Das verlorene Alleinstellungsmerkmal
SAP-CEO Bill McDermott mag ein großartiger Verkäufer sein – zumindest sich selbst hat er bei seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Hasso Plattner hervorragend verkauft.
Das Verkaufen liegt dem Amerikaner offensichtlich im Blut. Hier kümmert ihn keine Strategie, kein IT-Megatrend, keine Loyalität zu den SAP-Partnern, kein Wissen um Alleinstellungsmerkmale – Hauptsache, Umsatz und Gewinn stimmen.
An seiner Seite ein hochbegabter CFO: Luka Mucic hat es geschafft, die Ausflüge seines Chefs in Non-SAP-Bereiche finanziell abzufedern und positiv darzustellen. Aber selbst Plattner fragt sich mittlerweile, ob Cloud-Experimente wie ein App-Store – ähnlich wie iTunes von Apple – echtes Geld bei SAP bringen.
Offensichtlich zweifelt Plattner an der Wirksamkeit des Nachahmens. Denn alles, was SAP momentan tut, haben andere Unternehmen schon vorher gemacht. Anstatt das Alleinstellungsmerkmal zu pflegen, läuft der Verkäufer McDermott momentan jedem IT-Gerücht hinterher und erhöht schamlos die Preise – bis zum 200-Fachen!
Unter der Material-Nummer 7.009.026 (SAP Sales and Service Order Processing) findet sich in der Preisliste 2016 der Betrag von 100 Euro für 1.000 Orders (Sales Unit Metric). Leicht nachzurechnen: Eine Order kostet 10 Cent.
In der PKL 2017 findet man unter 7.019.146 (SAP Sales and Service Order Processing) den Betrag von 20 Euro für eine Order (Sales Unit in Blocks of 1, Metric ist Orders). Von 10 Cent auf 20 Euro gereicht wahrscheinlich weltweit jedem Verkäufer zur Ehre.
Wer es ermöglicht, seinen Kunden eine solche Preiserhöhung zu präsentieren, ohne dass eine Revolution ausbricht, muss ein Genie sein! Gratulation an SAP-CEO Bill McDermott: Mit einer Erhöhung des Lizenzpreises um das 200-Fache hat er sich sein neues Gehalt von 15 Millionen Euro redlich verdient.
Es ist aber nicht nur die SAP’sche Geldgier, die die Community verunsichert. Früher hatte SAP mit ihrem ERP-Alleinstellungsmerkmal ein ausgeprägtes und verdientes Selbstbewusstsein.
Henning Kagermann und Gerd Oswald waren bescheiden gegenüber den Bestandskunden, aber selbstbewusst, wenn es um das eigene Wissen und Können ging. Von allen diesen Qualitäten ist kaum mehr etwas vorhanden.
SAP hat sich gewandelt vom Selbstbewusstsein zum Selbstdarsteller Bill McDermott. Er stellt lediglich eine Kopie der aktuellen IT-Trends dar – von Alleinstellungsmerkmal ist schon lange keine Spur mehr.
Wenn die Kriegskasse von SAP nicht randvoll gefüllt gewesen wäre, hätte man das Cloud und Mobile Computing verschlafen. Aber mit vielen Milliarden gelang es, passende Unternehmen, die teilweise selbst kurz vor der Pleite standen (siehe Ariba), aufzukaufen.
Mit SuccessFactors, Hybris, Sybase, Concur etc. gelang es, Anschluss an die IT-Megatrends Cloud und Mobile Computing zu finden. Ohne Professor Plattner wäre heute noch NetWeaver die bevorzugte SAP-Plattform.
Am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam wurde für SAP die Datenbankplattform Hana entwickelt – einhergehend mit der Richtungsentscheidung Open Source (Linux, Hadoop, Cloud Foundry etc.).
Und jetzt hat man wieder einen Megatrend verschlafen: Machine/Deep Learning. Die Datenbank Hana ist dafür nicht mehr zu gebrauchen, weswegen man sich bei Google und Nvidia bedienen muss.
Mit TensorFlow von Google (Open Source) und der Nvidia-GPU-Hardware werden zukünftige KI-Funktionen ins SAP’sche ERP implementiert. Keine einzige dieser strategisch wichtigen Richtungsentscheidungen wurde maßgeblich von SAP-CEO Bill McDermott initiiert.
Im Gegenteil: Statt die eigenen Produkte und Plattformen zu stärken, biedert er sich bei Amazon, Microsoft und Google an. Das zukünftige Hana- und S/4-Cloud-Computing wird auf AWS, Azure und Google Cloud stattfinden – keine Spur von HEC und HCP. Ein Alleinstellungsmerkmal schaut anders aus!