Hasso Plattner der Brückenbauer
Die Erwartungshaltung war hoch, der Wunsch nach einer konsistenten und transparenten End-to-End-Integration der vielen SAP-Zukäufe in das ERP/CRM-Kernsystem war noch größer.
Die gesamte SAP-Community erwartete die Sapphire 2019 in Orlando als erlösenden Moment, dass die Integration von SuccessFactors, Ariba, Concur, Fieldglass, Callidus, Qualtrics etc. geglückt ist.
Monatelang wurde den Bestandskunden versprochen, dass C/4 die ultimative integrierte, konsistente CRM-Suite sein wird. Medienbrüche seien ein Thema beim Mitbewerb. Bei SAP ist die höchste Tugend die Integration aller Silos. Das Experience Management mit O- und X-Daten von C/4 soll ohne Schnittstellen auskommen – echte E2E-Integration!
Noch vor wenigen Wochen hat ein SAP-Vorstand im vertraulichen Gespräch das Integrationsmanko eingestanden, aber Besserung und baldige Lösung versprochen: Die Sapphire wäre dazu der bestmögliche Moment gewesen, endlich SuccessFactors, Ariba, Concur, Callidus und alle anderen zugekauften Cloud-Lösungen in die HEC (Hana Enterprise Cloud) zu bringen.
Aber alle 30.000 Sapphire-Teilnehmer wurden in Orlando auf das Bitterlichste enttäuscht. SAP Data Hub bleibt momentan die einzige Lösung, um manuell und individuell E2E-Szenarien zu bauen.
DSAG-Chef Marco Lenck brachte es anlässlich der Saphire und dieser vergebenen Chance in einer Stellungnahme auf den Punkt: „Ariba, Hybris, Concur, Fieldglass, Callidus und zuletzt Qualtrics: Die Akquisitionspolitik von SAP hat in den vergangenen Jahren zu einem massiven Bedarf geführt, Systeme und Stammdaten zusammenzuführen.
Wir sehen, dass die von SAP zugekauften Lösungen noch gewisse Integrationsschwierigkeiten mit sich bringen. Dass die Integration der Komponenten noch nicht zufriedenstellend ist, haben wir SAP gegenüber kommuniziert.“
SAP-Chef Bill McDermott erwähnte das kritische Thema „Integration“ somit nur beiläufig und nicht freiwillig. In seiner Keynote brachte er Vorstand und SAP Chief Operation Officer Christian Klein auf die Bühne, der nun die Aufgabe hatte, vor dem Sapphire-Publikum das Thema Integration mehr schlecht als recht auszuhandeln.
Klein kämpfte um Glaubwürdigkeit, denn als Nichttechniker und ehemaliger Finanzverantwortlicher bei SuccessFactors gilt er in der SAP-Vorstandsriege zwar als Shootingstar, aber letztendlich muss er nun den Job von Technikvorstand Jürgen Müller machen, der in Orlando die Keynote-Bühne nicht betreten durfte.
Nach dem enttäuschenden Auftritt von Bill McDermott und Christian Klein war man in Orlando gespannt auf den zweiten Tag mit der Keynote von Professor Plattner. Er enttäuschte nicht. Hasso Plattner ist ein Könner klarer Ansagen. Bei Plattner bleibt nichts in der Schwebe. Er bezieht glasklar Stellung und gibt somit den Bestandskunden Sicherheit und Vertrauen.
Das Thema „Integration“ löste Hasso Plattner auf seine typische Art: Es gibt das Thema und auch das Problem nicht, meinte er zur Überraschung der Sapphire-Besucher. Seine Lösung: Im SAP-System gibt es hervorragende Schnittstellen und Werkzeuge, sodass es ein Leichtes ist, die notwendige „Brücke“ beispielsweise von SAP ERP/CRM zu Qualtrics zu bauen. Professor Hasso Plattner der Brückenbauer!
Die Lösung des Integrationsproblems durch das Bauen von Brücken hat aus technischer Sicht viel Charme, auch wenn es die jahrelangen Bemühungen von Ex-Technikvorstand Leukert zunichtemacht.
Durch diese „Brückeninitiative“ wurde aber allen Beteiligten klar, dass niemand die schwierige Integrationsaufgabe einem unerfahrenen Nichttechniker wie Christian Klein zutraut. Auch Jennifer Morgan wird es kaum schaffen und Technikvorstand Jürgen Müller ist abgetaucht.
Brücken bauen heißt, dass die SAP-Bestandskunden einen Best-of-Breed-Ansatz verfolgen können oder sollen. Diese neue SAP-Logik passt auch gut zu den weiteren Aussagen von Plattner in Orlando. Er plädierte für einen „Neuanfang“.
Plattner argumentierte, dass alte ERP-Konzepte aus einer R/3-Welt abzulegen sind und sich die Bestandskunden auf die SAP Public Cloud oder zumindest einen Hana-S/4-Greenfield-Ansatz einstellen sollten. Dieses Konzept entspricht auch den Restrukturierungsmaßnahmen eines Bill McDermott und Finanzvorstands Luka Mucic.
Etwa 4400 Mitarbeiter will SAP weltweit entlassen – überwiegend Experten mit traditionellem ERP-Wissen, die offensichtlich in einem Cloud-Zeitalter nicht mehr gebraucht werden.
Die Sapphire-Besucher konnten jedenfalls beobachten, wie fein und präzise die Strategie zwischen Hasso Plattner und Bill McDermott abgesprochen ist. Hier der ausführende Vorstandsvorsitzende McDermott, der weltweit Fachleute entlässt; dort der strategische Aufsichtsratsvorsitzende Plattner, der die SAP Public Cloud und einen De-facto-Greenfield-Ansatz ohne Altlasten empfiehlt.
Mit dem Vorschlag von Hasso Plattner, in Zukunft Brücken zu bauen, könnte nun vieles anders werden, denn Brücken lassen sich auch zu Mitbewerbern bauen und vielfach hört man in der SAP-Community, dass die Einführung von C/4 und anderer Komponenten ebenso aufwändig und teuer ist wie die Installation eines alternativen Produktes von Mitbewerbern.