Ein Plädoyer für den Greenfield-Ansatz


Im Frühjahr 2015 brachte SAP die Echtzeit-ERP-Suite S/4 Hana auf den Markt, die den Anwendern als On-premise- und als Cloud-Version zur Verfügung steht. Für den Softwareanbieter war das weit mehr als ein einfaches Update von SAP ECC 6.0. Mit S/4 Hana – so lässt sich die Kommunikation von SAP verstehen – wird Enterprise Resource Planning quasi neu erfunden.
Und tatsächlich bietet die Einführung von ERP-Funktionalitäten mit der In-memory-Computing-Plattform Hana viele interessante Möglichkeiten. Zumindest theoretisch. Denn ob die Anwender all die Möglichkeiten auch in operativ nutzbare Prozesse überführen können, bleibt abzuwarten.
Fest steht aber schon heute, dass die Anwender keine andere Wahl haben, als von SAP ERP auf S/4 Hana zu wechseln – ob sie darin für sich nun einen Nutzen erkennen oder nicht. Denn wie schon bei den Wechseln in der Vergangenheit wird das alte System, in diesem Fall SAP ERP, früher oder später nicht mehr unterstützt werden.
Wer dann weiter seine Geschäftsprozesse über SAP-Software managen möchte, muss das zwangsläufig mit der Echtzeit-Suite tun. Insofern diskutieren die Verantwortlichen in den Unternehmen kaum das „Ob“, sondern nur noch das „Wann“ und das „Wie“.
Greenfield-Ansatz ist häufig der bessere Weg
Aus unserer Sicht ist die Antwort auf das „Wann“ ziemlich simpel: so schnell wie möglich. Denn die Umstellung auf S/4 Hana ist ein enorm umfangreiches Projekt, das ein paar Jahre in Anspruch nimmt – zumal dann, wenn auch Rollouts anstehen.
Hinzu kommt, dass es sich nicht nur um eine technologische Transformation handelt. Die Einführung wirkt sich auch erheblich auf die Organisation der Unternehmen aus. Ein langfristig angelegtes Change Management ist deshalb unbedingt erforderlich. Und auch auf das „Wie“ fällt unsere Antwort eindeutig aus: am besten in einem Greenfield-Ansatz.
Dazu noch einmal einen Schritt zurück: Unternehmen, die bereits SAP ERP im Einsatz haben, haben prinzipiell zwei Möglichkeiten. Sie können das aktuelle System in einem Brownfield-Ansatz konvertieren – also die gegenwärtig installierte Software überschreiben.
Die Frage ist dabei, welche Applikationen dann weiterhin laufen. Oder die Unternehmen setzen SAP S/4 Hana in einem Greenfield-Ansatz komplett neu auf. In den allermeisten Fällen ist das der bessere Weg. Dafür gibt es mehrere gute Gründe.
Grund 1: One-ERP-Strategie
Viele Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren für eine One-ERP-Strategie entschieden. Sie harmonisieren also konsequent die ERP-Infrastruktur. Das vor allem, um die vertikale Integration und die horizontale Integration voranzutreiben – weltweit und entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Weitere Effekte der Harmonisierung: Das System ist performanter und kann leicht skaliert werden, Prozesse sind standardisierter, die Anzahl von Servern und Schnittstellen reduziert sich, die Kosten sinken.
Wird bei dieser Harmonisierung eines der bestehenden SAP-ERP-Systeme als Blaupause für alle übrigen Systeme verwendet, ist das zwar effizient. Meist werden dabei aber auch alle über die Jahre entstandenen spezifischen Einstellungen und Erweiterungen übernommen, ganz gleich, ob sie noch verwendet werden oder nicht.
Damit ist zwar ein einziges ERP-System etabliert. Dessen Aufbau ist aber extrem komplex und in der Regel auch veraltet. Bei einer Migration von SAP ECC 6.0 auf S/4 Hana wird die Komplexität damit reproduziert und in den meisten Fällen sogar noch gesteigert.
Die Einführung von S/4 Hana in einem Greenfield-Ansatz stellt für Unternehmen deshalb die Chance dar, ein einheitliches ERP-System aufzusetzen, das wirklich nur die Funktionen bereitstellt, die auch benötigt werden.
Bei dieser Gelegenheit können dann auch gleich die Stammdaten bereinigt und kann ein systematisches Stammdatenmanagement etabliert werden. Besonders relevant ist das, weil S/4 Hana einige Neuerungen beim Umgang mit Stammdaten mitbringt: So werden beispielsweise die Objekte Kunden und Lieferanten im Objekt Geschäftspartner zusammengelegt. Außerdem muss der Kontenplan an die neuen Anforderungen des Universal Journals angepasst werden.
Grund 2: Standardisierung
Neben einer One-ERP-Strategie streben viele Unternehmen auch eine möglichst umfassende Standardisierung an. Eine entscheidende Motivation dafür ist, dass im Gegensatz zu den in der Vergangenheit üblichen kundenindividuellen Anpassungen und Lösungen ein hoch standardisiertes ERP-System besser zu warten ist und sich damit kostengünstiger betreiben lässt.
Auch ein perspektivischer Wechsel in die Cloud – bei dieser Variante sind nur sehr wenige Anpassungen möglich – ist ein weiterer Grund. Eine Rückkehr zum Standard lässt sich beim Start auf der „grünen Wiese“ sowohl technisch als auch organisatorisch wesentlich einfacher durchsetzen.
Alte und meist nicht dokumentierte Programme müssen nicht noch aufwändig auf ihre Hana-Fähigkeit überprüft und mühsam konvertiert werden. Es stehen vielmehr grundsätzlich alle kundenindividuellen Entwicklungen auf dem Prüfstand:
Benötige ich diese Funktion noch? Und falls ja, ist diese in der Zwischenzeit vielleicht sogar ein Bestandteil des SAP-Standards? Falls nein, ist eine Neuentwicklung dieser Funktion möglicherweise auch auf der SAP Cloud Platform (SCP) sinnvoll, sodass das S/4-Hana-System weitgehend unangetastet bleibt.
Noch mehr gute Gründe
Neben diesen zwei wesentlichen Argumenten sprechen noch zahlreiche weitere Punkte für die Implementierung von S/4 Hana in einem Greenfield-Ansatz:
Das Risiko wird deutlich reduziert, weil das neue System parallel aufgebaut wird – für einen Übergangszeitraum können beide Systeme parallel betrieben werden.
Bei der Modellierung der Geschäftsprozesse im neuen System werden in der Regel Optimierungspotenziale identifiziert. Die Einführung von S/4 Hana in einem Greenfield-Ansatz kann sogar günstiger als die Migration sein – weil Aufwände für Anpassungen entfallen.
Damit die Einführung von S/4 Hana zu einem Erfolg wird, ist die enge Zusammenarbeit von IT-Abteilung und Fachbereichen zwingend erforderlich. Dabei sollte auf ein agiles Vorgehen gesetzt werden, bei dem die fachlichen Anforderungen als überschaubare Pakete in Workshops gemeinsam definiert und dann sofort umgesetzt werden.
Durch dieses Vorgehen ist auch sichergestellt, dass die Fachbereiche während der gesamten Einführung eingebunden sind. Dadurch sind sie stets über Änderungen informiert, können kontinuierlich ihre Standpunkte deutlich machen und Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Das alles erhöht die Akzeptanz für das neue System – und das ist für den Gesamterfolg elementar.