Magere Jahre und Sprachspiele
Ich bin kein Großaktionär der SAP. Ich bin kein SAP-Partner, bei dem die Reparaturaufträge steigen, wenn die SAP-Software-Qualität fällt. Ich bin SAP-Bestandskunde, der versucht seine IT-Mannschaft bei Laune zu halten und das eigene Management von gewissen Notwendigkeiten zu überzeugen. Ich bin Formel-1-Fan und Ferrarist. Aufgrund der ersten beiden Rennwochenenden im September überstieg meine sportliche Leidensfähigkeit sogar die der SAP’schen lizenztechnischen Leidensfähigkeit.
Auf Spiegel Online las ich dann eine bemerkenswerte Analyse über das anhaltende Ferrari-Desaster. Bemerkenswert für mich ist der zeitliche Versatz von Fehlern, Misserfolg und Erfolg. Auf SAP umgelegt könnte es bedeuten, dass die Erfolge eines Bill McDermott ihren Ursprung bei Professor Henning Kagermann haben. Unabhängig davon, wie gut unsere drei Musketiere sind – Christian Klein, Jürgen Müller und Thomas Saueressig –, die Katastrophe lauert schon hinter der nächsten Ecke.
Der Text auf Spiegel Online jagte mir einen Schauer über den Rücken, nicht nur weil ich Ferrarist bin, sondern weil der Text erschreckende Parallelität zu der SAP-Historie aufweist: Ferrari setzt auf italienische Teamchefs, was nicht grundsätzlich falsch sein muss. (Anm.: Christian, Klein, Jürgen Müller, Thomas Saueressig und CFO Luka Mucic sind einhundertprozentige SAP-Geschöpfe aus der Umgebung von Walldorf und aus Potsdam, siehe HPI.)
So eine Wagenburgmentalität kann jedoch auch dazu führen, dass ein neutraler und emotional weniger aufgeladener Blick auf das Gesamtkonstrukt fehlt. (Anm.: Wer würde Walldorf nicht als Wagenburg bezeichnen?) Das betrifft auch die Ebene darunter, neue Toptechniker von außen wurden in den vergangenen Jahren nicht geholt. (Anm.: Ich kenne nur zwei Ausnahmen – Anuj Kapur kam von Cisco und Sabine Bendiek von Microsoft.
Weggegangen von SAP sind viele Top-Executives, diese Liste würde die Seite sprengen.) Ein Punkt, den auch Ex-Ferrari-Boss Luca di Montezemolo bei RTL kritisierte. Dafür habe man gute Leute weggehen lassen, wie den heutigen technischen Direktor von Mercedes. (Quelle: Spiegel Online, September 2020, „Ein folgenschwerer Betrug“)
SAP ist wie ein Ozeanriese. Ein hektisches Drehen am Steuerrad bewirkt kaum etwas. Der Wissensab- und Wissenszufluss wird sich zeitlich versetzt zeigen. Der Managementwechsel wird noch zu bewerten sein – Einfachspitze, Doppelsitze, wieder Einfachspitze und so weiter, von Kagermann über Apotheker, Snabe, McDermott, Morgan und Klein.
Derweilen scheinen die beiden SAP-Vorstandsmitglieder Jürgen Müller und Thomas Saueressig ganz andere Probleme zu quälen: SAP plant, diskriminierende Fachbegriffe in der IT-Umgangssprache zu ersetzen, wie in der FAZ zu lesen ist: keine „Sklaven“ und keine „schwarzen Listen“.
Jürgen Müller will versuchen, das IT-Begriffspaar „Master“ und „Slave“ zu ersetzen, das er laut FAZ mit „Herr“ und „Sklave“ übersetzt und offensichtlich gleichsetzt mit der Sklaverei schwarzer Feldarbeiter im Süden der Vereinigten Staaten. Alles ist gut, solange Luka Mucic „schwarze“ Zahlen schreibt, oder?
Betrachte ich die vergangenen zwei bis drei Jahrtausende Zivilisation, kann ich nicht erkennen, dass Sklaven immer „People of color“ waren. Somit ist dieses Geschichtsbewusstsein zu hinterfragen. Auch bin ich der Ansicht, dass zwischen Umgangs- und Fachsprache unterschieden werden muss!
Master und Slave in der Informatik kennzeichnen ein Abhängigkeitsverhältnis in Form von Datenfluss und Steuerbefehlen. Derjenige Programmcode, der in einer bestimmten Situation „Slave“ ist, weil er Daten empfängt, kann im nächsten Moment für andere Unterprogramme die Master-Rolle übernehmen.
Eine umgangssprachlich richtige Bewertung für ein kybernetisches System wird sich schwer verwirklichen lassen. Master und Slave sind Fachvokabular aus der Informatik und haben keine Deutungshoheit in der Alltagssprache.
Um es mit den Worten des Philosophen Ludwig Wittgenstein (1889 bis 1951) zu interpretieren: Die Informatik ist ein eigenes Sprachspiel und die politische Korrektheit ein anderes Sprachspiel. Laut Wittgenstein geht es um die Perspektive auf den Diskurs! Ich wünsche Jürgen Müller und Thomas Saueressig erfolgreiches Gelingen.