Der Gutenberg-Moment


Savoir-vivre – die Kunst, das Leben zu genießen! Dieser Umstand scheint den Franzosen mit Informationstechnik zu gelingen: Viva Technology ist ein jährliches IT- und KI-Fest in Paris mit 180.000 Besuchern. KI revolutioniert die Informationstechnik. Selbst Ex-SAP-CEO und aktueller Siemens-Aufsichtsratsvorsitzender Jim Hagemann Snabe berichtete in Paris begeistert und enthusiastisch von den Möglichkeiten einer KI. VivaTech war ein Fest der KI-Ideen und ein Treffen der globalen Informatikszene. Eine starke Präsenz zeigten viele afrikanische Länder und es gab eine bewundernswerte Parität zwischen den Geschlechtern – ein völlig neues Bild für einen Besucher aus der deutschsprachigen SAP-Community: Auf einem DSAG-Jahreskongress begegnen einem immer noch über 80 Prozent männliche Manager, SAP-Experten und Informatiker. In Paris war es ein Experimentierfeld und ein Gutenberg-Moment. Die Verwendung der KI ist vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks. Das Thema ist nicht Optimierung, sondern Revolution – kann hier SAP noch mithalten?
Auf der VivaTech wurde die anstehende KI-Revolution mit einem Gutenberg-Moment gleichgesetzt. KI ist demnach ein Ereignis, das eine Zeitenwende darstellt. Der Buchdruck von Johannes Gutenberg war keine Optimierung eines vorhandenen Verfahrens oder einer bekannten Technik, sondern eine gesellschaftliche Wissens- und Bildungsrevolution. Mit dem Buchdruck konnte Wissen auf neue Art weitergegeben werden. Es war eine Demokratisierung des einstigen Herrschaftswissens. Gutenberg hat das Nachrichten-, Informations- und Bildungssystem revolutioniert.
Das Sprichwort „Wissen ist Macht“ stammt ursprünglich von Francis Bacon, einem englischen Philosophen, der im 16. und 17. Jahrhundert lebte. Mit dem Gutenberg-Moment wurde das Wissen allgemein zugänglich. Ab diesem Moment war Wissen kein Herrschaftsinstrument mehr, sondern konnte sich emanzipieren. KI in Form von Large-Language-Modellen (LLM) wird eine ähnliche Demokratisierung auslösen, dieses Momentum war in Paris auf der Viva Technology zu spüren. Ob am Ende des Tages jedoch KI-Systeme falsche Nachrichten fördern oder verhindern, wurde in Paris kaum diskutiert. Der Enthusiasmus war beeindruckend. Ob sich die Systeme selbst regulieren, blieb offen.
SAP experimentiert seit vielen Jahren mit klassischen Algorithmen aus dem Bereich Optimierung, Simulation, Statistik und KI. Hierbei wurden viele IT-Werkzeuge entwickelt, die zur Optimierung von Geschäftsprozessen beitragen. Es fehlt jedoch ein ganzheitlicher Ansatz, der einen Gutenberg-Moment auslöst. Bei SAP wird KI zur Optimierung bestehender Prozesse verwendet. Daraus entstehen wieder neue Anforderungen und Ideen und somit entwickelt sich KI bei SAP evolutionär weiter. KI bei SAP ist nachhaltig, weil aus Existierendem wieder Neues entsteht. Ein revolutionäres Momentum ist trotz Zusammenarbeit mit Nvidia nicht zu beobachten.
Was in Paris auf der VivaTech zu erleben war, war nicht nachhaltig, weil es keine evolutionäre Entwicklung der vergangenen Jahre fortsetzte. Es war revolutionär, weil es keine Rücksicht auf traditionelle Informatik nahm. Es ging nicht um Optimierung, sondern um Innovation. Seit vielen Jahren fehlt bei SAP der Gutenberg-Moment.