ECC müsste längst tot sein
Ich werde niemals die kuriose Situation an der New Yorker Stock Exchange vergessen, als vor sehr langer Zeit Professor Hasso Plattner, Ex-SAP-Chef Bill McDermott und Ex-SAP-Technikvorstand Bernd Leukert das damals neue ERP S/4 auf Basis von Hana präsentierten. Es war eine solide Präsentation.
Aber SAP wollte nicht allein über die eigenen Verdienste reden. Als Gastsprecher wurde der damalige CFO des Chemieriesen Bayer eingeladen. Bayer war bereits zu dieser Zeit ein langjähriger und treuer SAP-Bestandskunde. Der Kundenvortrag begann auch ganz im Sinne von Hasso Plattner und der SAP.
Der CFO bedankte sich für die gute und sehr erfolgreiche Zusammenarbeit. Mit Fortgang des spannenden Vortrags entstanden aber Zweifel am Thema selbst: Die anwesenden Analysten und Journalisten erwarteten einen Vortrag über das aktuelle SAP-Release Business Suite 7 und die Vorfreude auf S/4.
Aber der CFO lobte R/3 über alles. Er erzählte von seiner komfortablen Situation, dass nach zehn Jahren des Customizings nun alle weit über 100 Landesstellen von Bayer flächendeckend mit R/3 arbeiten, dass es nun keine Excel-Blätter mit veralteten Daten mehr gebe und er somit endlich keine Sorgen mehr bezüglich Kostenwahrheit und Konsistenz habe. Es war ein Loblied auf R/3, wie man es sich besser nicht hätte vorstellen können.
Schon damals hätte SAP erahnen können, dass der Releasewechsel auf S/4 nicht vor 2030 abgeschlossen sein wird – zu einem Zeitpunkt also, an dem das technische IT-Konstrukt von S/4 schon lange wieder veraltet ist. Während also SAP das erfolgreiche R/3 am liebsten vergessen machen und Suite 7 totreden wollte, grätschte der Deutschsprachige SAP-Anwenderverein dazwischen und erklärte die SAP Business Suite 7 mit AnyDB als ausreichende und taugliche Plattform für die anstehende digitale Transformation.
SAP hat dann auch gute Miene zum bösen Spiel gemacht und das Wartungsende von ERP/ECC 6.0 mit AnyDB von 2025 auf 2030 verschoben. Aber, so scheint es, die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Im Jahr 2030 wird S/4 technologisch vollkommen veraltet sein.
Viele SAP-Bestandskunden werden weiterhin die stabile Suite 7 mit Oracle, IBM DB2 oder SQL-Server betreiben, aber nur wenig Motivation verspüren, auf eine dann mehr als zehn Jahre alte Technik zu migrieren – dann lieber gleich wirklich etwas Neues ausprobieren. SAP wird nicht umhinkommen, zeitnah eine Roadmap 2040 mit einem S/4-Nachfolger zu präsentieren. (pmf)