutert Andreas Tourneur, Vice President Order Center bei Gigaset. In der SAP Public Cloud heißt die Lösung MRP view XLNce. Diese wird zukünftig auch für andere Interessenten im SAP-Store erhältlich sein.
Change-Prozess motivieren
Aktuell steckt Gigaset mitten in der Implementierungsphase für den Umstieg auf S/4 Hana, bei der ein Kernteam in einem Testsystem arbeitet. Dabei umfasst der Change-Prozess nicht nur die technische Implementierung. Auch die Mitarbeiter müssen davon überzeugt sein, dass das neue System zukunftsweisend ist und die Arbeit verbessern wird. Für Lörwink ist der Umstieg auf die Cloud ein Paradigmenwechsel: „Bis jetzt waren wir es gewöhnt, das System dorthin zu treiben, wo wir es gern hätten. Jetzt hat sich die Richtung umgekehrt. Nach dem Motto Fit-to-Standard müssen wir uns an die Systemvorgaben halten und unsere Prozesse daran anpassen.”
Diese Herangehensweise als passiver Part war eine Herausforderung. Mittlerweile hat sich das neue Denken aber durchgesetzt und alle Mitarbeiter sind motiviert, den Umstieg anzugehen, auch dank einiger Informationsveranstaltungen sowie Key Usern, die als Multiplikatoren agieren.
Während des Change-Prozesses tauchen immer wieder unerwartete Themen auf, die dank eines engagierten Projektteams und der externen Unterstützung durch die ifm jedoch gut abgefedert werden. „Wir sind froh, dass unser langjähriger Partner uns nicht nur Software-technisch unterstützt, sondern auch inhaltlich. Die Experten denken in Supply-Chain-Prozessen und verstehen unsere prozessualen Anforderungen ganz genau. Durch ihre Expertise helfen sie uns dabei, unsere Prozesse für die Cloud zu transformieren“, so Tourneur.
Strategische Vorteile
Ziel ist es, 2023 komplett mit dem System in die Public Cloud zu wechseln. „Wir sind uns bewusst, dass ein Go-live in diesem neuen Umfeld riskant ist, aber wir haben uns durch agile Projekte und Tests sehr gut vorbereitet. Vor dem Go-live nehmen wir uns sechs Monate Zeit für die Kontrolle. Natürlich bleibt ein Restrisiko, aber wir sind hochmotiviert und möchten unbedingt die Standardisierung unserer Prozesse schaffen“, kündigt Schlingemann an.
Für Gigaset lohnt sich der Umstieg auf die Cloud vor allem strategisch. Das Unternehmen nimmt die verhältnismäßig lange Vorbereitungsphase in Kauf, um dann im vollen Umfang die Vorteile nutzen zu können. Dazu gehören schnellere und transparentere Prozesse, ein mobiler Zugriff auf eine Echtzeitdatenbank, Skalierbarkeit und die neue Möglichkeit, Partner über Schnittstellen anzuschließen.
„SAP hat mit dem Angebot der Public Cloud für S/4 Hana ein super Tool für mittelständische Unternehmen geschaffen, in dem diese ihre Prozesse abbilden können. Auch wenn einige Funktionen fehlen, haben wir mit der Cloud die Möglichkeit, über Webinterfaces Anbieter wie ifm miteinzubinden, die uns wichtig sind“, fasst Schlingemann zusammen.
Nachdem nun einige für den Go-live wesentliche Features aus dem GIB-Operations als MRP view XLNce in die Cloud überführt wurden, hofft Gigaset, dass bald weitere Funktionalitäten folgen. „Wir freuen uns sehr darüber, auch künftig in enger Zusammenarbeit mit Gigaset zu bleiben und uns auf Augenhöhe zu begegnen. Es ist geplant, auch weiterhin gemeinsam übersichtliche und fortschrittliche Lösungen zur Prozessoptimierung im SAP Fiori Design zu entwickeln. Dabei ist es unser Ziel, den Anwender bei der operativen und strategischen Arbeit bestmöglich zu unterstützen“, sagt Christof Weyand, Product Manager Procurement, Inventory und IIoT bei ifm.
Fit-to-Standard-Fazit
Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, mehr Agilität und Flexibilität an den Tag zu legen. Gerade in Krisenzeiten werden oft Prozesse und ganze Geschäftsmodelle auf den Prüfstand gestellt, um sie schlanker zu gestalten. Die Public Cloud ist zukunftsweisend, um etablierte ERP-Systeme für neue digitale Betriebs- und Geschäftsmodelle vorzubereiten. Um Prozesse zu standardisieren, entschied sich der deutsche Hersteller von Kommunikationsprodukten und -lösungen, Gigaset, dazu, beim Umstieg auf S/4 in die Public Cloud zu wechseln. In der jetzigen Implementierungs- und Testphase ist die fachliche und beratende Unterstützung des langjährigen Lösungspartners ifm (zuvor GIB) besonders wertvoll, um den Change-Prozess reibungslos zu gestalten und essenzielle Funktionalitäten mit in die neue Umgebung zu überführen.